In einer beißenden politischen Karikatur, die hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht wiedergegeben werden kann, sitzt Uncle Sam mit verschiedenen Waffen auf einer Couch, ihm gegenüber ein Psychiater, der wie Siegmund Freud aussieht. Uncle Sam sagt: „Ich habe 1800 Atomraketen, 283 Schlachtschiffe, 9400 Flugzeuge, gebe mehr fürs Militär aus als die nächsten 12 Länder zusammen, jedes Jahr mehr und trotzdem fühle ich mich bedroht.“ Der Psychiater erwidert trocken: „Ganz einfach, sie haben einen militärisch-industriellen Komplex.“ Das ist wunderbar auf den Punkt gebracht, aber die Realität unserer Sicherheit oder Unsicherheit ist natürlich viel komplexer. So wenig die USA unmittelbar militärisch bedroht sein mögen, sehr viel konkreter ist die Bedrohungslage für eine Reihe kleinerer Länder, zumindest subjektiv und oft genug nicht ohne eigenes Verschulden. Grenzverläufe und territoriale Ansprüche sind ein häufiger Auslöser für Konflikte. Im Extremfall geht es um unbewohnbare Inseln, die keinerlei wirtschaftlichen oder erkennbaren strategischen Wert für einen der Streithähne haben, bei denen es also nur um das Prinzip geht. Schwieriger wird es bei überlappenden Ansprüchen auf vermutete oder bekannte Bodenschätze wie im südchinesischen Meer und im Donbass. Ethnische und religiöse Unterschiede sind ebenfalls ein häufiger Auslöser für Konflikte, die aber in anderen Regionen oder früheren historischen Situationen ohne Blutvergießen vermieden werden konnten. Insgesamt, historisch wie geographisch, ist die Menschheit alles andere als konfliktscheu, wobei die akuten Anlässe für kriegerische Auseinandersetzungen fast unendlich variieren. Der sogenannte Fußballkrieg von 1969 zwischen Honduras und El Salvador hatte einen handfesteren Hintergrund als nur die Ausschreitungen bei einem Fußballspiel. Es ging um einige Hunderttausend salvadorianische Migranten, die sich illegal in Honduras niedergelassen hatten. Frischer in unserer Erinnerung sind die großen ideologischen Auseinandersetzungen, etwa gegen den europäischen Faschismus in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts oder der darauf folgende weltweite Kampf gegen den Kommunismus, und natürlich, wie auch immer verbal verbrämt, der Kampf um Ressourcen und um Dominanz. Zurzeit heißt die gängige Variante „Freiheit gegen Autoritarismus“, auch wenn einigermaßen klare Definitionen weitgehend fehlen. Heraklits berühmter Satz „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ ist in dieser oft zitierten Kurzform nicht ausreichend verständlich. Der griechische Philosoph aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert hatte nämlich hinzugefügt: „die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien.“ Auch zweieinhalb Jahrtausende später gibt das Anlass zum Nachdenken.
Militär, Sicherheit und die Kosten für Deutschland
Das 100-Milliarden-Euro schwere „Sondervermögen Bundeswehr“, das 2022 von Bundestag und Bundesrat beschlossen wurde, ist ein Finanzierungsinstrument oder ein Schattenhaushalt des Bundes, mit dem über einen Zeitraum von fünf Jahren – und an der Schuldenbremse vorbei – 2 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung bereitgestellt werden sollen. Verteidigungsminister Pistorius drückte den Zweck eingängiger und gleichzeitig auch kontroverser mit der Formel aus, dass Deutschland damit „kriegstüchtig“ gemacht werden solle. Dabei sieht die Mehrheit der Deutschen bisher kaum eine akute militärische Bedrohung durch Russland. Zum Sondervermögen Bundeswehr hat es eher wegen der Schuldenfinanzierung als wegen der Kriegstüchtigkeit Debatten gegeben. Das mag daran liegen, dass die 100 Milliarden eine Zahl sind, die sich der konkreten Vorstellung weitgehend entzieht. Im Vergleich mit dem Bundehaushalt 2024 von 476,8 Mrd. € wird die Dimension schon deutlicher, wobei die Zuschüsse zur Rentenversicherung mit 116,3 Mrd. ähnlich massiv sind, aber eben steuerfinanziert. Für das Sondervermögen Bundeswehr müssen dagegen neue Schulden aufgenommen werden, insofern stammt die Wortwahl mehr aus der politischen Trickkiste als es einer transparenten Finanzpolitik anstünde. Nebenbei sind die laufenden Kosten der Bundeswehr im normalen Haushalt auf 52 Milliarden € angestiegen, in alternativen Berechnungen sogar über die 60 Milliardengrenze.
