Der Text verdeutlicht, welcher gesellschaftliche Wandel mit dem veränderten Umgang der ,,Erkrankung“ ADS/ADHS[1] einhergeht – hier im Expliziten bezogen auf Kinder im Kleinkind- und Grundschulalter. Zeichnet sich innerhalb der vergangenen Jahre tatsächlich, wie oft proklamiert, eine fortschreitende Erkrankungszunahme der Verhaltensstörung ADS/ADHS ab, oder hat sich lediglich das gesellschaftliche Bewusstseins dafür verschoben – in Richtung einer vorschnellen Diagnosestellung und Medikamentierung der Verhaltensstörung von Seiten der Ärzte? Es bleibt zu fragen, wer eigentlich wirklich als ,,krank“ bezeichnet werden kann bzw. muss: Die sich nicht in die von der Gesellschaft festgelegte Verhaltensnorm problemlos eingliedernden Kinder oder aber eine Gesellschaft, welche versucht die nicht in die Norm passenden Kinder zunehmend mit Psychopharmaka bzw. dem zur Behandlung von ADS/ADHS vorherrschend verwendeten Mittel Ritalin ruhig zu stellen? Wo sind die Ursachen und Einflussgründe der Erkrankung zu suchen, anhand welcher objektiv sichtbaren Kriterien[2] wird die Erkrankung diagnostiziert und in Form welcher Symptome gibt sich diese schließlich zu erkennen? Welche Rolle spielen, von der Kindererziehung überforderte Eltern bei der Diagnosestellung der Verhaltensstörung und welcher Einfluss kommt der Pharmaindustrie und der, von immensem Leistungsdenken geprägten, Gegenwartsgesellschaft zu?
ADS/ADHS: Fakten und Hintergründe
ADS/ADHS ist die Abkürzung für eine, dem Erkrankungsfeld der Zwangsstörungen zugehörige, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (vgl. Förstner. 2011: 43f.). Wenn die Erkrankung in Form eines Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms ohne Hyperaktivität auftritt, so wird von ADS gesprochen. Tritt die Erkrankung allerdings in Kombination mit dem zusätzlichen Symptom der Hyperaktivität auf, so spricht man von ADS mit Hyperaktivität oder kurz: ADHS. Diese Erkrankung kann sich durch ein Zusammenspiel vielfältiger Faktoren ausbilden und äußert sich anhand zahlreicher Symptome, wie etwa einem Aufmerksamkeitsdefizit, motorischer Unruhe oder gesteigerter Impulsivität. Die Verhaltensstörung mit Symptomen der Unruhe, Unaufmerksamkeit und Ungehorsam ist keineswegs erst kürzlich entstanden (vgl. Foerster. 1987), sondern das sog. ,,Zappel-Philipp-Syndrom“ ist bereits im Jahre 1845 das erste Mal vom Frankfurter Nervenarzt Heinrich Hoffmann in dem, von ihm verfassten, Buch ,,Der Struwwelpeter“ literarisch dargestellt worden. Die innerhalb der vergangenen Jahre in Deutschland veröffentlichten Statistiken bezüglich des Ausmaßes der von ADS/ADHS betroffenen Kinder schwanken zwischen uneinheitlichen Werten im Bereich von 3,9 und 6 Prozent. Nach den Kriterien des DSM-IV (Diagnostisches und statistisches Handbuch psychischer Störungen der amerikanischen psychiatrischen Vereinigung) leiden in Deutschland jedoch 4 – 8% der Kinder im Kleinkind- und Grundschulalter an ADS/ADHS – Jungen sogar 3- bis 9-mal häufiger als Mädchen (vgl. Döpfner. et. al. 2000). Während bei Jungen verstärkt die Hyperaktivität im Vordergrund des Krankheitsbild steht (,,Zappelphilipp“), ist bei Mädchen eher die Aufmerksamkeit gestört (,,Träumsuse“)[3]. Erwähnenswert ist überdies die Tatsache, dass sich die Zahl der Verordnungen des Medikaments Ritalin zur Eindämmung der bei ADS/ADHS auftretenden Symptome in Deutschland seit 1994 mehr als verzehnfacht hat[4]. Im Weiteren wird kritisch zu prüfen sein, wem der vermehrte Einsatz von Ritalin wirklich nützt und ob dieser tatsächlich zur Besserung der Erkrankung bzw. der Symptome beiträgt – den angeblich verhaltensgestörten Kindern oder aber doch der Pharmaindustrie Die Erkrankung entwickelt sich häufig bereits im frühen Kindesalter und zieht sich oftmals bis ins Erwachsenenalter fort. Konzentrationsstörungen und Unaufmerksamkeit können bei Kleinkindern durchaus als ,,normal“ und ihrem Alter entsprechend gewertet werden. Sobald die Symptome allerdings deutlich übergreifende Beeinträchtigungen im sozialen, privaten und/oder beruflichen Bereich zur Folge haben und länger als 6 Monate andauern, ist abzuklären, ob dieser Verlauf der natürlichen Entwicklung entspricht, oder aber ob eventuell ADS/ADHS vorliegt.
