Zum Katholischwerden

Protestanten erkannte man früher daran, daß sie nicht katholisch sein wollten. Einig waren sie sich seit Martin Luther vor allem in der gemeinsamen Abkehr von der katholischen Kirche. Daraus bezogen sie vorrangig ihre neue Identität. Innerhalb dieser großen Auflehnung ereignete sich jedoch in den fünfhundert Jahren seit der Reformation soviel innerprotestantischer Protestantismus, daß sich die Gemeinsamkeit in der Vielfalt der Bekenntnisse aufsplitterte. Zudem hatte die katholische Kirche ihre Lektion aus der Reformationsgeschichte gelernt und bot immer weniger Angriffsflächen, vor allem seit dem II. Vatikanischen Konzil, von dem sich freilich die Piusbrüder distanzierten.
Immer neue Spaltungen im Zuge einer extremen Individualisierung führen zu der aparten Vorstellung, jeder Christ sei zur religiösen Selbstverwirklichung berufen, er sei unabhängig von der Kirche, die ihm den Glauben überlieferte, und schließlich sein eigener Papst – natürlich unfehlbar. Auch den Anhängern eines „sola scriptura“-Prinzips kann bei einem flüchtigen Blick in die Bibel der urchristliche Einigungssinn nicht entgangen sein, dem das Amt des Petrus zu dienen hat. Der Papst trägt seit langem schon den Titel „Diener der Diener Gottes“. Bescheidener geht’s nimmer. Daraus hat sich freilich im Mittelalter ein weltlicher Herrschaftsanspruch entwickelt, dem vor allem Benedikt XVI. mit seinem Programm der „Entweltlichung“ entgegentrat. Sein Nachfolger ist inzwischen noch einen Schritt weiter (oder zurück) gegangen und bezeichnet sich schlicht als „Bischof von Rom“. Papst Franziskus hat damit keinen Amtsverzicht geleistet, sondern bei seiner brasilianischen Missionsreise bewiesen, daß es ein Amtscharisma gibt, das sogar eingefleischte Antipapisten für den biblischen ökumenischen Glauben erwärmen kann. Dieser Papst ist zum Katholischwerden.
Daß die sehr unterschiedlichen inhaltlichen Bekenntnisse des Glaubens der christlichen Glaubwürdigkeit zuwider sind und eine gemeinsame Mission kaum zulassen, wird zu Recht bedauert. Aber käme eine inhaltliche und institutionelle Einigung eines Tages einmal wirklich zustande, müßte man schon am nächsten Tag mit einer neuen Abtrennung rechnen. Deshalb bleibt die interkonfessionelle Ökumene, realistisch betrachtet, wohl stets eine unvollendete Aufgabe. Es sei denn, dem Heiligen Geist würde ein unmittelbares und endgültiges Eingreifen zur Einheit der Christen gefallen.
Am Papsttum dürfte eine Wiedervereinigung der Christen inzwischen am wenigsten scheitern, denn es ist ja gerade der Ausweis der christlichen Gemeinschaft – und nicht, wie Luther noch meinte, das Symbol des Antichristen. Daß einige Päpste vielleicht der ewigen Verdammnis verfielen und in der Hölle schmoren, überlassen wir der Phantasie Dantes, vor allem aber der gerechten Güte Gottes.
Inzwischen aber darf man erstaunt erfahren, daß sich viele Protestanten eher mit dem Papst identifizieren, der nicht nur in Brasilien den gemeinsamen Glauben für alle sehr einfach-biblisch gepredigt hat, als mit der eigenen Kirchenleitung, die diesen Glauben manchmal ziemlich verwischt. Vorallem in moralisch-ethischer Hinsicht.