Die ewig wachsenden Militärausgaben weltweit
Bleiben wir bei den Zahlen, die sich der normalen Vorstellungskraft entziehen und nehmen einmal die Militärausgaben, die sich die Staatengemeinschaft insgesamt „leistet“. Das waren 2023 zusammen 2,44 Billionen US$, oder, ein wenig anschaulicher dargestellt, 2,440 000 000 000 Dollar. Die drei Großmächte, USA, China und Russland geben zusammen mit 1,321 Billionen bereits mehr als die Hälfte davon aus. Statista hat die Länder mit den höchsten Militärausgaben 2023 wie folgt aufgelistet: USA 913, China 296, Russland 109, Indien 83, Saudi-Arabien 76, Großbritannien 75, Deutschland 67, Ukraine 65, Frankreich 61. (Military spending by country worldwide 2023 | Statista)
Die Gesamtausgaben sind gewaltig, scheinen aber in den einzelnen Staathaushalten verkraftbar zu sein, vermutlich weil ihre Notwendigkeit selten in Frage gestellt wird, zumindest nie radikal. Zur Verteidigung und Abschreckung möglicher Angreifer ist eine Armee eben unabdingbar. Die Frage ist deshalb eher, wie stark muss sie sein und wie teuer kann oder darf sie sein. Im Vergleich mit dem Umfang der Weltwirtschaft, oder dem weltweiten nominalen Bruttoinlandsprodukt von 105 Billionen im Jahre 2023 (IMF) stellen die Welt-Militärausgaben nur einen Anteil von 2,3 Prozent dar. Das wäre etwas mehr als das NATO-Soll von 2 Prozent pro Land, für die USA mit 3,5 Prozent deutlich mehr. Allerdings gelten die Gesamtausgaben von 2,44 Billionen weitgehend nur für die hochgerüsteten Länder, die drei Großmächte weit an der Spitze. Nach den Statistiken der Weltbank und des IMF haben nur 18 Länder ein Bruttoinlandsprodukt von mehr als einer Billion und 68 weitere Länder kommen auf mehr als 100 Milliarden. Der Anteil der 20 reichsten Länder an der Weltwirtschaft beträgt 80,5 Prozent, die 157 ärmsten Länder kommen nur auf 10 Prozent. (Countries by GDP (Nominal) 2022 – StatisticsTimes.com) Aber auch die Ärmsten scheinen immer wieder Geld für Waffen und Armeen zu finden, nicht selten auch für ihre internen Konflikte und Bürgerkriege.
Im Sonderangebot: Waffen und ihre Preise
Der Weltmarkt für Kleinwaffen, d.h. Pistolen und Gewehre einschließlich Zubehör und Munition erreichte 2023 einen Gesamtwert von 6,18 Milliarden US$. Zu den großen Namen gehören in Europa Traditionsfirmen wie Beretta, Heckler&Koch und Glock. Der Tod im Dezember 2023 des österreichischen Unternehmers Gaston Hellmut Glock, der erst Anfang der 1980er Jahre seine legendäre Pistole entwickelt hatte, brachte seine Erfolgsgeschichte in die deutschen Medien. Der Umsatz der Firma erreichte in den letzten Jahren mehr als 800 Millionen €, zu den Hauptabnehmern gehören die amerikanische und die französische Polizei. Bei den Handfeuerwaffen ist die Bandbreite der Typen und Preislagen besonders breit, weil sie auch bei Kriminellen begehrt sind. Inzwischen hat die Nachfrage auch billige Modelle auf die Märkte gebracht, die im Extremfall im 3D-Drucker hergestellt werden können aber nicht weniger tödlich sind als Industriemodelle. Überschusswaffen aus Armeebeständen gelangen legal oder illegal auf graue und schwarze Märkte, selbst in Ländern mit starken administrativen Kontrollmechanismen wie Deutschland geraten Kleinwaffen offenbar leicht in die falschen Hände, vom Missbrauch legaler Jagdwaffen ohnehin abgesehen.