Ursachen von ADS/ADHS
Von Seiten der Wissenschaft wird vermutet, dass ADS/ADHS ursächlich aufgrund einer biologischen Störung im Stoffwechsel der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin zustande kommt, welche beide existentiell für Aufmerksamkeit, Antrieb und Motivation von Bedeutung sind. Bei, von ADS/ADHS betroffenen, Kindern (und auch Erwachsenen) werden diese Informationen zwischen den Gehirnzellen von den Neurotransmittern nur noch eingeschränkt übermittelt. Davon betroffen sind die Stammganglien und das Frontalhirn – Abschnitte des Gehirns, die für die die Aufmerksamkeit, die Ausführung und Organisation, die Konzentration und Wahrnehmung maßgeblich verantwortlich sind. Auch die Tatsache, dass in das Gehirn von ADS/ADHS Betroffenen permanent ungefilterte Informationen ein-dringen, erschwert das sich konzentrieren Können oder das Auseinanderhalten von Wichtigem und Unwichtigem bedeutend. Betroffene fühlen sich häufig gefangen in einem Zustand völliger Anspannung –sie sind aggressiv, vergesslich und unruhig.
Vielschichtige Einflussgründe auf die Verhaltensstörung
Ein komplexes Ursachengeflecht biologischer, familiärer und sozialisatorisch bedingter Gründe kann bereits im Kleinkind- und Grundschulalter zum Ausbilden von, im Zuge der Erkrankung ADS/ADHS sichtbar werdenden Verhaltensauffälligkeiten und der späteren Manifestation dieser Erkrankung führen. Auch wenn, laut Experten, biologischen Faktoren der primäre Stellenwert in der Entstehung zugesprochen wird, beeinflussen doch psychosoziale und sozialisatorische Faktoren den Verlauf und den Schweregrad der Erkrankung ebenfalls entscheidend mit (vgl. Döpfner. et. al. 2000). So sind nicht ein-zig und alleine biologisch determinierte Gründe wie die Störung des Hirnstoffwechsels für das Ausbilden von ADS/ADHS verantwortlich, sondern darüber hinaus nehmen, wie bereits erwähnt, ebenso familiäre und sozialisatorische Gründe bedeutende Relevanz ein (vgl. Härtling/Wegmeier. 2011: 2). Ferner können sich beengte Wohnverhältnisse mit geringen Bewegungsmöglichkeiten oder die Erziehungshaltung von Seiten der Eltern enorm negativ auf die Entstehung und Verfestigung von ADS/ADHS auswirken, um den familiären und häuslichen Bereich anzusprechen.
Der Aspekt der Vernachlässigung der Kindererziehung
Von der Kindererziehung überforderte Eltern, die unter Umständen Vollzeit berufstätig sind und denen aufgrund dessen nur wenig Zeit und Geduld bleibt sich mit ihren verhaltensauffälligen, sich nicht konform in die gesellschaftliche Norm eingliedernden, Kindern zu beschäftigen, kommt eine Diagnose, wie die der Verhaltensstörung ADS/ADHS, häufig wie gelegen. Die Diagnose ADS/ADHS und die damit verbundene medizinische Bestätigung, das Verhalten des eigenen Kindes sei nicht als ,,normal“ einzustufen, schafft Eltern eine Legitimation für die Vernachlässigung und die Inkonsistenz der Erziehung des betroffenen Kindes und beruhigt ihr Gewissen (vgl. Martin. 2004). Familiäre Belastungen oder psychische Probleme der Eltern können ebenfalls, in Verbindung mit biologischen und sozialisatorischen Störungen, maßgeblich zum Entstehen von Verhaltensauffälligkeiten vor allem bei Kindern im Kleinkind- und Grundschulalter beitragen. Ob jedoch in jedem Fall tatsächlich die Diagnose ADS/ADHS vorliegt oder aber lediglich Eltern Bestätigung darin suchen, die Verhaltensausfälligkeiten ihres Kind als ADS/ADHS deuten und dadurch ihre vernachlässigten erzieherischen Pflichten rechtfertigen zu lassen, muss anhand sich zeigender Symptome, welche im Folgenden explizit ausgeführt werden, kritisch geprüft werden. Es bleibt noch zu erwähnen, dass der mögliche, ADS/ADHS begünstigende Einflussgrund, die Kindererziehung vernachlässigende Eltern, sich bei einer sich bestätigenden ADS/ADHS Diagnose zu einer regelrechten Überforderung bezüglich des Umgangs mit dem betroffenen Kind entwickeln kann (vgl. Gebhardt/Finne. et. al. 2008).
