Der Terror ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln
Ein geflügeltes Wort des Militärstrategen Carl von Clausewitz heißt bekanntlich: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Im Zeichen des Terrors müßte man ergänzen: Der Terror ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Terrorakte sind nicht neu, in modifizierter Form gab es sie bereits im Alten Rom durch Übergriffe der Germanen auf die Legionen Cäsars genauso wie in den Partisanenkämpfen im Dritten Reich. Allenthalben eignet dem Terror die Psychologie des Schreckens, des Unerwartbaren, das im Augenblick zuschlägt und aus dem Hinterhalt agiert.
Terrorakt an sich ist die Botschaft
Der Terror hat seine eigenen Gesetze, die dem des freiheitlichen Rechtsstaates diametral entgegenstehen und diesen in seiner Existenz gefährden, beziehungsweise in seiner Souveränität und Autonomie zeitweise außer Kraft setzen, die befriedete Ordnung in ein wohlorganisiertes Chaos lenken und ihn dort treffen, wo seine Achillesferse ist, in den Kommunikationszentren, in den Zentren der Macht und Kultur, in den architektonischen Denkmälern des liberalen Staates und seiner Freien Marktwirtschaft oder in den Symbolen des religiösen Glaubens. Dabei spielt es nur graduell eine Rolle oder macht einen Unterschied aus, ob es sich um einen politischen Terror wie bei der RAF oder um einen religiösen Terror wie beim „Islamischen Staat“ handelt, der seinerseits von einer rein-islamischen Religion wie einem neuen politischen Kalifat träumt, einem politisch-fundamentalistisch eingefärbten Staatsislam also.
Generell ist beim Terrorakt das Medium die Botschaft, wie Herbert Marshall McLuhan sagen würde. Wichtiger als die Toten ist die Inszenierung, die gezielte Provokation und Zerstörung der Insignien der (westlichen) Macht, mit denen der Terror bricht, die er herausfordert und die er zerstört, deren Gültigkeit und Anspruch er in Frage stellt und dabei die Fragilität, die Gebrechlichkeit des scheinbar perfekten Systems zum Ausdruck bringt. Der Terror ist der metaphysische Rest, der Horror jeden Staates – das Unverfügbare und Dämonische. Damit ist und bleibt er ein anti-systemischer Akt. Dies gilt sowohl für die Anschläge in New York, Madrid, Paris oder – wie am 22. März 2016 – in Brüssel. Gezielt wird in das Herz, in die Operativeder Macht. Mit Brüssel wurde aber nicht nur das Herz Europas verletzt, der Schlag richtete sich insbesondere gegen die Europäischen Union. Gegen ihre Verweigerung der unbegrenzten Migration und der unfreiwilligen Infiltrierung von nichtregistrierten Einwanderern, die im Gepäck nicht nur Frieden und Wohltat haben.
Mit der Schließung der Balkonroute und dem Ende der Willkommensromanik wurde dem „IS“ vorerst die Illusion und das Kalkül genommen, seine Kämpfer unfiltriert und willkürlich nach Europa einzuschleusen, wenngleich die Zahl derer, die bereits da sind, nach wie vor offen ist – die Dunkelziffer ist hoch. Doch der Traum der Dschihadisten, Europa von Innen zu unterwandern, aus dem Mark oder Kern heraus zu destabilisieren, geht damit nur noch begrenzt auf. Dennoch warten 400 bis 600 speziell ausgebildete Kämpfer darauf, Europa immer wieder und immer öfter ins Visier zu nehmen. Europa ist die alte und neue Zielscheibe des Terrors.