Deutlich teurer sind alle militärischen Fahrzeuge, abgesehen von Lastwagen, die lediglich eine olivgrüne Farbe und wenige weitere Umbauten brauchen. Wenn es um gepanzerte und mit Kanonen ausgestattete Vehikel unter dem Sammelnamen Panzer geht, ziehen die Preise erheblich an. So kostet der amerikanische M1A2 ABRAMS Panzer, der auch in der Ukraine eingesetzt worden ist, 9 Millionen US$, der deutsche Vorzeigepanzer Leopard 2 je nach Modellvariante und Ausstattung bis zu 20 Millionen €. Der Exportschlager wird vom Marktführern Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) gebaut und von Rheinmetall mit dem Panzerturm ergänzt. Zusammen mit dem französischen Panzerhersteller Nexter arbeitet KMW am Leopard 2 A-RC 3.0, einer unbemannten Variante, die von einer externen Kommandozentrale ferngesteuert werden kann. Die Treffsicherheit und Zerstörungskraft der neuesten Varianten der Panzerfaust des Zweiten Weltkriegs, inzwischen als sogenannte 5. Generation weiterentwickelt, ist im Ukraine-Krieg so hoch, dass Geländegewinne mit Panzerschlachten nicht mehr möglich sind. Trotzdem gehören Panzer noch immer weltweit zur Grundausstattung aller größeren Armeen.
Dass die Preise bei den Militärflugzeugen noch einmal erheblich steigen, kann niemanden überraschen. Der weltweit mit Abstand größte Rüstungshersteller Lockheed Martin ist mit seinen Kampfflugzeugen extrem erfolgreich. Seine F-35 Modellreihe kostet pro Einheit zwischen 82 und 109 Millionen US$. Die Systemkosten über die erwartete Nutzungsdauer, vom Pentagon bis 2088 geplant, überschreiten die 2 Billionengrenze, davon 442 Milliarden für die Maschinen selbst und 1,6 Billionen für alle notwendigen Nebenaufgaben zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs. Das wird selbst den Luftwaffenplanern zu viel. Vor wenigen Tagen berichtete die Militärzeitschrift Defense One, dass die Air Force ein Nachfolgemodell der 6. Generation wünscht, das aber nicht mehr kosten soll als die F-35. Noch eine Preisklasse höher fliegen die Stealth- oder Tarnkappenflugzeuge. Die amerikanische A1F kostete schon vor vier Jahren 1,6 Milliarden Dollar. Inzwischen entstehen aber auch Zweifel, ob die enormen Kosten noch die traditionelle Luftüberlegenheit garantieren können, die bisher als Voraussetzung für militärische Siege galt. Die Entwicklung selbststeuernder Raketen, die Flugzeuge wie Langstreckenraketen ausschalten können, sowie Robotik in allen technischen Varianten in Drohnen und Gleitbomben setzen die Militärplaner ebenso unter Druck wie die astronomischen Kosten.
Als ähnlich fraglich dürften sich die waffentechnologischen Fortschritte bei der Marine auswirken. Die gigantischen Flugzeugträger, deren Baukosten über die Grenze von 12 Milliarden hinausgehen (USS Gerald Ford) und deren Betrieb mehr als 1 Milliarde Dollar pro Jahr kostet, haben über Jahrzehnte die Luftüberlegenheit auch in entlegenen Regionen gewährleistet. Ob ihre eigenen Abwehrsysteme auf Dauer ihre Sicherheit oder Unverwundbarkeit garantieren können, wird immer fraglicher. Waffentechnik und unkonventionelle Kampfmethoden, etwa im Roten Meer, deuten auch bei der Marine auf zunehmend asymmetrische Kampfmethoden und entsprechende Verwundbarkeit der hochspezialisierten Kriegsmarine hin.
Kann die Rüstungsspirale sich selbst ad absurdum führen?
Die von Heraklit überlieferte Analyse, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei, hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg weitgehend auf der technologischen Ebene bewegt. Allein die von der deutschen V2 ausgehende Entwicklung der Raketentechnik hat zu weltbewegenden Fortschritten geführt, von der Raumfahrt bis zur „Mutual Assured Destruction“ der nuklearen Kontinentalraketen mit der passenden Abkürzung „MAD“. Albert Einsteins Warnung, dass er nicht wisse, wie im Dritten Weltkrieg gekämpft würde, im Vierten aber sicher wieder mit Knüppeln und Steinen, ist inzwischen vermutlich noch aktueller geworden. Aber ein Ende aller Rüstungswettläufe dürfte unwahrscheinlich oder unmöglich sein, weil Produktion und Export von Waffen ein allzu gutes Geschäft sind. Laut Statista waren die größten Exporteure zwischen 2019 und 2023 die USA mit 41,7 Prozent, gefolgt von Frankreich mit 10,7, Russland mit 10,5, China mit 5,8 und Deutschland mit 5,6 Prozent. Ebenso illusionär dürften die idealistisch-optimistischen Gegenrechnungen sein, wieviel Gutes man mit den Rüstungsbillionen für die Menschheit tun könnte, wie viele Wohnungen und Schulen bauen oder bitterste Armut bekämpfen. Am militärisch-industriellen Komplex allein liegt es nicht, auch wenn seine ideologischen und finanziellen Tentakeln fast überall in die Politik hineinreichen.