Wulf Kirsten & Harald Gerlach auf dem „Olymp“ – Zu einer 30-jährigen Dichterfreundschaft

schreibmaschine blatt meinungsfreiheit presse retro, Quelle: guvo 59, Pixabay License, Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Ein Foto vom Frühjahr 2001zeigt drei Männer: den schwerkranken, in Leimen bei Heidelberg lebenden Harald Gerlach mit seinen aus Weimar angereisten Freunden Wulf Kirsten und Lothar Ehrlich, einem Germanisten. Gerlach litt unter einem Hirntumor, der das Sprachzentrum des Dichters zerstörte. Im Juni 2001 verstarb er –  mit nur 61 Jahren.

Was bot den Anlass für die jahrzehntelange Freundschaft dieser beiden Dichter? In der Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“ (NDL) hatte Kirsten 1969 neun „auffällige“ Gerlach-Gedichte gelesen. Den sechs Jahre jüngeren Erfurter Theatermann wollte der Weimarer Dichter und Lektor schnellstmöglich kennenlernen.

Kirsten selbst stand zu jener Zeit gleichfalls noch am Beginn seines Dichterlebens. Bereits im vierten Heft des – bis heute existierenden – „Poesiealbums“, welches Bernd Jentzsch von 1967 bis zur Biermann-Krise 1976 herausgab, stehen frühe Gedichte von ihm. Fünf Jahre später erschien die erste selbstständige Publikation Gerlachs –  das 56. Heft in derselben Lyrik-Reihe. Im Vorspann des Heftes „begrüßte“ Kirsten den Debütanten: Gerlachs in „Sprache aufgehobenes Landschaftserlebnis“ sei ein „glaubwürdiger Beitrag zum Weltverständnis“. Bald erkannte Kirsten, dass hier ein Poet heranwuchs, der sich rasch „freigeschwommen hatte“, ihm auf Augenhöhe begegnete.

An der Spitze des Aufbau-Verlages sahen die Verantwortlichen zu Beginn der siebziger Jahre, dass sich einige der noch lebenden Exilautoren nach und nach „ausgeschrieben“ hatten. Obgleich Kirsten in der Weimarer Dependance des Aufbau-Verlages vornehmlich für das literarische Erbe zuständig war, hatte die Leitung auch ihn gebeten, begabte, junge Autoren für den Verlag zu gewinnen. Zu seinen „Schützlingen“ gehörten ebenso Annerose Kirchner und Ulrich Berkes.  Harald Gerlach, der sich schnell in allen Gattungen etabliert hatte, war wohl das größte Talent in dieser Autorengruppe. Aus dem Lektor Kirsten wurde in kurzer Zeit Gerlachs Mentor, der beglückt war, nicht einen weiteren ehemaligen Germanistikstudenten vor sich zu haben.

Über seinen Freund hat Kirsten sechs essayistische Texte – darunter vier Nachworte – geschrieben. Das allein zeigt, welchen Rang er diesem Dichter zumaß. (Von Gerlach ist /mir/  bislang kein Essay über Kirsten bekannt.) Durch seine „Nachbemerkungen“ begleitete Kirsten in der „Edition Neue Texte“ (ENT) sowohl Gerlachs Lyrik- als auch sein fulminantes Prosadebüt.  Der erste Gedichtband „Der Sprung ins Hafermeer“ erschien 1973 und drei Jahre danach kam der Kurzroman (oder die Langerzählung) „Das Graupenhaus“ heraus. Im Jahre 1979 lag eine Verfilmung des Prosatextes vor, die jedoch erst 1982 gezeigt werden durfte.

Kirstens Nachsatz zu dem Lyrikband, in dem er den neuen Poeten vorzustellen gedachte, war mit „Barfuß über die Alpen oder die Landnahme“ überschrieben. Der erste Teil des Titels dürfte manchem Funktionär aufgestoßen sein. Vorsichtig hatte Kirsten angedeutet, dass der neue Autor im Frühjahr 1961die DDR verlassen und kam ein Jahr später „illegal“ zurück. Gefängnis und „Bewährung“ als Kiesarbeiter, Totengräber, Hofarbeiter und Kulissenschieber am Erfurter Theater waren die Folge. „War auch meine Biographie bis zum Herbst 1965 nicht eben geradlinig-zielstrebig verlaufen“, schreibt Kirsten 2013, „stellen Gerlachs Ab- und Umbrüche, die Schlingerbewegungen auf dem Weg zur Selbstfindung meine Mäander weit in den Schatten. Seine Ausbrüche mit existentiellen Grenzerfahrungen ließen ihn als Außenseiter erscheinen.“

Leicht war es nicht, einen „Nachwuchsautor“ –  Gerlach war damals 33 Jahre alt – mit dieser Vita durchzusetzen. Das „Vagantisch-Unstete“ bei Gerlach führte auch zu Pausen in der langen Freundschaft der Beiden.