Die mediale Welt ist das perfekte Transportnetz
Dank der modernen Kommunikationsmedien rückt der Terror von den entlegensten Gegenden der Welt in den Raum der Öffentlichkeit, wird gleichsam omnipräsent – dies ist ein Novum. In einer global vernetzen Welt zeigt er sich nicht nur als ultima ratio von Menschen, die keine andere Wahlmöglichkeit sehen, um ihr perfides Denken, ihre Dämonie oder persönliche Kränkungen, ihren Narzißmus, mit Gewalt und Macht zu bekunden. Sondern die mediale Welt ist das perfekte Transportnetz, das dem Terror seine Transparenz verleiht und ihn universal zu einem perfiden Schauspiel werden läßt, das auf allen Tickern der Nachrichtensender, im Fernsehen oder im Internet die Spur des Grauens in Echtzeit überliefert. Ein besseres Medium kann sich der Terrorist nicht wünschen. Die Aufmerksamkeit ist ihm gewiß und macht gerade den „Charme“ seiner Botschaft aus; je radikaler diese ausgeführt wird, je mehr Blut und Absurdität sie ausstrahlt, desto intensiver wird diese konsumiert. Das Maß des Erschreckens wird dabei zum Maß des Konsums einerseits und löst andererseits beim Täter niedere Befriedigungsgelüste aus. Diese Befriedung der niederen Triebkräfte korrespondiert mit dem dahinterstehenden Drang zur Unterwerfung, wie er sich exemplarisch bei den fast rituellen Vergewaltigungsorgien des „IS“ zeigt.
Das Freund-Feind-Schema ist obsolet
Den Terroristen geht es nicht um einen Kampf auf Augenhöhe, nicht um das berühmte Freund-Feind-Schema Carl Schmitts, das sie bewußt außer Kraft setzen. Für sie ist der Feind nicht der griechische Echthros, der persönliche Gegner, den man haßt, sondern ihnen geht es gezielt um Demütigung. Und qualitativ zur Demütigung wächst der Triumph der Täter, ihre Selbstermächtigung, Gott und Richter zugleich zu spielen, über Tod und Leben zu entscheiden – das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Der Terror ist wohl die unpersönlichste Form von Gewalt
Der Terror ist wohl die unpersönlichste Form von Gewalt. Er wählt seine Opfer wahllos aus, er ist asymmetrisch, folgt keiner Logik und entsubjektiviert die Opfer. Er hebt die souveräne Existenz des Einzelnen, seine Individualität, Identität und Autonomie auf und bricht seine Körperlichkeit mit martialischer Gewalt. Wie in einem perversen Spiel geht es darum, das Maß des Schreckens, die Dimension der Gewalt, immer wieder negativ qualitativ zu steigern. Beim Terror, im Akt des Tötens, wird der Einzelne zum „Man“ Heideggers, zu einer unbestimmten Größe.
Terror ist kontingent
Terror ist Kontingenz in seiner absoluten Gewaltausübung, eine Kontingenz, die sich überall und immer, jederzeit und an jedem Ort ereignet. Er ist das Ereignis, das teilweise vereitelt werden kann, das sich aber durch seine Beliebigkeit weder voraussagen noch berechnen läßt. Es ist das Damoklesschwert, das dem Staat permanent seine Endlichkeit, seine Unfähigkeit aufzeigt, souverän Schutz zu gebieten. In seiner Kontingenz ist der Terror eine Konstante, die konstant in ihrer Kontingenz ist. Die Konstante des Terrors ist seine Unvorsehbarkeit.
Auch für die Angehörigen der Opfer ist das Abschiednehmen und Verzeihen schwierig, weil sich der Tötungsakt – anders als bei Exekutionen – nicht an einer ausgewählten Person, sondern am entpersonalisierten „Man“ abarbeitet. Der Zufall des Tötens macht es komplizierter, möglicherweise zu verzeihen. Trauer braucht Bestimmtheit, braucht Gründe, eine Logik des Verzeihens und nicht Wahllosigkeit und Willkür, denn die Angehörigen wollen die Tat verstehen, um diese zu verarbeiten. Wo blinder Zufall waltet, bleiben immer nur Fragen, die den Prozeß des Trauerns – samt seiner Irrationalität – nicht zu erklären vermögen. Was bleibt sind Wunden, die nie heilen. Wir werden uns daran wohl gewöhnen müssen.
Erschienen auf The European
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