Beschwerdebild und Symptome von ADS/ADHS
Das Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitäts-Syndrom zählt zu den am häufigsten auftretenden psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter – diese kann zudem, wie bereits erwähnt, mit veränderter Symptomatik bis ins Erwachsenenalter fortbestehen (vgl. Härtling/Wehmeier. 2011: 1). Das ADS/ADHS zeigt sich anhand vielfältiger Symptome, jedoch sind drei Kernsymptome im Besonderen hervorzuheben – ein Aufmerksamkeitsdefizit, gesteigerte Impulsivität und, sofern die Diagnose ADHS vorliegt, zusätzlich Hyperaktivität (vgl. Lehmkuhl/Döpfner. 2003: 524ff.). Das Leitsymptom des Aufmerksamkeitsdefizits äußert sich beispielsweise darin, dass betroffene Kinder Schwierigkeiten haben, über einen längeren Zeitraum ihre Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten und sich einer Sache konzentriert zu widmen. Außerdem fällt es aufmerksamkeitsgestörten Kindern schwerer zuzuhören, längere geistige Anstrengungen können von ihnen nur sehr schwer bewerkstelligt und Aufgaben nur selten vollständig ausgeführt werden (vgl. Härtling/Wehmeier. 2011: 1). Das zweite Leitsymptom, das der Impulsivität, äußert sich derart, dass betroffene Kinder in Unterhaltungen nicht den Interaktionsablauf abwarten können und Gesprächsteilnehmer durch ihr voreiliges Antworten häufig unterbrechen oder stören. Aufgrund ihrer Impulsivität und ihrem hastigen Verhalten sind von ADS/ADHS betroffene Kinder überdies einem höheren Verletzungsrisiko ausgesetzt (vgl. DiScala/Lescohier. et. al. 1998: 1415ff.). Des Weiteren geht mit der Verhaltensstörung eine erhebliche soziale und emotionale Beeinträchtigung der Lebensqualität einher, welche sich bei betroffenen Kindern auf Bereiche der Familie, der Schule oder des Freundeskreises auswirken kann (vgl. Wehmeier/Schacht. et. al. 2010: 209ff.). Das bei ADHS im Zentrum stehende dritte Leitsymptom der Hyperaktivität äußert sich durch exzessives Zappeln mit Händen oder Füßen, dem nicht still sitzen Können oder in Form unzähmbarem Herumlaufen – vor allem in Situationen, in denen ruhiges sitzen von Nöten ist. Die von ADHS betroffenen Kinder haben außerdem das Problem fokussiert und konzentriert mit anderen Kindern zu spielen oder anderweitig in der Freizeit intensiv ihren eigenen Interessen nachzugehen – sie wirken schier ,,wie getrieben“ und sind außerordentlich redselig (vgl. Härtling/Wehmeier. et. al. 2011: 1f.). Explizit bei Kindern im Kleinkind- und Grundschulalter kommen ferner Symptome wie rast- und planlose Aktivitäten, häufige und unvorhersehbare Handlungswechsel, ausgeprägte Trotzreaktionen, auffallend früher oder aber verspäteter Spracherwerb, mangelnde Regelakzeptanz (im Kontext der Familie oder Schule), Stören im Schulunterricht, starke Ablenkbarkeit, Lese-Rechtschreib-Schwäche, emotionale Instabilität – häufig mit Wutanfällen – oder der Umstand, konstante soziale Beziehungen nur schwer aufrecht erhalten zu können, hinzu (vgl. Larisch. 2011). ADS/ADHS ist aber nicht ausschließlich durch negative Aspekte gekennzeichnet, sondern die von der Erkrankung Betroffenen – vor allem Kinder – weisen im positiven Sinne ein hohes Maß an Ideenreichtum, Begeisterungsfähigkeit, Hilfsbereitschaft und künstlerischer Kreativität auf – doch werden diese Eigenschaften meist von den die Kinder einschränkenden Verhaltensauffälligkeiten überdeckt.