Harald Schnieber, wie Gerlach mit Geburtsnamen hieß, qualifizierte sich zum Bühnenmeister, wurde Dramaturg und später Hausautor an der Erfurter Bühne. Er hatte sich  in die Opernsängerin Marlott Gerlach verliebte und nach der Hochzeit trug er ihren Familiennamen. Dramatischen Formen hatte sich Kirsten selbst niemals zugewandt. Dennoch wurde er – zu seiner Freude – zu vielen Premieren eingeladen. So sah er auch Gerlachs Stationendrama „Die Straße“ (1979), das historisch genau und zugleich sehr gegenwärtig das Scheitern eines jungen Dichters, des Frühaufklärers Johann Christian Günther (1695-1723), thematisiert. Kirstens Begeisterung für die Inszenierung war entschieden größer, als dies die Staatssicherheit für angemessen hielt. Über Günther hatte Kirsten 1992 ein langes Porträtgedicht geschrieben.

Welchen Druck der Freund an der Erfurter Bühne auszuhalten hatte, wusste Kirsten genauestens. Von der Obrigkeit wurden Theateraufführungen weit mehr beäugt als einzelne Lyrikeditionen. Fast zehn Jahre lang, etwa zwischen 1975 bis 1985, galten die beiden Dichterfreunde im vormaligen Bezirk Erfurt als unsichere Kantonisten, mit denen „man“ eher nicht zusammen arbeiten sollte. Erst der stellvertretende Kulturminister Klaus Höpcke konnte im „Duodezfürstentümchen“ (Kirsten) Schlimmeres abwenden.

Die Landschafter Kirsten und Gerlach haben sich ihre thüringischen und sächsischen Reviere „füßisch“ erschlossen, um  die Geschichte und die Geschichten dieser Provinzen in aller Ruhe zu erkunden. Im Jahre 1998 übertrugen sie ihre Freude am literarischen Wandern auf ein „Bäckerdutzend“, also auf 13 Schriftsteller-Kollegen. Diese folgten den Initiatoren auf den Thüringer Spuren des expressionistischen Dichters Jakob van Hoddis (1857-1942). In geistiger Umnachtung war van Hoddis des öfteren auf der Flucht, auf „Wanderschaft“. In dem kleinen, aber feinen, längst vergriffenen Büchlein „Wandern über dem Abgrund. Jakob von Hoddis nachgegangen – Eine Hommage“, das Wulf Kirsten herausgegeben hatte, fanden im Folgejahr die Texte aller Beteiligten Platz. Dies war zugleich ein Dokument für die letzte Wanderung, die das Dichterpaar gemeinsam unternommen hatte.

Beide Autoren haben sich gegenseitig Gedichte geschenkt, in denen die Poeten jeweils eine Wanderung in der Heimatregion des Anderen thematisierten. So widmet Gerlach dem Freunde im Wendejahr den im sächsischer Landschaft angesiedelten  dreistrophigen Text „Gründe, linkselbig“. Eingangs dichtet Gerlach wenig euphorisch:

„Die Muster der Landschaft, rhythmisch,

auf Schusters Rappen abgegrast, im Hin- und

Widerlicht zwischen Batzdorf und Gauernitz,

Verdrahtete Plantagenflur, zaunüber

Zu erwandern durch festgefahrne Arbeitsgassen,

umnebelt vom Herbizidsegen – gehopft wie

gesprungen.

