FDP plädiert für Errichtung einer Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie
Die FDP Fraktion Bundestag hat einstimmig ein Positionspapier zur Errichtung einer Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie beschlossen. Zur Vorstellung des Papiers erklärte WK folgendes:
„Um zu verdeutlichen, wie notwendig eine coronapolitische Aufarbeitung aus staatspolitischer Sicht ist, möchte ich beispielhaft den Verfassungsrechtler Oliver Lepsius von der Universität Münster zitieren. Dieser hat im Interview mit dem „Spiegel“ am 17. Februar deutliche Worte zur Coronapolitik der vergangenen drei Jahre gewählt. Lepsius sprach von einem „Regierungsstil, der Züge eines aufgeklärten Absolutismus trug“. Und mit Blick auf die Judikative sagte er, er betrachte es als „Versagen“ seiner Zunft, „dass in der Abwägung die Grundrechte zurücktraten“.
Wenn wir also mit unserer Initiative darauf abzielen, die durch die Corona-Pandemie aufgedeckten „Mängel in der Krisenfähigkeit (…) des gewaltengegliederten Verfassungsstaates“ zu identifizieren und aufzuarbeiten, dann muss es sich auch darum drehen, wie das Zusammenspiel von Legislative, Exekutive und Judikative auf dem Boden unserer Verfassungsordnung funktioniert hat.
Natürlich soll es nicht darum gehen, über politische Entscheidungsträger den Stab zu brechen, die in einer unklaren Informationslage schwerwiegende Entscheidungen über Leben und Tod treffen mussten. Das wäre billig und populistisch. Ein geordneter Aufklärungsprozess kann aber auch nicht damit enden, dass erklärt wird, „wir konnten es über den Zeitraum von drei Pandemiejahren nicht besser wissen“, weswegen alles entschuldbar sei. Denn dass wir durchgängig keine besseren Informationen hatten, darf durchaus in Zweifel gezogen werden.
Es gab zu jeder Zeit der Pandemie fundierte Stimmen, die von dem Mainstream abgewichen sind und die aber (möglicherweise aus Furcht vor einer „false balance“) ignoriert wurden – wenn sie nicht gar ausgegrenzt und stigmatisiert wurden.
Ein paar Beispiele:
– Im Mai 2020 warnten Kinder- und Jugendärzte vor dem negativen Effekt der Schulschließungen. Diese wurden jedoch nicht gehört. Bis Mai 2021 waren Schulen in Deutschland an 183 Tagen ganz oder teilweise geschlossen, so die OECD.
– Im April 2021 erklärten Aerosolforscher vor der Entscheidung des Deutschen Bundestages zur Bundesnotbremse in einem offenen Brief an die Kanzlerin, dass die Ansteckungsgefahr im Freien fast null ist. Sie erklärten wörtlich: „Leider werden bis heute wesentliche Erkenntnisse unserer Forschungsarbeit nicht in praktisches Handeln übersetzt“. Auch diese Stimmen wurden nicht gehört. Die Bundesnotbremse trat kurz danach in Kraft – mit weitreichenden Freiheits- und Grundrechtseinschränkungen im Freien. Heute erklärt Karl Lauterbach, diese Maßnahmen seien „Schwachsinn“ gewesen.
– Im Januar 2021 erklärte die Wissenschaftlergruppe um den Mediziner Matthias Schrappe, dass die Lockdown-Politik gerade für die Vulnerablen völlig wirkungslos ist. Auch diese wurden nicht gehört. Der zweite Lockdown endete erst nach sechs Monaten im Mai 2021. Der vom Bundestag eingesetzte Corona-Evaluationsrat stellte später fest:
„Insgesamt ist ein Zusammenhang zwischen der Höhe der Inzidenz und der Maßnahmenstärke nicht erkennbar.“
Hinzu kam, dass die Exekutive nicht viel dafür getan hat, bei den sogenannten „Entscheidungen unter Unsicherheiten“ die Unsicherheiten aufzulösen. Im Februar 2021 forderte das OVG Lüneburg das Robert Koch-Institut auf, endlich nutzbare Daten über die Ansteckungswege zu liefern, wörtlich:
„Es ist mehr als unbefriedigend, dass das RKI nach inzwischen einem Jahr Dauer der Pandemie lediglich einen Bruchteil der Infektionen bestimmten Lebensbereichen zuordnen kann (…). Aus diesem Grunde sind gezielte Schutzmaßnahmen weiterhin kaum möglich, und es müssen breitflächige Schließungen und Kontaktverbote angeordnet werden, die erhebliche Grundrechtseingriffe und zunehmende Akzeptanzprobleme zur Folge haben.“
Bis heute wartet die deutsche Öffentlichkeit darauf, dass bei den Todes- und Hospitalisierungszahlen „an“ und „mit Corona“ ausgewiesen wird. Ich frage das BMG seit März 2021 regelmäßig, wann diese Differenzierung erfolgt. Immer wieder lautet die Antwort: Wir sind ganz kurz davor. Und dass es hier Aufklärungsbedarf gibt, zeigen auch die aktuellen internationalen Zahlen zu den Todesfällen. Laut „Our World in Data“ liegen die 7-Tage-Todeszahlen derzeit weltweit bei 0,12 COVID-Todesfällen pro Million. In Deutschland sind es 1,02.
