Vom (Töten im) Kriege – Teil 5 – Killologie: Töten und Psyche

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In dem berühmten Buch „Vom Kriege“ des preußischen Generals Carl von Clausewitz geht es um Strategien und die politische Komponente der Kriegführung. Vom Töten ist keine Rede. Der chinesische General Sun Tsu betont in seinem Strategie-Klassiker „Die Kunst des Krieges“ aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert eher das Vermeiden von blutigen Schlachten. Die Militärdoktrinen unserer Zeit sind politisch-strategische Konzepte der Regierungen, normalerweise als Sicherheitskonzept zur Verteidigung formuliert. Eine „Vorwärtsverteidigung“ und entsprechende Offensivbewaffnung gehören überall dazu. Vom Töten und den damit verbundenen moralischen Problemen ist auch hier keine Rede. Trotz aller schrecklichen Bilder in den Medien wird der Tod überwiegend in abstrakten Verlustzahlen erwähnt, Leichenbilder werden verpixelt oder nicht veröffentlicht. Offenbar gibt es für das Töten einen blinden Fleck in Gesellschaft und Medien. Gleichzeitig werden Video-Killerspiele immer beliebter und immer realistischer. Das Ausblenden des Tötens und gleichzeitig die Zunahme von Gewaltfantasien in Computerspielen gehören zu den sozialen Pathologien unserer Zeit. Von Wolfgang Sachsenröder.

Teil 5 – Killologie: Töten und Psyche

In den USA, wo intern die „ewigen Kriege“ der Weltmacht kontrovers diskutiert werden, gibt es den Begriff „killology“ schon länger. Eingeführt hat ihn der Oberstleutnant a.D., Psychologe und West Point-Dozent Dave Grossman, als er nach 23 Dienstjahren und zahlreichen Auslandseinsätzen aus der Armee ausschied und die „Killology Research Group“ gründete. In seinem ersten Buch „On Killing, The Psychological Cost of Learning to Kill in War and Society”, in erster Auflage erschienen 1995, analysiert Grossman die psychologischen Prozesse und Traumatisierungen, „wenn unsere Nation Soldaten dazu aufruft, Menschen im Kampf zu töten“. Inspiriert wurde Grossman durch S.L.A. Marshall, der als Brigadegeneral und Armee-Historiker die amerikanischen Streitkräfte vom Ersten Weltkrieg bis zum Vietnamkrieg begleitet, analysiert und beraten hatte. In dem berühmtesten von Marshalls Büchern, „Men against Fire“, geht es um die natürliche Tötungshemmung beim Menschen. Grossman führt das Thema weiter und zeigt, dass bis zum Zweiten Weltkrieg nur 15 bis 20 Prozent der Soldaten direkt auf den Gegner geschossen haben. Im Koreakrieg stieg der Anteil auf 50 und im Vietnamkrieg auf 90 bis 95 Prozent. Die Tötungshemmung war praktisch ausgeschaltet. Grossman analysiert, was in der Kampfsituation beim einzelnen Soldaten und in der Gruppe psychologisch vor sich geht, wie die Tötungshemmung durch Befehlsdruck, Kameraderie und Drill überwunden werden kann und welche Folgen das für das Gewissen und die Persönlichkeit des einzelnen Soldaten hat. Die Selbstmordraten unter amerikanischen Kriegsveteranen oder ihre Amokläufe und Depressionen werden gelegentlich von den Medien thematisiert, nicht aber das Ausmaß dieser Spätfolgen von Kampfeinsätzen. Unter den Sammelbegriffen „Posttraumatische Belastungsstörungen“ (PTBS) oder Posttraumatisches Stress-Syndrom (PTSS) versteht man Phobien, Depressionen, Panikattacken, Irritierbarkeit, Schlaflosigkeit, quälende Rückblende-Erinnerungen, Albträume und Amokläufe als die möglichen Folgen von Kampferfahrungen. Auf der Webseite des U.S.Department of Veteran Affairs wird die zunehmende Häufigkeit dieser Erkrankungen deutlich. Während es im Zweiten Weltkrieg und im Koreakrieg noch 3 Prozent waren, stieg die Häufigkeit im Vietnamkrieg schon auf 10 Prozent. Im Ersten Golfkrieg 1991 „Desert Storm“ waren es schon 21 Prozent und in den folgenden Golfkriegen „Enduring Freedom“ (2001-2014) und „Iraqi Freedom“ (2003-2011) stieg der Anteil erkrankter Veteranen auf 29 Prozent. Vermutlich geht die Steigerung darauf zurück, dass im Zweiten Weltkrieg mehr Soldaten überzeugt waren, dass ihr Einsatz sinnvoll und notwendig war und in den Golfkriegen längst nicht mehr. PTBS als Krankheitsbegriff wurde erst 1980, fünf Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs medizinisch definiert, obwohl die Traumata von Schlachtfelderfahrungen seit jeher bekannt waren. Aber Vietnam war eine besondere Schwelle, denn viele der drei Millionen Amerikaner, die dort eingesetzt wurden, kamen mit PTBS oder drogenabhängig oder beidem nach Hause. Durch unendlich wiederholten Drill und Konditionierung sowie möglichst realistisch menschenähnliche Zielattrappen konnte die Reaktion der einzelnen Soldaten bei den Schießübungen so weitgehend automatisiert werden, dass Einzelfallentscheidungen wie schießen oder nicht schießen unterdrückt bleiben. Ähnliches gilt für Polizeikräfte, die blitzschnell entscheiden müssen, ob ein finaler Todesschuss zur Rettung weiterer Menschenleben notwendig ist. Grossman nennt das „violence immune deficiency“, also eine Art Gewöhnung an ungehemmte Gewaltanwendung. Das wird auch in der Sprache deutlich. Der Feind wird nicht getötet, sondern überwältigt, ausgeschaltet, erledigt, eliminiert oder liquidiert. Auch der waffentechnische Fortschritt hilft zunehmend gegen die Tötungshemmung. Leichter als im Nahkampf, etwa mit einem Messer, Bajonett oder einer Pistole, wird das Töten auf Distanz. Deshalb sind Luft- und Bombenkrieg so beliebt, obwohl sie   bisher nirgendwo wirklich kriegsentscheidend waren. Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki wurden abgeworfen, nachdem Japan den Krieg bereits verloren hatte. Die neuesten Entwicklungen im Ukrainekrieg lassen erahnen, wie weit die Drohnentechnologie das Töten auf Distanz noch weiter erleichtern wird. In Gaza wird gerade erprobt, wie Drohnen sich auch in unterirdischen Tunnel-Labyrinthen orientieren können. Cyberwarfare und die Militarisierung des Weltraums sind ebenfalls in der Experimentierphase und längst über das Planungsstadium hinaus.
Dave Grossmann ist seit vielen Jahren mit Vorträgen und Schulungen an Militär- und Polizeiakademien unterwegs, seine Bücher sind in West Point, beim FBI und vielen anderen Ausbildungsstätten Pflichtlektüre.  Sein Buch „On Killing“ ist mehr als 500.000-mal verkauft worden, die meisten deutschen Online-Buchhandlungen führen es in der englischen Originalfassung. Ein zentrales Zitat lautet: „Der Soldat versteht, wenn die Zeit gekommen ist, dass er für die Irrtümer der Politiker kämpfen, leiden und sterben muss.“