Bewertungskriterien zur Diagnosestellung
Anhand einer Vielzahl sichtbarer, oftmals sich verschränkender Symptome fällt eine exakte Diagnosestellung der Verhaltensstörung sehr schwer. Altersgemäße Verhaltensauffälligkeiten werden bei der Analyse, ob ein ADS/ADHS besteht, berücksichtigt – so wird von Kindern im Kleinkind- und Grundschulalter ein anderes, der jeweiligen Situation angebrachtes, Verhalten erwartet als von Jugendlichen oder gar Erwachsenen. Trotzdem verläuft die Symptombetrachtung verhaltensauffälliger Kinder – auch bereits im Kleinkind- und Grundschulalter – nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Sobald eine bestimmte Anzahl an Aufmerksamkeits-, Impulsivitäts- (und bei ADHS) Hyperaktivitätssymptomen objektiv zu beobachten ist (vgl. Larisch. 2011) wird von Seiten der Ärzte recht zügig die Diagnose ADS/ADHS gestellt (vgl. Conrad. 2007: 46ff.). Es ist allerdings schwer eindeutig zwischen Erkrankung und vorschneller Diagnosestellung zu differenzieren, da es sich im Falle von ADS/ADHS[5] um eine mehrdimensionale Erkrankung handelt und keine Möglichkeit zur Identifikation möglicher Fehlurteile bzw. Fehldiagnosen anhand objektiver Tests besteht (vgl. Haubl. 2007: 173ff.).
Vorschnelle Diagnosestellung
Wie bereits beschrieben, äußert sich die Erkrankung ADS/ADHS anhand vielfältiger Symptome, die von einem Aufmerksamkeitsdefizit, über gesteigerte Impulsivität, bis hin zu Hyperaktivität, einem allgemein gestörten Sozialverhalten und etlichen weiteren Auffälligkeiten reichen können (s. Kap. 3). Jedoch ist nicht jedes unaufmerksame, zappelige Kind automatisch gefährdet, ein ADS/ADHS auszubilden oder gar bereits davon betroffen[6]. Daher ist für eine seriöse, trennscharfe Diagnose der Erkrankung eine detaillierte Untersuchung von Seiten eines Arztes von Nöten, bei der die sichtbaren Verhaltensauffälligkeiten des betroffenen Kindes umfassend unter die Lupe genommen und sämtliche biologischen, sozialen, familiären und körperlichen Einflussgründe mit in die Diagnosestellung einbezogen werden. Im Fall einer anhand der ärztlichen Untersuchung sich bestätigenden ADS/ADHS Diagnose[7] ist jedoch jene Erfolg versprechende Therapiemethode zu bevorzugen, die psychoedukative Elemente, wie eine Verhaltenstherapie oder eine Veränderung im familiären Kontext, mit einer medikamentösen Behandlung kombiniert. Die ADS/ADHS Therapie kann folgende Interventionen umfassen: Die Aufklärung und Beratung von Kindern und Eltern (Psychoedukation), ein Elterntraining und familienbezogene Interventionen, die Aufklärung und Schulung von Lehrenden, eine kognitive Therapie des Kindes (Selbstinstruktionstraining) und eine auf die Verhaltensauffälligkeiten abgestimmte medikamentöse Begleittherapie. In jedem Fall ist jedoch der Einsatz von Medikamenten, wie Ritalin, gründlich zu überdenken, da sowohl eine medikamentöse Behandlung weder immer notwendig noch dem Genesungsprozess förderlich ist, als auch da langfristige Nebenwirkungen noch unzureichend erforscht sind – wie im Folgenden dargestellt wird. Das Ziel sollte es jedoch sein, durch begleitende Therapien die medikamentöse Behandlung konstant ausschleifen lassen zu können, bis sie künftig komplett überflüssig wird.