 

DURCHFAHRT, BEGEHEN UND REITEN VERBOTEN! DER VERWALTER.“

 

In der Mitte des Gedichts, in der zweiten Versgruppe, ist davon die Rede, dass auch Novalis im „Miltitzschen Teehaus“ geweilt haben könnte. (Die späteren Recherchen Kirstens, des gebürtigen Sachsen, haben ergeben, dass der Ort kein „Nebenschauplatz der sächsischen Romantik“ gewesen war. /2013/)

Im Jahre 2011, zehn Jahre nach Gerlachs Tod, schenkte Kirsten dem Freunde ein achtstrophiges Gedicht, das im Folgejahr in seinem letzten Lyrikband „fließende ansicht“ zu finden ist: „Gleichberg im schneesturm“. Auf den ersten Blick ist scheinbar „nur“ von einer winterlichen Wanderung zweier Poeten die Rede. Das Grabfeld erkunden beide eine Region, die bis 1990 die thüringisch-fränkische Grenze gewesen war. Sieht der Leser genauer hin, so entdeckt er ein präzises, umfassendes Porträt Harald Gerlachs, das zu einer Laudatio gerät. Dieses Loblied verwebt Kirsten mit einem Nachdenken über den Gleichberg als einem alten Kulturort und den schmerzlichen Erfahrungen der Trennung Deutschlands.

Dass Kirsten den Freund zu Beginn, gleich in der zweiten Versgruppe, „Graupenhaus-Gerlach“ nennt, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen spielt Kirsten auf das beachtliche Prosadebüt von 1976 an. Autor und der Titel des Debüts werden zusammengerückt, so als würde man vom „Räuber-Schiller“ oder dem „Werther-Goethe“ sprechen.

Wesentlicher aber ist, dass der junge Gerlach das Römhilder Stadtschloss, die Glücksburg, in der Nachkriegszeit als ein „Graupenhaus“ erfahren hat. Gerlachs kriegsversehrter Vater – dem der Sohn im Buch ein Denkmal setzt – leitete dort ein Waisenhaus, das später Jugendwerkhof wurde. Der spätere Dichter lebte unter den Jugendlichen, ohne selbst dazu zu gehören. Aus dieser Distanz konnte Gerach, das Rotwelsch aufnehmend, Jahrzehnte später seine Jugenderfahrungen schildern.

Kirsten erinnert sich, dass er seine „Nachbemerkung“ zum „Graupenhaus“, einem „Unikat“ der DDR-Literatur, erst schreiben konnte, nachdem er den Schauplatz und das Römhilder Umland in den Blick genommen hatte. Die Einwohner der Kleinstadt nennen im Text das Kinderheim „Zuchthaus“. Genauestens beschreibt Gerlach die Differenzen zwischen den geflüchteten, hungernden, Graupensuppe löffelnden Jugendlichen und den argwöhnischen Einheimischen, denen es besser geht, da sie Lebensmittel und Schlachtvieh vor den Behörden verstecken. Dies ist durchaus nicht das einzige Unrecht der Römhilder, dass der realistische Erzähler zu schildern weiß. „Dass ich seinerzeit Harald Gerlach ermutigte, wenn nicht gar bedrängte, am Tatort des Geschehens sich dem ortsansässig Publikum zu stellen, darunter auch einige der Porträtierten, habe ich nach der Veranstaltung schwer bereut und mir eine Lehre sein lassen.“ Dies notierte Kirsten 1999 für die „Palmbaum“- Leser und vor allem für den Freund zum 60. Geburtstag.

Ein „begnadeter fußgänger / nicht nur im Grabfeld“ war der groß gewachsene Freund Gerlach gewesen. Vor allem kannte er die Landschaft seiner Jugend, ihre Geschichte, das Arbeitsleben der Einheimischen:

„…… , der wußte,

wie basalt gespellt und per seilbahn,

gen Römhild zu tale gehievt wurde.“

Kirstens Nachdenken über den vor einem Jahrzehnt Verstorbenen geht soweit, dass er in dem Gedicht von 2011 auch Menschen nachgeht, die den Dichter Gerlach beeinflussten und die er literarischen gestaltete:  Z. B. den Oberförster Emil Gundelwein, dem Kirsten niemals persönlich begegnet war, dessen Wohnort er aber fand. Die gesamte sechste Strophe widmet der Lyriker dieser Gerlach-Figur

„am bergfuß mitten im schlamm werkte

eremit Gundelwein in seiner darre,

ein panjepferdchen samt wagen

hielt er verbindung zur welt,

bis der tod ihn in seiner einsamkeit einband.“

Während Kirsten den Dichterfreund ausgiebig und liebevoll porträtiert, wirft er auf Friedrich Hölderlin (1770-1843) und Helga M. Novak (1935-2013) eher Schlaglichter. So gewinnt das Gedicht an Tiefe, zumal sich der Blick des Dichters auf einen Großen der klassischen Periode und eine zeitgenössische – im Osten Deutschlands fast unbekannte – Poetin richtet. Autoren sind dies, die für Harald Gerlach in gleicher Weise wichtig waren.

