Claude Lévi-Strauss, der „wohl bedeutendste Ethnologe des 20. Jahrhunderts“[1], verstarb am 30. Oktober 2009 in Paris. In seinen Forschungen entwickelte er die ethnologische Methode des Strukturalismus weiter, insbesondere zur Analyse der Verwandtschaftssysteme und Denkformen der schriftlosen Gesellschaften.
Leben
Claude Lévi-Strauss, der am 28. November 1908 in Brüssel geboren wurde, studierte an der Pariser Sorbonne Rechtswissenschaften und Philosophie.[2] Nach einer Lehrtätigkeit an einem Gymnasium wurde er im Jahre 1935 als Gastprofessor für Soziologie an die Universität von São Paulo entsandt. Kurz nach dem Ausbruch des 2.Weltkrieges bekam er das Angebot, an der „New School for Social Research“ in New York zu unterrichten. Dort lernte er Roman Jakobson kennen, durch den sein linguistisches Denken wesentlich geprägt wurde. Gemeinsam mit anderen französischen Exilanten, die sich die Gegnerschaft zum antisemitischen Vichy-Regime in Frankreich auf die Fahnen geschrieben haben, gründete er die „École libre des hautes études de New York“, sozusagen eine Exiluniversität. Der Linguist Roman Jakobson war für ihn ein wichtiger Baustein in der Entwicklung seines Denkens.[3] Jakobson entwickelte ein linguistisches Modell, nach dem an jeder sprachlichen Mitteilung sechs Faktoren und Funktionen beteiligt sind (Kontext, Botschaft, Sender, Empfänger, Kontakt und Code).[4] Im Jahre 1944 kehrte Lévi-Strauss auf Bitten des Außenministeriums nach Frankreich zurück. Dort blieb er jedoch nur eine kurze Zeit und kehrte im Jahre 1945 als Kulturberater der französischen Botschaft erneut nach New York zurück. Nach 3 Jahren verließ er New York, um sich seinen anthropologischen Forschungen widmen zu können. Nach einem längeren Aufenthalt in Ost-Pakistan wurde er Direktor der „École pratique des hautes études“ in Paris. Dort übernahm er den Lehrstuhl und das Studienprogramm in vergleichenden Religionswissenschaften. Ab 1959 bekleidete er bis zu seiner Pensionierung 1982 den Posten des Professors für Sozialanthropologie am „Collège de France“. Im Laufe seiner wissenschaftlichen Laufbahn wurden ihm zahlreiche Ehrungen zuteil. Lévi-Strauss wurde unter anderem Ehrenmitglied der Königlich-Niederländischen Akademie der Wissenschaften und der Norwegischen Akademie der Wissenschaften. Er bekam im Jahre 1966 den Viking Fund Award der Wenner-Gren Foundation for Anthropological Research und im Jahre 2003 den Meister Eckhart-Preis in Deutschland verliehen.
Zentrale Forschungsfelder
Lévi-Strauss entwickelte sich im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere zu einem Räsonierer der abendländischen Lebensform. Das kulturelle Überlegenheitsgefühl des Westens gegenüber „primitiven“ Völkern stand ebenfalls im Mittepunkt seiner Kritik. Analog zum Menschenbild Jean-Jacques Rousseaus bewunderte Lévi-Strauss „primitive“, schriftlosen Kulturen:[5] „Das sind Völker, die das Wunder geschafft haben, im Einklang mit ihrem natürlichen Umfeld zu leben, und die Natur respektieren, die Tiere und die Pflanzen. Ich glaube, unsere Gesellschaften können viel von ihnen lernen.“
Mit dem Buch „Traurige Tropen“[6], in dem Lévi-Strauss seine Erfahrungen mit schriftlosen Gesellschaften in Brasilien niederschrieb, wurde er außerhalb der ethnologischen Fachwissenschaft einem breiteren Publikum bekannt. Seine These, dass bedingt durch die westliche Zivilisation diese schriftlosen Kulturen zum Untergang verurteilt sind, spaltete die Fachwissenschaft nicht nur in Frankreich. Lévi-Strauss betonte, dass der ungebändigte Turbokapitalismus den Menschen auf ein „ein ökonomisches Tier“ reduziert hat, das seine natürliche Umwelt immer mehr selbst zerstört. In zivilisationskritischer Manier beklagte er das utilitaristische Denken des maximalen Profites, das die Lebensgrundlagen der Menschheit in naher Zukunft vernichtet.