Medikamentöse Behandlung: Ritalin
Innerhalb der vergangenen Jahre ist sowohl die Zahl der an ADS/ADHS leidenden Kinder, als auch der Jahresverbrauch an Abhilfe schaffenden Medikamente – vorherrschend das Medikament Ritalin (der Firma Novartis) –stark angestiegen. ,,Es liegt die Vermutung nahe, dass zu viele Kinder mit den Wirkstoffen regelrecht ruhig gestellt werden sollen und dies über immer längere Zeiträume“, so Peter Moormann, Apotheker bei der KKH- Allianz (vgl. KKH-Allianz. 2012)[8]. Während im Jahr 1990 nur etwa geschätzte 800 Kinder mit Ritalin behandelt worden sind, kann in den darauf folgenden Jahren von einem regelrechten Boom des Medikamentes gesprochen werden. Seit dem Jahr 2000 verdoppelt sich die Verordnungshäufigkeit im Zwei-Jahres-Turnus und gegenwärtig wird das Medikament Ritalin[9] bei etwa 150.000 Kindern in Deutschland zur Behandlung unerwünschter Symptomen des ADS/ADHS eingesetzt – Tendenz steigend (vgl. Haubl. 2007: 173ff.). Nach Angaben der KKH Krankenkasse wurde im vergangenen Jahr 2011 3,8 Prozent der Kinder zwischen dem 6. und dem 18. Lebensjahr Psychostimulanzen mit den Wirkstoffen Methylphenidat[10] oder Atmoxetin gegen das ADS/ADHS verschrieben (vgl. Pichler. 2011) – dies entspricht 52 Prozent mehr als noch vor 7 Jahren; ebenso ist der Jahresverbrauch im selben Zeitraum um 18 Prozent angestiegen. Während Ritalin bei gesunden Kindern ausschließlich eine aufputschende Wirkung zeigt, soll es von ADS/ADHS betroffene Kinder von deren Verhaltensauffälligkeiten befreien und einen beruhigenden Charakter ein-nehmen – so die deklarierte trennscharfe Wirkungsunterscheidung. Die Tatsache allerdings, dass, in Anlehnung an aktuelle Zahlen, von ADS/ADHS betroffene Kinder gegenwärtig mit längeren und höheren Medikamentendosen behandelt werden, lässt darauf schließen, dass gegenwärtig leichtfertiger mit der Diagnosestellung der Erkrankung und dem Medikamenteneinsatz umgegangen wird, als dies noch vor 10 Jahren der Fall gewesen ist (vgl. Bruchmüller/Schneider. 2012). Es wird zudem von Sei-ten der Ärzte nicht verantwortungsbewusst genug darauf geachtet, ob das Medikament seinen Zweck, nämlich die Eindämmung tatsächlich existenter Symptome, erfüllt oder nicht (vgl. Türcke. 2012).
Profitgier von Seiten der Pharmaindustrie
Auch wenn ADS/ADHS mittlerweile eine medizinisch anerkannte Krankheit ist, existieren doch zahlreiche kritische Stimmen, die ADS/ADHS weniger als Krankheitsbild, sondern eher als Konstrukt, Modekrankheit oder Sammelbecken ganz unterschiedlicher Verhaltensstörungen ansehen[11]. Die im Falle von ADS/ADHS auftretenden Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern (und Erwachsenen) können nicht nur biologische Gründe haben, sondern ebenfalls als Reaktion bzw. Kompensation auf die innerhalb der vergangenen Jahre veränderten Gesellschaftsumstände – wie dem gestiegenen Leistungsdruck oder dem ständigen funktionieren Müssen – gedeutet werden. Anlass zur Sorge gibt die Tatsache, dass Betroffene – vor allem Kinder – aufgrund sich zeigender Verhaltensauffälligkeiten von Seiten der Ärzte als ,,krank“ stigmatisiert und vorschnell medikamentös behandelt werden (vgl. Tennemann. 2009). Es drängt sich der Anschein auf, die Zunahme der diagnostizierten ADS/ADHS Erkrankungen resultiere primär aus gestiegener Profitgier von Seiten der Pharmaindustrie, welche da-durch den Medikamentenabsatz ankurbeln wolle. Ulrike Lehmkuhl, Direktorin der Kinderklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charitè, kann seit etwa 10 Jahren eine Inflation der ADS/ADHS Diagnosen – der fabrizierten Erkrankung ADS/ADHS – erkennen, ohne dass sich jedoch das Syndrom real ausbreitet. Leon Eisenberg, ein amerikanischer Psychiater und Er-finder von ADS/ADHS, hat ebenfalls kurz vor seinem Tod – nach lebenslangen Forschungen in Bezug auf die Erkrankung – gestanden, ,,ADS/ADHS sei ein Paradebeispiel für eine fabrizierte Erkrankung“ (FAZ. 2012). Durch diese beiden kritischen Stimmen, die sich in zahlreiche weitere kritische Stimmen von Fachleuten bezüglich der Zunahme an ADS/ADHS Diagnosen einreihen lassen, wird der veränderte Umgang des ADS/ADHS in Richtung einer immer vorschnelleren medikamentösen Behandlung deutlich. Dies resultiert vor allem aus dem Umstand, dass der Wirkstoff Methylphenidat für die Pharmaindustrie eine Goldgrube darstellt, mit der sich ordentlich Profit scheffeln lässt. Auf dem deutschen Markt bieten das