Dank Internet und digitalem Schriftverkehr besteht die Briefpost nun schon seit Jahren nur noch aus Reklamesendungen, Rechnungen, amtlichen Schreiben sowie Spendenappellen aller möglichen Organisationen und Institutionen. Datenschutz – ehedem ein grünes Herzensanliegen – ist im digitalen Zeitalter längst kein Thema mehr. Entsprechend häufen sich Briefe mit beiliegenden, antiquiert anmutenden Überweisungsvordrucken samt Spendenquittung.
Terre des Hommes und/oder des Femmes, Greenpeace, Ärzte/Ärztinnen und/oder Reporter ohne Grenzen, SOS-Kinderdorf usw. decken den säkularen Bereich ab. Diakonisches Werk, Christoffel-Blindenmission und speziell „Brot für die Welt“ appellieren an mein christliches Gewissen. Für Bethel empfinde ich, sofern ich die Überweisung (online) nicht vergesse, nach wie vor große Spendenbereitschaft, auch für die Blinden. Bedenken kommen seit längerem bei „Brot für die Welt“ auf. Ich beschränke meine entsprechende Spende (unter Verzicht auf Quittung) in der Regel auf den Gottesdienst an Heiligabend, wo in der Kurzpredigt nach Lukas, 2 die Weihnachtsgeschichte meist (ohne direkten Bezug auf Matthäus, 2) mit dem aktuellen Flüchtlingselend verknüpft wird.
Für den Steuer- und Kirchensteuerzahler wirft das Spendenwesen einige grundsätzliche, zwischen Gewissen und Ratio angelagerte Fragen auf. Natürlich gehöre ich – mit Beamtenpension samt Beihilfe – zu den passabel Situierten in diesem wirtschaftsmächtigen Staat oder – im kirchlichen oder allgemein karitativen Politsprech ausgedrückt – zu den gegenüber dem „globalen Süden“ (ehedem „Dritte Welt“) Privilegierten in „diesem reichen Land“. Ich möchte mich da nicht mit geläufigen, klassenkämpferisch angereicherten Parolen über die Superreichen, beispielsweise über die exorbitanten Einkommen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ÖRR) oder anderswo, herausreden. Nein, das Wissen um soviel Elend in der Welt nagt zuweilen an meinem Gewissen. Und eben darauf zielen die vielen Spendenappelle.
Aus einiger Distanz betrachtet, handelt es sich beim kirchlichen und nichtkirchlichen NGO-Spendenwesen um die moderne, säkulare Form des spätmittelalterlichen, in die Kreuzzüge zurückweisenden Ablasshandels. Zwar plagt uns keine Angst mehr vor der Hölle, schon gar nicht Sorge bezüglich der (nicht nur) von Protestanten ohnehin abgelehnten reinigenden Sündenstrafen im Fegefeuer, aber es tut der Seele gut, ein gutes Werk in Cash, per Überweisung oder per Smartphone zu tätigen.
Das Spenden für gute Zwecke – und für ein gutes Gewissen – soll nicht gänzlich in Zweifel gezogen werden. Ich spende selbst seit Jahren steuerabzugsfähig, und das Elend von Pfandflaschensammlern und immer zahlreicheren Obdachlosen in deutschen Städten springt mich an. Gleichwohl bleiben einige Fragen. Sie betreffen allgemein die von Eigennutz geprägte Struktur von Hilfsorganisationen. Welcher Anteil des Spendenflusses landet im von Selbstzweck gesteuerten Apparat, und wieviel kommt in den Hilfsprojekten (wiederum abgesehen von deren nicht immer unzweideutigen Zielsetzungen) an?
In concreto, hinsichtlich der kirchlichen Spendenaktionen (beispielsweise „Brot für die Welt“), geht es um deren Funktion im Zusammenhang der kirchlichen Großorganisation EKD und ihrer Landeskirchen. Sie werden maßgeblich getragen von der Kirchensteuer. Auf deren budgetäre Zuweisungen hat das zahlende Kirchenmitglied, sofern nicht delegiert und engagiert in den Synoden, keinerlei Einfluß. Das akute Beispiel ist die direkte oder indirekte Zuweisung von Hilfsgeldern an die im Mittelmeer operierenden Rettungsschiffe für Migranten und/oder reale Flüchtlinge („Geflüchtete“ statt, semantisch richtiger, „Flüchtende“). Die Problematik von derlei Rettungsaktionen – de facto Unterstützung der hochkriminellen Schlepperbanden – ist unübersehbar. Rettungsschiffe wie Seawatch verdienten Unterstützung, wenn sie allein auf reale Rettung aus Seenot zielten – und nicht (unter der Parole „Open Borders“) auf die Förderung illegaler Einwanderung in die „reichen“ Länder. Im übrigen geht es – angesichts der Vielzahl von Krisen-, Kriegs- und Armutsregionen – stets um selektive Hilfsaktionen, die am globalen Elend und dessen komplexen Ursachen vorbeizielen.
Inwieweit die Spenden für „Brot für die Welt“ und ähnliche Organisationen sinnvolle Verwendung finden oder – als eine Art Nebenquelle – fragwürdige Unternehmungen der politisierten EKD indirekt mitfinanzieren, ist eine unbequeme, aber berechtigte Frage. Wer mit schlechtem Wohlstandsgewissen eine Spende aus dem Gehaltszettel abzweigt, bewegt sich im psychologischen Bereich des ehedem vom Reformator Luther dekonstruierten Ablasshandels. Und dies nicht nur zur Weihnachtszeit.
Quelle: Herbert Ammon Blogspot