Nachdem sich viele katholisch-protestantische Differenzen auf dogmatischem Felde erledigt haben, bahnen sich nun neue ethische und ekklesiologische Kon-traste an, die vor allem so wesentliche Institutionen wie Ehe und Familie betreffen. Das neue Orientierungspapier der EKD gibt einen guten Aufschluß über das jetzt vorherrschende Verständnis vieler deutscher Protestanten über das Bild, das sie sich von Ehe und Familie machen. Es bestätigt zunächst, daß sich der deutsche Mehrheitsprotestantismus immer noch und erneut in Abgrenzung zur katholischen Kirche definiert. Ein authentisch christliches Verständnis von Ehe und Familie biblisch zu begründen und in ihnen sogar eine „kleine Kirche“ anzuerkennen, liegt den Autoren der Studie fern. Sie scheinen nicht an einem Konsens mit katholischen Interpreten der Heiligen Schrift interessiert zu sein. Sondern sie interpretieren die Bibel nach ihrem eigenen Gusto, und zwar im „hermeneutischen“ Anklang mit dem vorherrschenden Geist einer Zeit, wie er von gewissen politischen Parteien, Bewegungen und Medien – und leider auch vom völlig politisierten Bundesverfassungsgericht – verkörpert wird.
Aus christlicher Sicht ist die staatlich-rechtliche Gleichstellung homosexueller Verbindungen nicht hinnehmbar, weil sie in Konkurrenz treten zu einem christlichen Ehe- und Familienverständnis, das neben der lebenslangen Liebe und Treue der Ehepartner eben gerade auch auf die Erzeugung und Erziehung des Nachwuchses ausgerichtet ist. Warum anerkennt der Staatrechtlich nicht das Zusammenleben und solidarische Zusammenstehen von Partnerschaften zwischen Menschen, die etwa als Geschwister füreinander eintreten? Ihnen ein inzestuöses Verhalten zu unterstellen, wäre infam. Noch nicht wird staatlicherseits die islamische Polygamie anerkannt. Das aber ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Durch diese Gleichmacherei wird das naturrechtliche Wesen von Ehe und Familie völlig verkannt. Zu befürchten ist jetzt auch, daß homosexuellen Partnern ein Adoptionsrecht eingeräumt wird. Das werden wohl dann auch die C-Parteien schlucken mit dem Hinweis: Wenn sich nicht einmal die christlichen Kirchen in dieser Frage einig sind, werden wir nicht ein katholisches Sondergut retten.
„Die Protestanten“, d.h. ihre Repräsentanten scheinen inzwischen wieder einmal ziemlich daneben zu liegen. Und zwar zunächst, was ihre Bibelexegese betrifft, die eine allgemein verbindliche Interpretation ihres Glaubens nicht zuläßt. Darin scheint jeder Protestant „sein eigener Papst“ zu sein. Andererseits sind es die vernunftbezogenen Bestimmungen, die auch in der biblischen Schöpfungsordnung zum Ausdruck kommen. Wenigstens in Sachen einer vernünftigen, allgemeinverbindlichen Ethik, also des Naturrechts, sollten sich Protestanten und Katholiken näherkommen. Das ist leider immer weniger der Fall. Weshalb heute die Ökumene zwischen Katholiken, Orthodoxen und Evangelikalen leichter möglich ist als mit deutschen Protestanten vom Schlage der EKD. Gut zu hören, daß fromme Protestanten gegen diese Art von Protestantismus protestieren.

www.die-neue-odrnung.de

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Über Wolfgang Ockenfels 43 Artikel
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels, geboren 1947, studierte Philosophie und Theologie in Bonn und Walberberg. 1985 erhielt er eine Professur für Christliche Sozialwissenschaften mit den Lehrgebieten Politische Ethik und Theologie, Katholische Soziallehre und Sozialethik, Wirtschaftsethik sowie Familie, Medien und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät Trier. Ockenfels ist zudem Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer BKU und Chefredakteur der Zeitschrift "Die Neue Ordnung" in Bonn. Er gehört zum Konvent Heilig Kreuz der Dominikaner in Köln.

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