An den Part über den „Graupenhaus-Gerlach“ schließt sich die dritte Versgruppe an, die erneut demonstriert, dass ein Nachdenke über die Gleichberge für Kirsten und Gerlach stets von politischer und nationaler Bedeutung war.

„hier oben stand er, hofmeister Hölderlin,

zu diensten in Waltershausen nahebei,

und sah sich auf dem Olymp, wie er

so um sich blickte und dachte sich

Deutschland im großen und ganzen.“

Kirsten spielt hier wohl auf das ambivalente Verhältnis Hölderlins –  der so große Hoffnungen auf die Französische Revolution und ihre Folgen gesetzt hatte – zu den Deutschen an. „Gedankenvoll und tatenarm“ nennt Hölderlin sie in dem Gedicht „An die Deutschen“* (Beißner, S. 235), ebenso am Ende des Romanfragments „Hyperion“. Hyperions später Brief an Bellarmin hebt mit dem Satz an: „So kam ich unter die Deutschen“* (Beißner, S. 636). Sehr deutlich „spricht“ Kirstens Gedicht mit Gerlachs lyrischem Text „Hölderlins Ätna“, der sich in seinem letzten Gedichtband „Nirgends und zu keiner Stunde“ (1998) findet.

Unzählige Poeten hätten, so Kisten, den „thüringischen“ Olymp bestiegen. Lediglich seine Kollegin Novak, die für einige Zeit in Bellensee, westlich der Gleichberge wohnte,  hatte einen anderen Blick auf den „ruhmbedeckten berg“, merkt Kirsten an:

„nur die Novak sah ihn von drüben

über landminen und stacheldraht weg.“

An eine Dichterin erinnert Kirsten hier, die 1957, in den finsteren Zeiten des Kalten Krieges, mit 22 Jahren die DDR verließ, um der Arbeit für den Staatssicherheitsdienst zu entgehen. Freiwillig, wie schon Gerlach, kam die geborene Berlinerin 1965 in die DDR zurück. Reichlich zehn Jahre später wurde ihr wegen ihrer kritischen Gedichte und Prosatexte das DDR-Bürgerrecht abgesprochen. In seiner Autobiographie „Warte nicht auf bessre Zeiten!“ schreibt Wolf Biermann über seine Lieblingspoetin: „Ich hielt sie immer und halte sie für die stärkste Dichterin unter den Deutschen.“ (2. Auflage, S. 502)

*

Es gibt weitere Berührungspunkte zwischen den Gerlach und Kirsten, die hier nur angedeutet

werden sollen: „Eine Zeitlang trugen wir uns mit dem Gedanken, dem Leben Friedrich Lambertys, genannt Muck (1891-1984), legendenumwehter Flagellant der Jugendbewegung, auf die Spur zu kommen.“ Wulf Kirsten hat – für das dann fallengelassene Projekt – den alten Muck, der noch einmal auf die Leuchtenburg bei Kahla zurückkehren wollte, angeschrieben.

„In Gerlachs Abenteurer-Galerie“, notierte Kirsten 2013, „hätte sich dieser entsprungene Marinesoldat, der zum anarchistischen Revolutionsheiligen mutierte, wunderbar einfügen lassen.“ Ob die Naumburger Publizistin Heidemarie Hecht von den Lamberty-Plänen der Dichterfreunde erfahren hat, ist (mir) nicht bekannt. Ihr Buch „Friedrich Muck-Lamberty-Ein völkischer Freigeist“, das 2020 um Jenaer quartus Verlag erschien, ist ein gelungenes, materialreiches Porträt dieser Persönlichkeit. Vielleicht hätte bzw. hat es den Dichtern zugesagt.