Lévi-Strauss prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des „wilden Denkens“.[7] Der Begriff besagte, dass die Reflektion der Mitglieder der „primitiven“ schriftlosen Kulturen demjenigen der Angehörigen der westlichen Industriegesellschaften in kognitiver Hinsicht weniger wert war. Das Denken der schriftlosen Kulturen war lediglich auf andere Ziele ausgerichtet.[8] In dem Buch „Das Ende des Totemismus“[9] verließ Lévi-Strauss den rationalen wissenschaftlichen Diskurs und ersetzte ihn durch den Bezug auf mythische Vorstellungen. Er korrigierte die Thesen der älteren Ethnologie, dass das Totem ein Zeichen für den Wunsch nach metaphysischer Orientierung sei. Lévi-Strauss dagegen behauptete, dass durch die Bestimmung eines bestimmten Totemtiers eine Gemeinschaft Differenz zu anderen Gemeinschaften herstellen wollte. Die mythische Weltsicht deutet Lévi-Strauss als den Versuch, den Gesamtzusammenhang des Universums – vom Ursprung der Götter über die Menschen bis hin zur Natur – in einer „Kunst des Kombinierens“ zu präsentieren.[10] In dieser Einheit der Schöpfung wurden soziale Beziehungen als ständiger Verweisungszusammenhang interpretiert. Vor allem bei den Mythen der indigenen Gesellschaften fand Lévi-Strauss Hinweise auf die Gestalt des menschlichen Geistes. Der Geist wurde dabei als „große kombinatorische Maschine“ gesehen, die sowohl im mythischen als auch im rationalen Denken tätig war. Diese Gedanken wurden vor allem in seiner vierbändigen Studie „Mythologica“[11] verarbeitet, wo er 813 Mythen der süd- und nordamerikanischen indigenen Gesellschaften analysierte und miteinander verglich. Dabei entdeckte er mehrere grundlegende „Shortscripts“, d.h „Typen“ von mythischen Geschichten, die immer wieder vorkamen. Durch die Erforschung indigener Mythen wollte Lévi-Strauss zeigen, dass sich im bildlichen Denken der „primitiven“ schriftlosen Gesellschaften. Strukturen befinden, die in vielen dem der westlichen Weltbilder entsprechen. Die Entstehung und Weitergabe von Mythen erklärte er mit dem Bild der „Bricolage“ („Bastelei“). Der Bastler erfindet keine völlig neuen Dinge, sondern improvisiert und kombiniert Materialien, die er gerade zur Hand hat.[12]
Lévi-Strauss war der Ansicht, durch Analyse der Mythen zu den grundlegenden Strukturen des menschlichen Denkens vorstoßen.[13] Die Mythen sind ein Produkt der entsprechenden Kultur und geben somit Informationen über die die Kultur strukturierenden Denkgesetze wieder. Diese Denkgesetze werden durch die Struktur und die Wirkungsweise des menschlichen Gehirns bestimmt, die die menschlichen Ausdrucksformen strukturieren.
Außerdem vertrat Lévi-Strauss den Ansatz der Übertragbarkeit von linguistischen Konstrukten auf die Anthropologie sowie die Kultur.[14] Die Kultur sei der Sprache ähnlich; lediglich Außenstehende könnten die ihr zugrunde liegenden Strukturen und Grundsätze interpretieren. Den Begriff der sozialen Struktur, der eine zentrale Rolle in seinen anthropologischen Vorstellungen einnahm, definiert er folgendermaßen:[15] „Der Begriff der sozialen Struktur bezieht sich nicht auf die empirische Wirklichkeit, sondern auf die nach jener Wirklichkeit konstruierten Modelle“. In seinem im Jahre 1949 veröffentlichen Werk „Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft“[16] entfaltete er die These, dass die gesamte Kultur auf Inzestverbot und Frauentausch beruhe. Die Wechselwirkung von Heiratsstrukturen und Tauschregeln erforschte Lévi-Strauss mit selbst erstellten Diagrammen und mathematischen Schemata.[17] Diese Vorgehensweise machte ihn zum Begründer des ethnologischen Strukturalismus. Neben den Linguisten Ferdinand de Saussure und Roman Jakobson galt er auch als Begründer der Schule des Strukturalismus, auf den sich poststrukturalistische Theoretiker wie Michel Foucault bezogen.[18]