Medikament sechs Konzerne unter unterschiedlichen Namen an. Das Nürnberger Pharmaunternehmen Novartis hat 2006 mit der Herstellung und dem Vertrieb des Medikaments Ritalins weltweit etwa 330 Millionen Dollar Umsatz gemacht, 2010 ist der Umsatz bereits auf über 460 Millionen Euro angestiegen – Tendenz weiter steigend. Es handelt sich, um den kritischen Tenor genannter Stimmen noch einmal zu präzisieren, bei der Verhaltensstörung ADS/ADHS im heutigen Verständnis um eine von Seiten der Pharmaindustrie konstruierte ,,Erkrankung“, die mithilfe der Ärzte anhand zunehmender Diagnosen ausgeweitet werden soll – dies unter dem gesellschaftlichen Deckmantel einer medizinisch anerkannten und medikamentös behandlungswürdigen Erkrankung. Somit scheint ein verändertes gesellschaftliches Streben nach Profit, in diesem Falle oftmals auf Kosten ,,gesunder“ Kinder,in Verbindung mit dem gestiegenen Leistungsdruck gegenwärtiger Gesellschaft krankmachend zu wirken. Nicht in die gesellschaftliche Norm fallenden, weniger leistungsstarken Kindern werden somit um jeden Preis Krankheiten angedichtet, zum einen um aus ihrem Fehlverhalten bzw. ihren Verhaltensstörungen Profit zu schlagen, zum anderen um durch die den Absatzmarkt der Pharmaindustrie ankurbelnden Psychopharmaka ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Eine auf die betroffenen Kinder zugeschnittene und ihren Beschwerden angepasste Kombinationstherapie aus Verhaltens- und medikamentöser Behandlung, welche ausschließlich der Besserung des eigenen Beschwerdebildes dient, bleibt oftmals auf der Strecke.
Leistungsgesellschaft begünstigt Ritalin-Behandlung
Der gesellschaftliche Druck, welcher gegenwärtig innerhalb der von Leistung bestimmten deutschen Gesellschaft herrscht, begünstigt – vor allem bei Kindern – das Ausbilden von Verhaltensauffälligkeiten und letztlich Verhaltensstörungen wie ADS/ADHS. Die aktuelle gesellschaftliche (Arbeits-)situation ist davon geprägt ständig Präsenz, Willensstärke, Einsatz und Leistungsfähigkeit zeigen zu müssen, um mithalten zu können und innerhalb der Spirale gesellschaftlicher Beschleunigungstendenzen nicht unterzugehen (vgl. Knab. 2010: 52ff.). Dieses permanente Funktionieren Müssen, das sich bereits für Kinder im Kleinkind- und Grundschulalter derart bemerkbar macht, dass sie sich durch konformes Verhalten in gesellschaftliche Normen einzugliedern haben – im Kontext des Kindergartens, in der Familie und später in der Grundschule – und unter dem Druck stehen, konstant Leistung abverlangt zu bekommen, schafft nicht selten ein Gefühl der Überforderung[12]. Um diesem gegenwärtig herrschenden und innerhalb der vergangenen Jahre gestiegenen Leistungsdruck standzuhalten, bleibt es vor allem bei Kindern nichts aus kompensatorische Verhaltensauffälligkeiten auszubilden – diese machen sich in Form von Impulsivität, Hyperaktivität oder zahlreichen anderen Symptomen bemerkbar (vgl. Hoffmann. 2012). Kinder, die durch Verhaltensstörungen und Leistungsschwäche negativ auffallen, werden heute zum einen durch Psychopharmaka von ihren störenden Symptomen befreit und förmlich ruhig gestellt, zum anderen werden sie durch den gezielten medikamentösen Einsatz leistungssteigernder Drogen zu energiegeladener Leistungsfähigkeit gepuscht. Gerd Glaeske, Professor für Arzneimittelversorgungsforschung an der Universität Bremen und ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrates für Gesundheit, ,,spricht bei ADS/ADHS von ,,Zuschreibungsdiagnosen“, welche unter gesellschaftlichem Druck ausgestellt werden, um die Gabe leistungssteigernder Mittel zu legitimieren“ (ebd.) – im Falle von ADS/ADHS ist als primär vorherrschend das Medikament Ritalin zu betonen, das innerhalb der vergangenen Jahre enorm expandierte Zahlen zu verbuchen hat. Es besteht die gefährliche Tendenz von Seiten der Eltern, in Verbindung mit Ärzten, abnormales Verhalten und verminderte Leistungsfähigkeit – insbesondere bei Kindern im Kontext der Grundschule auftretend, teilweise aber auch schon früher – als ,,Krankheit“ zu verurteilen und vor-schnell medikamentös zu behandeln, nur um die Kinder als möglichst erfolgreich und leistungsstark präsentieren zu können – koste es, was es wolle. Dieses gegenwärtig vorherrschende, auf permanente Leistungserbringung abzielende, sich veränderte gesellschaftliche Bewusstsein fördert das Entstehen von Verhaltensstörungen, wie dem Aufmerksamkeits-/Defizitsyndrom.