Der vielgeehrte Kirsten und Harald Gerlach haben den Louis-Fürnberg-Preis erhalten (1972 bzw. 1985). Zum 80. Geburtstag Fürnbergs (1989) hatte die Erfurter Zeitung „Das Volk“ alle mit dieser Auszeichnung Geehrten um einen Text gebeten. Als Kirsten 2009, zum 100. Fürnberg-Geburtstag, im Weimarer Schloss eine, auch kritische Festrede hielt, hat der erste Fürnberg-Preisträger ausgiebig aus Gerlachs zwei Jahrzehnte altem Kurzbeitrag zitiert. Auch dies zeigt, wie sehr der Ältere den Jüngeren, der für kurze Zeit sein „Schüler“ war, schätzte.

Die von Wulf Kirsten 1996 begründete „Thüringen Bibliothek“ beginnt mit einem Gerlach-Bändchen: „Fortgesetzte Landnahme – Fußnoten zum Zeitgeist“. Ein „Nachsatz“ des Freundes steht – wie oft – am Schluss.

*

Nach Walter Werner (1992), Harald Gerlach (2001), Hanns Cibulka (2004) ist nun mit Wulf Kirsten (2022) ein weiterer Thüringer Dichter von Rang gestorben. Ein Quartett fehlt.

Wulf Kirstens Werk, seine Gedichte, Erzähltexte, Essays und Reden wird – mit unserer Hilfe – bleiben. In der Erinnerung vieler Leser und Mitstreiter lebt ein großer Herausgeber, ein „Anthologist“, wie sich der Editor selbst nannte, ein solidarischer und kritischer Mentor für nachwachsende Dichter, bildende Künstler und Wissenschaftler weiter. Niemals hat Kirsten große Worte über seine Hilfe für Andere verloren. Auch sei daran erinnert, dass sich Wulf Kirsten nach 1989 in der Bürgerrechtsbewegung engagierte und für einige Zeit im Weimarer Stadtparlament wirkte.

**

Zwei Drittel der jahrzehntelangen Freundschaft der Dichter waren die literarischen Erkundungen in Sachsen und Thüringen zur Zeit der deutschen Teilung auch politische Grenzerfahrungen. Davon spricht Kirstens Gedicht „Gleichberg im schneesturm“, das er dem Freunde postum geschenkt hatte. Am Ende lesen wir:

„mit Gerlach hinaufgestiegen auf den Olymp,

schneeverhangen, peregrinisch* erprobtes

gespann, wir sahn rundum das offne gelände,

das uns eins galt, gespalten,

feindselig gab sich der weltrand.“

***

Anmerkungen:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke. Hrsg. von Friedrich Beißner, Insel Verlag 1965.

*peregrinisch: fremd, unwissend; Vgl. Eduard Mörikes Gedicht „Peregrina“. Der Titel steht für eine Fremde, unheimliche Geliebte.

Mörike erinnert im „Peregrina-Zyklus“, der Teil seiner Großnovelle „Maler Noten“ ist, an seine Begegnungen mit der vagabundierenden Kellnerin Maria Meyer, seine „verbotene“ Liebe.

Wulf Kirstens publizistische Texte zu Harald Gerlach: Nachbemerkung zu „Sprung in Hafermeer“ (Gedichte), 1973.

Nachbemerkung zu „Das Graupenhaus“ (Prosa),1976.

Nachbemerkung zu „Fortgesetzte Landnahme – Fußnoten zum Zeitgeist“. Thüringen Bibliothek, Band I, 1996.

„Eine Biografie voller Umwege – Ursprünge einer Dichterfreundschaft – Dem Schriftsteller Harald Gerlach zum 60. Geburtstag. In: Palmbaum 4/ 1999. (Erschienen im Frühjahr 2000.)

„Spurensuche“ – Nachwort zu Gerlachs „Diese völlig paradiesische Gegend“, 2001

„Harald Gerlach nicht  vergessen“. In: Literaturland Thüringen, 2013. (Im Netz)

Finanzen

Über Ulrich Kaufmann 34 Artikel
PD. Dr. Ulrich Kaufmann wurde 1951 in Berlin geboren u. lebt seit 1962 in Jena. Hier hat er nach dem Abitur 1970 Germanistik und Geschichte studiert. 1978 wurde er in Jena über O.M.Graf promoviert u. 1992 über Georg Büchner hablitiert. Von 1978 bis 1980 war Kaufmann als Aulandsgermanist im polnischen Lublin tätig.Von 1999 bis 2016 Gymnasiallehrer für Deutsch u. Geschichte. Er hat 10 Bücher über die deutsche Literatur verfasst.