In dem berühmten Buch „Vom Kriege“ des preußischen Generals Carl von Clausewitz geht es um Strategien und die politische Komponente der Kriegführung. Vom Töten ist keine Rede. Der chinesische General Sun Tsu betont in seinem Strategie-Klassiker „Die Kunst des Krieges“ aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert eher das Vermeiden von blutigen Schlachten. Die Militärdoktrinen unserer Zeit sind politisch-strategische Konzepte der Regierungen, normalerweise als Sicherheitskonzept zur Verteidigung formuliert. Eine „Vorwärtsverteidigung“ und entsprechende Offensivbewaffnung gehören überall dazu. Vom Töten und den damit verbundenen moralischen Problemen ist auch hier keine Rede. Trotz aller schrecklichen Bilder in den Medien wird der Tod überwiegend in abstrakten Verlustzahlen erwähnt, Leichenbilder werden verpixelt oder nicht veröffentlicht. Offenbar gibt es für das Töten einen blinden Fleck in Gesellschaft und Medien. Gleichzeitig werden Video-Killerspiele immer beliebter und immer realistischer. Das Ausblenden des Tötens und gleichzeitig die Zunahme von Gewaltfantasien in Computerspielen gehören zu den sozialen Pathologien unserer Zeit.
Teil 3: Um Gottes Willen – Krieg, Töten und Religion
In den polytheistischen Religionen der Antike wurden die Kriegsgötter Ares und Mars verehrt, in Griechenland kam mit Athene auch noch die Kriegslist hinzu. Ihre altorientalischen Vorgänger waren grausam-maskuline Gestalten, die auch die Herrschaft und Macht der Könige symbolisierten, im Gegensatz zu den weiblichen Sieges- und Friedensgöttinnen.
Im griechischen und römischen Altertum war im Krieg ohnehin, aber auch in der Politik und in der Justiz, das Töten von Menschen unproblematisch. Kriegsgefangene und Sklaven konnten straflos umgebracht werden. Soldaten konnten dezimiert werden, indem jeder zehnte einer disziplinlosen oder gar meuternden Kohorte dem Schwert zum Opfer fiel. Da man noch keine Höllenqualen fürchtete, gab es auch für einen Selbstmord die berühmten Varianten, sich in sein eigenes Schwert zu stürzen oder für die Wohlhabenden, sich in einer Badewanne die Pulsadern aufzuschneiden.
Die monotheistischen Religionen
Nach Vorstufen im alten Ägypten und Babylonien entwickelte sich vor rund 3500 Jahren im Mittleren Osten der Monotheismus, später aufgespalten in die drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. In der hebräischen Torah, im Koran und in der Bibel sowie zwischen diesen Textsammlungen sind die Einstellungen zum Töten nicht einheitlich. Die jeweils verschiedenen Textfassungen, Übersetzungen und Interpretationen unterscheiden mehr oder weniger zwischen Morden und Töten, was bis in unser heutiges Strafrecht den Unterschied zwischen Totschlag und vorsätzlichem Mord vordefiniert hat. Bei der Auslegung der heiligen Schriften und der jeweils als richtig anerkannten Interpretation ihrer über die Jahrhunderte gewachsenen Kanonisierungen gibt es bis heute teils subtile, teils erhebliche Meinungsunterschiede sowie interreligiöse und interkonfessionelle theologische Debatten. Zwischen Judaismus und den verschiedenen christlichen Denominationen sind solche Debatten verständlich, weil sie ohneeinander nicht vorstellbar sind. Der Islam entstand rund sechs Jahrhunderte nach dem Christentum, hat sowohl jüdische als auch christliche Quellen sowie den gemeinsamen Monotheismus inkorporiert, sich dann aber historisch und theologisch eigenständig weiterentwickelt. Deshalb soll das Töten im Folgenden auf seinem jüdisch-christlichen historischen Hintergrund in Europa diskutiert werden.
Das Mosaische Gesetz
Die fünf Bücher Mose in der christlichen Bibel entsprechen weitgehend der hebräischen Torah, die auch Mosaisches Gesetz oder „Torat Mosche“ genannt wird. Die Regeln zum Töten von Menschen (2. Mose 20,12) sind allerdings nicht eindeutig. Die vom Christentum als Fünftes Gebot übernommene Formel besteht nur aus zwei Worten, „nicht“ und „töten“, wobei das althebräische Wort „rasah“ oder „ratsach“ mehrere Bedeutungen haben kann, nämlich in Stücke schlagen, zerbrechen, erschlagen, töten und auch morden. Und in 1. Mose 9,6 heißt es „Wer Blut der Menschen vergossen hat, dem wird sein Blut von Menschen vergossen werden.“ Auch die Todesstrafe ist eindeutig geregelt: „Wer einen Menschen schlägt, dass er stirbt, der soll des Todes sterben“ (2. Buch Mose 21,12), „Wer Vater oder Mutter schlägt, der soll des Todes sterben“ (2. Buch Mose 21,15) oder auch „Leben um Leben, Auge um Auge (…) Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde“ (2. Buch Mose 21, 23–25). Wie andere Narrative des Alten Testaments erinnern diese mosaischen Rechtsgrundsätze an die mesopotamischen Vorläufer wie den sumerischen Ur-Nammu-Kodex und den babylonischen Hammurabi-Kodex. In den 282 Rechtsgrundsätzen des Hammurabi, die eine erstaunenswert komplexe gesellschaftliche Situation widerspiegeln, werden verschiedene Rechtsgebiete kodifiziert, vom Familienrecht und Strafrecht bis zum Handels- und Sachenrecht. Die Strafen sind oft Geldstrafen, aber nicht nur bei Kapitalverbrechen sehr drastisch. Sie reichen von Prügelstrafen, Amputationen, Brandzeichen im Gesicht bis zu Hinrichtungsarten zwischen Töten „durch den Eisendolch“, Verbrennen, Ertränken und Pfählen. Vom Töten im Krieg ist im Hammurabi-Kodex keine Rede, denn es war offensichtlich kein Problem. Immerhin gab es für die Versorgung der Witwen gefallener Soldaten durch Wiederheirat eine Regelung.