Resümierend kann festgehalten werden, dass ADS/ADHS gegenwärtig überaus kritisch betrachtet werden sollte. Denn, die eine Verhaltensstörung aufweisenden, Kinder stellen nicht das eigentliche Problem gegenwärtiger Debatte über eine ADS/ADHS-Zunahme dar. Vielmehr ist eine Gesellschaft, wie die unsrige, als ,,krank“ zu bezeichnen, welche die nicht in die Verhaltensnorm passenden Kinder mit Psychopharmaka ruhig stellt, durch aufputschende Drogen wie Ritalin versucht, das Leistungsdefizit auszugleichen und die mit der nach Profit strebenden und durch die gestiegenen Diagnosestellungen den Absatzmarkt ankurbelnden Pharmaindustrie unter einer Decke steckt. Bedauerlicherweise sind die Verhaltensstörungen ausweisenden Kinder, bei denen oftmals vorschnell ADS/ADHS diagnostiziert wird und die dadurch als ,,krank“ stigmatisiert werden, die eigentlichen Leidtragenden der pathologisch anmutenden Entwicklung der Krankheit ADS/ADHS.
Literaturverzeichnis:
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Prof. Dr. Türcke, Christopf. SWR2-Forum (Beitrag vom 06.03.2012):
,,Im Notfall Ritalin“
http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/swr2-forum/rueckschau/-/id=660194/nid=660194/did=9212220/o51j1i/index.html
Tennemann, Anke. (04.09.2009): Curado. Ihr Leben – ihre Gesundheit. Psychische Erkrankungen.
Die ADHS-Diskussion: http://www.curado.de/Definition-ADHS-13388
[1] Ziel vorliegenden Textes ist es, das veränderte Ausmaß der Erkrankung und deren Behandlung unter kritischen Gesichtspunkten zu veranschaulichen. Die genaue Bezeichnungsunterscheidung der Krankheit in ADS (Auf-merksamkeitsdefizit-Syndrom ohne Hyperaktivität) und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom mit zusätzlicher Hyperaktivität) spielt in dem Text keine explizite Rolle. Aus diesem Grund beziehen sich sämtliche Ausführungen sowohl auf das ADS als auch auf das ADHS, weshalb zur Vereinheitlichung die Schreibweise ADS/ADHS gewählt worden ist.
[2] Zu erwähnen sei an dieser Stelle, dass die objektiv beobachtbaren Kriterien zur Diagnosestellung der Er-krankung ADS/ADHS oftmals von Seiten der Ärzte anhand allgemeingültig verzeichneter Erkrankungssymptome abgehandelt werden und vielfach bereits verhaltensauffälligen Kindern eine Erkrankung ,,angedichtet“ wird, die nur einige wenige der für die Erkrankung notwendigen Symptome aufweisen, ohne dass eine Erkrankung tatsächlich medizinisch vorliegt und eine solche Diagnose wirklich angebracht ist. Symptome der Verhaltensauffälligkeit, wie etwa beeinträchtigte Aufmerksamkeit,Impulsivität, Hyperaktivität (bei ADHS) oder Störungen des Sozialverhaltens im Allgemeinen, auf die im Folgenden der Arbeit noch näher eingegangen wird, können bei Kindern im Kleinkind- und Grundschulalter auch mit sozialisationsbedingten Ursachen zusammenhängen, die sich unter Umständen im Laufe der Pubertät allmählich von ganz alleine wieder legen – diese Chance der natürlichen Entwicklung wird mit einer vorschnellen Diagnosestellung der Erkrankung ADS/ADHS unterbunden.
[3] Je nach Krankheitsausprägung kann prinzipiell von verschiedenen Typen von ADS/ADHS gesprochen werden. Diese Differenzierung reicht vom hyperaktiv-impulsiven Typ (,,Zappelphilipp“), über den aufmerksamkeitsgestörten Typ (,,Träumsuse“), bis hin zum kombinierten Mischtyp, welcher sowohl aufmerksamkeitsgestört, als auch hyperaktiv ist. Vgl. GNetz. Das Gesundheitsnetz. Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung. Definition/Allgemeines. http://www.g-netz.de/Gesundheit_A-Z/Index_A-D/adhs/adhs.shtml.
