In dem berühmten Buch „Vom Kriege“ des preußischen Generals Carl von Clausewitz geht es um Strategien und die politische Komponente der Kriegführung. Vom Töten ist keine Rede. Der chinesische General Sun Tsu betont in seinem Strategie-Klassiker „Die Kunst des Krieges“ aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert eher das Vermeiden von blutigen Schlachten. Die Militärdoktrinen unserer Zeit sind politisch-strategische Konzepte der Regierungen, normalerweise als Sicherheitskonzept zur Verteidigung formuliert. Eine „Vorwärtsverteidigung“ und entsprechende Offensivbewaffnung gehören überall dazu. Vom Töten und den damit verbundenen moralischen Problemen ist auch hier keine Rede. Trotz aller schrecklichen Bilder in den Medien wird der Tod überwiegend in abstrakten Verlustzahlen erwähnt, Leichenbilder werden verpixelt oder nicht veröffentlicht. Offenbar gibt es für das Töten einen blinden Fleck in Gesellschaft und Medien. Gleichzeitig werden Video-Killerspiele immer beliebter und immer realistischer. Das Ausblenden des Tötens und gleichzeitig die Zunahme von Gewaltfantasien in Computerspielen gehören zu den sozialen Pathologien unserer Zeit.
Sind Soldaten Mörder?
Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg war Deutschland keineswegs pazifistisch geworden, sondern rüstete relativ bald heimlich auf. Das verstieß eindeutig gegen den Versailler Vertrag, aber dessen harte Auflagen trugen zum Widerstand bei. Das Prestige der Reichswehr wurde durch die sogenannte Dolchstoßlegende gestützt, dass das Heer im Felde nicht besiegt, sondern von Feinden im Inneren hinterrücks um den Sieg gebracht worden sei, vor allem von Sozialdemokraten und Juden. Als Kurt Tucholskis Satz „Soldaten sind Mörder“ 1931 in einem Beitrag für die Zeitschrift Weltbühne erschien, war der Skandal groß. Der verantwortliche Redakteur, Carl von Ossietzki, wurde wegen Beleidigung der Reichswehr angeklagt, aber freigesprochen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte der skandalöse Satz immer wieder erneut die Justiz. Am 10. Oktober 1995 stellte das Bundesverfassungsgericht schließlich klar, dass die Aussage als „kontextabhängige, mehrdeutige Meinungsäußerung“ von der im Grundgesetz garantierten Meinungsfreiheit gedeckt wird. Zahlreiche Urteile unterer Instanzen, die den „Ehrenschutz bei Kollektivurteilen über Soldaten“ für höherwertig gesehen hatten, mussten revidiert werden.
Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und ihre Aufnahme in die NATO waren 1955, nur zehn Jahre nach Kriegsende, erheblich umstritten. Der Aufbau der Bundeswehr verlief aber rasch und in engem Einvernehmen mit den Alliierten, innenpolitisch erleichtert durch den Ost-West-Konflikt und die atomare Bedrohung durch die Sowjetunion. Kriegsdienst und Wehrdienstverweigerung blieben allerdings ein besonderes Spannungsfeld. Eine Reihe von heutigen Spitzenpolitikern verweigerte damals den Wehrdienst und leistete stattdessen einen Zivildienst in Krankenhäusern und Altersheimen. In der DDR, deren Nationale Volksarmee seit 1956 in enger Zusammenarbeit mit der Sowjetunion aufgebaut worden war, gab es kein Recht auf Verweigerung wie in der Bundesrepublik. Möglich war aber ein Bausoldatendienst ohne Waffen, aber innerhalb der NVA, der aber oft spätere berufliche Nachteile mit sich brachte.
In der Bundesrepublik der 1960er Jahren entstand wegen der Bedrohungen des Ost-West-Konflikts eine Friedensbewegung, die Millionen von Menschen auf die Straßen brachte. Es gab Szenarien, dass ein militärischer Konflikt zwischen den USA und der NATO auf der westlichen Seite und dem Warschauer Pakt im Osten besonders heftig in Deutschland ausgefochten werden könnte, während auf beiden Seiten Atomraketen auf uns gerichtet waren. Die Ostermärsche der Friedensbewegung wurden damals von der SPD, den Gewerkschaften und den Kirchen unterstützt. Heute hat die russische Invasion in die Ukraine 2022 von den Ostermärschen wenig übriggelassen. Die Zeichen stehen inzwischen, offenbar mit Unterstützung einer Bevölkerungsmehrheit, auf Kriegstüchtigkeit und Aufrüstung, auch wenn deren Finanzierung problematisch ist und Angriffspläne Russlands über die Ukraine hinaus eher unwahrscheinlich sind. Derweil klagt die Bundeswehr über Personalmangel und wenig Interesse an militärischen Karrieren. Freiwillige melden sich kaum und Zeitsoldaten stiegen nach Beginn des Ukraine-Krieges vor dem Ende ihrer Verpflichtung aus. Die Wiedereinführung einer allgemeinen Wehrpflicht wird in verschiedenen Modellen bereits politisch diskutiert, stößt aber in den ersten Meinungsumfragen unter potenziell betroffenen Jugendlichen auf Skepsis. Ob und wie viele unter ihnen bereits über den Zweck einer militärischen Ausbildung nachdenken, nämlich töten zu lernen, bleibt eine sehr offene Frage.
Im fünften und letzten Teil dieser Artikelserie geht es um die psychologischen Folgen militärischer Kampferfahrung und wie ein Soldat die Schrecken des Krieges verarbeitet. In den USA wird das seit vielen Jahren unter der Bezeichnung „killology“ diskutiert.
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