Das mosaische Gesetz war insofern eine Weiterentwicklung des babylonischen Erbes, als es inkriminierte Tatbestände mit einem Gottesbezug ergänzte. Da es Moses unmittelbar von Gott offenbart worden war, galten Vergehen und Verbrechen auch als Sünde gegen Gott. Im Krieg und als Selbstverteidigung wurden Gewalt und Töten aber ausgenommen. Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz-Das Rabbinat Deutschland schrieb im September 2022 auf ihrer Webseite, dass die Torah nicht pazifistisch ist und dass zur Erhaltung des Friedens Gewalt eingesetzt werden darf und unter Umständen sogar eine Tugend sein kann.
Der theologische Streit, ob das Fünfte Gebot als Du sollst nicht töten oder Du sollst nicht morden verstanden werden muss, hilft nicht weiter. In der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der hebräischen Urtexte, wurde es als „Du sollst nicht morden“ übernommen. Das deckt sich auch mit dem, was man rechtshistorisch über die Stammesgesetze im alten Mittleren Osten weiß, die Blutrache für das Töten von Menschen vorsahen. In der altjüdischen Tradition gab es deshalb sichere Orte, in die man sich nach einem unabsichtlichen Totschlag zurückziehen konnte, während für blanken, vorsätzlichen Mord die Todesstrafe drohte.
Das Alte Testament beinhaltet darüber hinaus eine Reihe von Texten, in denen Gott, abweichend vom Fünften Gebot, die Tötung von militärisch gefährlichen Feinden Israels nicht nur zulässt, sondern sogar anordnet. Im Fünften Buch Mose, Dtn 25:17-19, wird die Vernichtung der feindlichen Amalekiter gefordert: „Dann lösche unter dem Himmel alles aus, was noch an die Amalekiter erinnert!“ An einer anderen Stelle, Exodus 17:14, spricht Gott zu Moses, dass er selbst die Amalekiter auslöschen wird. Ähnliches galt für weitere Feinde wie Ammoniter, Edomiter, Moabiter, Kanaaniter oder Philister. Historisch ging es um die Besitznahme des von Gott versprochenen Landes, ein zumindest ebenso politischer wie religiöser Vorgang.
Gotteskrieger
Wie in der Antike die Götter hilfreich in Kriege eingriffen, beriefen sich Herrscher und Politiker immer wieder auf göttlichen Beistand. Eins der folgenreichsten politischen Ereignisse dieser Art war Kaiser Konstantins Sieg an der Milvischen Brücke im Jahre 312, der die Bekehrung des Kaisers und den Siegeszug des Christentums in Europa einleitete. Jahrhunderte später segnen immer noch christliche Priester Flugzeuge, Kanonen und Panzer für den Sieg. Die Koppelschlösser der Soldaten trugen in Preußen und im Ersten Weltkrieg den Text „Gott mit uns“. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Königskrone durch den Reichsadler mit Hakenkreuz ersetzt. Das Gott mit uns wurde 1955 zunächst von der Bundeswehr übernommen und 1962 beim Großen Dienstanzug durch den Bundesadler und die Worte Einigkeit, Recht und Freiheit ersetzt, während das normale Dienst-Koppelschloss der Mannschaftgrade schmucklos neutral ist.
Rechtfertigt ein „Gerechter Krieg“ das Töten?
Die naheliegende Frage, ob und unter welchen Bedingungen ein Krieg gerecht und damit gerechtfertigt sein kann, durchzieht die europäische Debatte seit Platon und Aristoteles über die Jahrhunderte. Cicero formulierte dazu die klaren Grundbedingen, dass der Krieg auf erlittenes Unrecht reagieren müsse, erst nach gescheiterten Verhandlungen beginnen dürfe und von sakralen Autoritäten legitimiert werden müsse. Das war natürlich bei den römischen Expansionskriegen kaum der Fall. Der skeptische Philosoph Karneades in Athen hielt dagegen, dass eine Berufung auf göttlichen Beistand nur das Unrecht des Krieges verschleiern würde.
Im Frühchristentum wurden Krieg und Kriegsdienst gemäß der Friedensbotschaft Christi zunächst abgelehnt, was nach der Konstantinischen Wende schnell fallengelassen wurde. Der Kirchvater Ambrosius von Mailand erklärte die militärische Antwort auf Angriffe von Barbaren zur Pflicht um des Friedens willen und schloss dabei auch die Bekämpfung von Häretikern mit ein. Für das gesamte Mittelalter waren die Lehren des Heiligen Augustinus von Hippo verbindlich, der Staats- und Kirchenrecht vereinte. Für ihn folgt aus der Allmacht Gottes, dass es gegen dessen Willen keinen Krieg geben kann und dass deshalb auch der gläubige Christ am Kampf gegen das Böse teilnehmen darf.
Rund zweihundert Jahre später ging die Kirche noch erhebliche Schritte weiter. Papst Gregor der Große (1590-1604) erlaubte Gewalt gegen Häretiker und Kriege gegen heidnische Völker, um sie zu missionieren. Die christliche Mission als Vorwand für die Kolonialeroberungen in Lateinamerika, Afrika und Asien gehört zu den dunkelsten Kapiteln der Kirchengeschichte Europas, ebenso wie die Religionskriege nach Martin Luthers Reformation.
Link: Gerechter Krieg – Wikipedia
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