So überragend seine Leistungen auf dem Gebiet der Anthropologie sowie der Soziologie auch waren, die Person Lévi-Strauss hatte auch ihre hässlichen Seiten. Mit dem arroganten Ausspruch „Jahrhundertealte Regeln ändert man nicht.“ lehnte er die Aufnahme von Frauen in die Académie Française ab. Weiterhin machte er die Errungenschaften der Französischen Revolution für die „Verfehlungen der westlichen Welt“ mitverantwortlich.[19] Das Aufkommen faschistischer Regime in Europa und Südamerika und besonders das nationalsozialistische Deutschland verharmloste er, indem er eine naturgesetzhafte Tendenz von Überbevölkerung feststellte und damit entpolitisierte:[20] „In diesem Licht gesehen, kann ich die Ereignisse, die seit zwanzig Jahren auf der Bühne Europas stattfinden und ein Jahrhundert resümieren, in dessen Verlauf seine Bevölkerung sich verdoppelt hat, nicht mehr die Folge der Verirrung eines Volks, einer Doktrin oder einer Gruppe von Menschen sehen. Ich sehe in ihnen vielmehr das Anzeichen einer Entwicklung hin zur geschlossenen Welt, deren Erfahrung Südasien ein oder zwei Jahrtausende vor uns gemacht hat und der wir uns, falls nicht große Entscheidungen getroffen werden, vielleicht nicht werden entziehen können. […] Im indianische Amerika liebe ich den selbst dort flüchtigen Widerschein eines Zeitalters, in dem sich der Mensch auf der Höhe seines Universums befand und in dem ein adäquates Verhältnis zwischen der Ausübung der Freiheit und ihren Zeichen bestand.“
Literatur
– de Ruijter, A.: Claude Lévi-Strauss, Frankfurt am Main 1991
– Dick, M.: Welt, Struktur, Denken. Philosophische Untersuchungen zu Claude Lévi-Strauss, Würzburg 2008
– Halenstein, E.: Von der Hintergehbarkeit der Sprache. Kognitive Unterlagen der Sprache, Frankfurt am Main 1980
– Jakobson, R./Morris, H.: Grundlagen der Sprache, Berlin 1960
– Lévi-Strauss, C.: Die traurigen Tropen, Frankfurt am Main 2008
– Lévi-Strauss, C.: Das wilde Denken, Frankfurt am Main 1973
– Lévi-Strauss, C.: Das Ende des Totemismus, Frankfurt am Main 1965
– Lévi-Strauss, C.: Mythologica I-IV., Frankfurt am Main 2008
– Lévi-Strauss, C.: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Frankfurt am Main 1981
– Neuner, K.: Anthropologie, Berlin 1995
– Walitschke, M.: Wald der Zeichen Linguistik und Anthropologie. Das Werk von Claude Lévi-Strauss, Tübingen 1994
– http://sciende.orf.at/stories/1631196/1631106
– www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,659105,00.html
– www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/de-wilde-denker-1/
[1] http://sciende.orf.at/stories/1631196/1631106 [2] de Ruijter, A.: Claude Lévi-Strauss, Frankfurt am Main 1991, S. 17ff
[3] Halenstein, E.: Von der Hintergehbarkeit der Sprache. Kognitive Unterlagen der Sprache, Frankfurt/Main 1980, S: 6
[4] Vgl. dazu Jakobson, R./Morris, H.: Grundlagen der Sprache, Berlin 1960
[5] Zitiert aus http://sciende.orf.at/stories/1631196/1631106/ [6] Lévi-Strauss, C.: Die traurigen Tropen, Frankfurt am Main 2008
[7] Lévi-Strauss, C.: Das wilde Denken, Frankfurt am Main 1973
[8] www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,659105,00.html
[9] Lévi-Strauss, C.: Das Ende des Totemismus, Frankfurt am Main 1965
[10] http://sciende.orf.at/stories/1631196/1631106/ [11] Lévi-Strauss, C.: Mythologica I-IV., Frankfurt am Main 2008
[12] www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/de-wilde-denker-1/
[13] Dick, M.: Welt, Struktur, Denken. Philosophische Untersuchungen zu Claude Lévi-Strauss, Würzburg 2008, S: 15
[14] Walitschke, M.: Wald der Zeichen Linguistik und Anthropologie. Das Werk von Claude Lévi-Strauss, Tübingen 1994, S: 12
[15] Zitiert aus Neuner, K.: Anthropologie, Berlin 1995, S. 145
[16] Lévi-Strauss, C.: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Frankfurt/Main 1981
[17] www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,659105,00.html
[18] www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/de-wilde-denker-1/
[19] www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,659105,00.html
[20] Lévy-Strauss, Traurige Tropen, a.a.O., S. 142
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