Wo wird die Reise hingehen?

Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung listet in seinem letzten Konfliktbarometer von 2022 insgesamt 21 kriegerische und 21 limitierte kriegerische Konflikte auf.  Zu den weiteren 174 kleineren gewaltsamen Konflikten, davon 136 innerstaatlichen, sind die Kriege in der Ukraine und in Gaza hinzugekommen und haben höchste Priorität in den Medien. Dabei werden die blutigen Kriege im Jemen, im Sudan, in Lateinamerika und in Afrika kaum noch erwähnt.  Die Öffentlichkeit der westlichen Wertegemeinschaft ist an Krieg, Tod und Zerstörung seit Jahren gewöhnt. Insofern wird auch kaum noch darüber diskutiert, wie gerechtfertigt manche Feldzüge und ihre vielen Opfer tatsächlich sind. Das gilt ganz besonders für Terroristen, wie einseitig sie als solche definiert sein mögen, und zunehmend auch für Soldaten, die für diktatorische Regime kämpfen. Das genetische Aggressionserbe der Menschheit ist somit   erdrückend aktuell, wird allerdings erstaunlich weitgehend ausgeblendet. Das Internet und die weltumspannende Nachrichtenindustrie bringen die Kriegsgräuel fast rund um die Uhr auf die Fernsehschirme, ohne dabei Schockreaktionen des Publikums oder der Politiker auszulösen. Das erinnert an die Verse aus Goethes Faust: „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinanderschlagen.“ Wie viele Deutsche die aktuellen Kriege miteinander diskutieren mag offenbleiben. Es fällt jedoch auf, dass eine deutliche Mehrheit von Politikern, Journalisten und Leserbriefschreibern sehr eindeutig Partei nimmt und genau zu wissen scheint, wer die Schuldigen sind und wie sie besiegt und bestraft werden können. Gegenmeinungen oder gar Rufe nach Friedensverhandlungen werden als untauglich abgetan. Während wehrpflichtige Ukrainer und auch viele junge Russen ihr Land verlassen haben, scheinen in Deutschland Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit die Prioritäten der Stunde zu sein. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist wohl nur noch eine Frage des Zeitpunkts.

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