[4] Die enorme Zunahme der Verordnungen des Medikaments bezieht sich sowohl auf Kinder und Jugendliche, als auch auf Erwachsene – vorliegende Arbeit ist jedoch lediglich an der kritischen Hinterfragung gestiegener Medikamentenverordnung im Bereich von Kindern im Kleinkind- und Grundschulalter (3 – 10 Jährigen) in-teressiert und spart die zunehmende Zahl der Jugendlichen und Erwachsenen, die das Medikament verschrieben bekommen, aus. Unter dieser Prämisse wird das Ausmaß der Verordnungen des Medikaments etwas eingedämmt.
[5] Als weiteres Beispiel für schweres Differenzieren zwischen Erkrankung und Symptomen ist das sog. ,,Burnout-Syndrom“ zu nennen – hier stehen ebenfalls intersubjektiv nachvollziehbare subjektive Urteile im Vordergrund.
[6] Es besteht aus medizinischer Sicht ein klarer Unterschied zwischen einem lebhaften und einem zappeligen Kind. Lebhaftes Verhalten zeichnet sich durch kontrollierte, freudige und gezielte Bewegungen aus, zappeliges Verhalten hingegen verfolgt kein konkretes Ziel. Diese eigentlich trennscharfe Differenzierung wird allerdings oftmals nicht präzise genug gezogen, sodass es – in Verbindung mit weiteren Symptomen – nicht selten vorschnell zu einer ADS/ADHS Diagnose kommen kann.
[7] Für eine umfassende und aussagekräftige Diagnosestellung sind Aussagen über Verhaltensauffälligkeiten von Seiten der Eltern und ggf. der Lehrer einzubeziehen. Ferner besteht im Falle von ADS/ADHS keine einmalige und endgültige Diagnosestellung, sondern verhaltensauffällige Kinder sind konsequent über einen längeren Zeitraum hinweg zu beobachten, um die Diagnose und die jeweilige (medikamentöse) Therapie dem Ausmaß der Auffälligkeiten anzupassen.
[8] Auch wenn sich der Beitrag und die Aussage von Herrn Moormann im Besonderen auf Niedersachsen beziehen, zeichnet sich doch in den anderen deutschen Bundesländern ein sehr ähnliches Bild der Erkrankungszunahme ab, sodass von einer allgemeinen ADS/ADHS Zunahme im gesamten deutschen Bundesgebiet gesprochen werden kann.
[9] Es ist gesetzlich festgesetzt, dass das Medikament Ritalin mit dem Wirkstoff Methylphenidat erst ab einem Alter von 6 Jahren oder älter medizinisch verordnet bzw. von Seiten der Ärzte verabreicht werden darf.
[10] Der Wirkstoff Methylphenidat, welcher für eine Dauer von 4-8 Stunden am Stück wirkt, wird zur chemischen Leistungssteigerung eingesetzt, gilt als Aufputschmittel und fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. In positiver Hinsicht kann der Wirkstoff das subjektive Leistungsempfinden steigern und das positive Selbsterleben stärken. In negativer Hinsicht kann sich der Wirkstoff hingegen negativ auf den Appetit, den Schlaf und das Wachstum der Kinder auswirken; außerdem kann der Wirkstoff zu massiven körperlichen und psychischen Nebenwirkungen, wie beispielsweise zu Gefühlen der Selbstentfremdung, Abhängigkeit oder sogar Gehirnschädigungen führen. Vgl. Metzger, Jochen: ,,Wenn Zappelphillipp älter wird“. In: Psychologie Heute. 39. Jahrgang. Heft 1. Januar (2012). Weinheim: Beltz Verlag, S. 40 – 45.
[11] Die Diagnose ADS/ADHS wird nicht selten bei Kindern mit eigentlich völlig anderen Entwicklungs- bzw. Wahrnehmungsstörungen, wie etwa Legasthenie, Dyskalkulie (Rechenschwäche) oder psychomotorischen Störungen, gestellt und somit mit andersartig gelagerten Störungen verwechselt bzw. vermischt.
[12] Zu erwähnen sei an dieser Stelle, dass sich aufgrund beschleunigter gesellschaftlicher Prozesse – im Kontext des Arbeits-, Berufs- und Privatlebens – Überforderungstendenzen bei Jugendlichen und Erwachsenen in noch weitreichenderen Dimensionen offenbaren. Da allerdings das Entstehen der Verhaltensstörung ADS/ADHS bei Kindern im Kleinkind- und Grundschulalter Thema vorliegender Arbeit ist, wird ausschließlich der bereits auf Kindern lastende, dem Entstehen von ADS/ADHS förderliche, gesellschaftliche Druck thematisiert.
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