Dass das RKI im Frühjahr 2022 nicht die einmalige Möglichkeit genutzt hatte, die Wirkung der Maskenpflicht zu überprüfen, als es in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern schärfere Maskenregeln als im restlichen Bundesgebiet gab, halte ich für Arbeitsverweigerung. Das RKI hat die im BGA-Nachfolgegesetz und im Infektionsschutzgesetz geregelte Aufgabe, wissenschaftliche Erkenntnisse als Basis für gesundheitspolitische Entscheidungen zu erarbeiten.
Diese Aufgabe hat das Bundesverfassungsgericht vor anderthalb Jahren noch einmal unterstrichen. Dieser Aufgabe ist es aber, so meine Wahrnehmung, in der Pandemie häufig nicht gerecht geworden.
Und wir müssen im Rahmen der Enquetekommission die Rolle und die Rechte der ersten Gewalt thematisieren. Das Parlament hat sich unter Schwarz-Rot zum Teil selbst aus dem Rennen genommen, die Abgeordneten wurde aber gleichzeitig auch mit Informationen kurz gehalten: Ich habe an die Bundesregierung seit Beginn der Pandemie 71 parlamentarische Einzelfragen zum Corona-Komplex gerichtet und konnte dabei den Eindruck gewinnen, dass das Bundesgesundheitsministerium sowie das RKI als nachgeordnete Behörde ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit gepflegt haben. Am 12. Januar dieses Jahres erklärte mir das Ministerium zum Beispiel, eine Aufhebung der Maskenpflicht im Fernverkehr sei „aktuell noch nicht sachgerecht“. Wenige Stunden (!) später erklärte Karl Lauterbach öffentlich, die Maskenpflicht im Fernverkehr
werde aufgehoben.
Ein anderes Beispiel zu den Schulschließungen: Gegenüber dem Bundesverfassungsgericht erklärte das RKI, dass es nicht ausreichend Daten habe, um festzustellen, ob Präsenzunterricht möglich sei. Vor wenigen Wochen erklärte aber Lothar Wieler in der „Zeit“ sinngemäß: Wir wussten die ganze Zeit, dass Präsenzunterricht in der Schule unter bestimmten Bedingungen möglich ist.
Das sind Widersprüche, die im Rahmen einer Enquetekommission aufgeklärt werden sollten – auch um festzustellen, ob wir Behörden, die eine besondere Verantwortung tragen, strukturell krisenfester machen können.
Zu guter Letzt: Es gab in der Pandemie sicherlich selten einfache Entscheidungen. Es gab jedoch manche politischen Entscheidungen, die unter fragwürdigen Umständen zustande gekommen sind. Unsere Lernerfahrung sollte sein, dass wir herausfinden, warum Stimmen, die sich im Nachhinein als richtig erwiesen haben, nicht in der Entscheidungsfindung berücksichtigt wurden.
Mein Eindruck ist, vielerorts wird unterschätzt, wie tief die Enttäuschung, wie groß die Frustration und wie fortgeschritten die Abwendungstendenzen von Teilen unserer Gesellschaft sind. Einige Maßnahmen, wie 2G, haben aus meiner Sicht schwere gesellschaftliche Schäden verursacht und Spaltungstendenzen vertieft. Es ist unsere Aufgabe, mit einer sauberen und vorbehaltlosen Aufklärung dazu beizutragen, dass Gräben wieder zugeschüttet werden können, damit Heilung ermöglicht wird.