„Mit der Verteilung von Eigentum und Lasten verhält es sich wie mit einem Fußballspiel, das am nächsten Morgen Stadtgespräch ist. Jeder hat dazu eine Meinung, die Wahrheit des Geschehens liegt aber unformulierbar und unbegreiflich auf dem Platz und entzieht sich allen Worten und aller Logik. Es ist viel einfacher, sich darauf zu einigen, was nicht passiert ist, als auf das tatsächliche Geschehen. Und wie beim Fußball kann man dennoch nicht darüber schweigen, denn Verteilung, Gerechtigkeit und Wohlstand haben einen Zusammenhang, der ausgesprochen sein will.“ Genau dies war offensichtlich das Ansinnen von Georg von Wallwitz, als er sich damit trug, dieses Buch zu schreiben. Und genau dies ist auch der Grundtenor seines Werkes. Er hebt den großen Schleier, der über einem Wort mit großer Tragweite ausgebreitet liegt – der Ökonomie – und stellt es neben das der Literatur und der Philosophie, „die seit jeher von der Liebe, vom Guten, vom Schönen und von Gott handelten und doch alle fünfzig Jahre etwas anderes darunter verstanden.“ Mit letzterem, sich stetig wandelnden Verständnis mag man vielleicht noch mitgehen. Aber was die Ökonomie mit Liebe und Schönheit zu tun hat und zudem, beim Blick auf die Weltwirtschaft, auch noch das Gute verkörpern soll, leuchtete einem Laien wie mir bis dato nicht in seiner Gänze ein. Einzig einen „sakralen“ Hang könnte man ihr noch zuschreiben, wenn man diverse Spekulanten und andere nach Höherem (oder Erleuchtung?) strebende Eiferer verfolgt.
Dass es der Text des 1968 in München geborenen Autors letztendlich sogar bis auf die Shortlist des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises 2013 schaffte, erscheint nach dem Zuschlagen der letzten Seite mehr als gerechtfertigt. Denn wie Georg von Wallwitz „in gebotener Kürze und Leichtigkeit“ beschreibt, „wie die Ökonomie zu dem geworden ist, was sie heute darstellt, worin ihre größten Fortschritte bestehen, wie sie dabei immer Spiegel, Ausdruck und Kind ihrer Zeit blieb“, kann einfach nur (von einem ausgesprochenen Laien und „bis-dato-Nichtversteher“) als höchst gelungen bezeichnet werden. Fach- und sachkundig sowie ungemein unterhaltsam stellt er annähernd chronologisch die Geschichte der modernen Ökonomie dar.
Von Wallwitz beginnt vor gut 250 Jahren mit „Voltaires Paradies“, einer Zeit, in der die Ökonomie aufhörte, „eine Randerscheinung und Lehre für brave Haus- und Landwirte zu sein“, leitet über zu eben jenem titelgebenden Adam Smith und seinem, ihn schlagartig in ganz Europa bekannt machenden und auch heute noch in gewissen Teilen gültigen Buch „Der Wohlstand der Nationen“. Munter folgt er den Spuren von David Ricardo, Jean-Jacques Rousseau, dem wütend-schillernden Vollblutrevolutionär und Rebellen Michail Bakunin, dem intellektuellen Wunderkind und konsequentialistischen Denker John Stuart Mill, dem „Retter der Zivilisation“ und Erfinder der Makroökonomie John Maynard Keynes bis hin zum österreichischen „Paradiesvogel“ Joseph Schumpeter, das Ganze gewürzt mit mehr oder weniger heftigen Seitenhieben auf Karl Marx. Der Autor zieht zudem einige „moderne“ Quervergleiche anhand des Chinesischen Wachstumsmodells, der Tea-Party-Bewegung oder des 2008 zusammenstürzenden „Turmbaus zu Island“.
Georg von Wallwitz erläutert die Gesetze der Marktwirtschaft genauso souverän wie er locker und leicht über Geld plaudert und philosophiert. „Wie viel darf man den Jungen wegnehmen und den Alten geben, bevor es sich um einen Verstoß gegen die Generationengerechtigkeit handelt? Ist die Anhebung des Renteneintrittsalters eine Gemeinheit oder nur gerecht? Sind flexible Arbeitsmärkte ein Mittel der Ausbeutung oder eine Möglichkeit, junge Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren?“, sind nur einige Fragen, die fundiert und äußerst anschaulich diskutiert werden. Auch solch heikle Themen wie Steuern und staatliche Regulierung werden aufgegriffen und mit der alles überspannenden Frage nach dem Sinn des Wohlstands kurzweilig veredelt. Zahlreiche literarische Einflechtungen und Querverweise auf Victor Hugos „Les Misérables“, Emile Zolas „Germinal“, Charles Dickens „Oliver Twist“, Schiller, Novalis und viele andere mehr, lockern auf und ergänzen sein „Plädoyer des ökonomischen Wohlstands“.
Letztendlich kann und wird aber auch Georg von Wallwitz nicht den Lauf der Dinge voraussagen sowie eine allumfassende Definition des Wortes „Wohlstand“ geben können. Denn jener „ist eine Phantasie, ein unbestimmtes Feld luftiger Vorstellungen, die sich aber immer auf uns selbst beziehen, oder auf unsere Liebe, was gleich gut ist. Er erschöpft sich nicht in der Fülle der Dinge, die uns allenfalls für eine Weile glücklich machen, denn es gibt in den Dingen kein Ende und kein Ziel.“, beschließt der Autor sein großartiges Buch. Aber vielleicht ist dies auch gut so. Denn der „Blick hinter den Schleier, die Erkenntnis der allzu flüchtigen Natur des Wohlstands, würde den 'animal spirit' und den Fortschritt hin zu Fülle, Schönheit, Zivilisation und im Übrigen zu allem, was Voltaire am Herzen lag, zum Erliegen bringen. Es ist wohl besser, wir lassen den Schleier unberührt, damit all die ernsten Bemühungen der theoretischen und praktischen Ökonomen weiter gehen können (…), als sei er mehr als eine Leerstelle, ein Platzhalter, eine Erfindung.“ Eine Aussage Georg von Wallwitz könnte allerdings per Definition in Stein gemeißelt werden: „Zweck der Ökonomie ist nicht nur die Erhöhung der Produktivität, sondern in erster Linie die Schaffung der Bedingungen für ein anständiges Leben. Darin besteht doch der Wohlstand, dass wir kultiviert, höflich und moralisch sein können, dass wir Raum und Freiheit haben für alle Aspekte des Lebens, ohne Angst vor der Krise. Dass wir die Liebe zum Geld hinter uns lassen und uns Höherem widmen können. Kunst und Wissenschaft kultivieren uns.“
Georg von Wallwitz
Mr. Smith und das Paradies. Die Erfindung des Wohlstands.
Berenberg Verlag (September 2013)
200 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 393783463X
ISBN-13: 978-3937834634
Preis: 22,00 EUR
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.