Die Präimplantationsdiagnostik (PID) sollte vom Gesetzgeber der Pränataldiagnostik (PND) gleichgestellt werden und betroffenen Frauen in Deutschland unter Auflagen zugänglich sein. Dadurch ließen sich Schwangerschaftsabbrüche vermeiden, die Embryonen betreffen, die durch erbliche Krankheiten schwer geschädigt sind. Diese Empfehlung sprechen die Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (für die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften) aus. Die Stellungnahme behandelt die medizinischen, rechtlichen und ethischen Aspekte der PID vor dem Hintergrund des Regelungsbedarfes, der sich durch das Urteil des Bundesgerichthofes vom 6. Juli 2010 ergeben hat, wonach ein Verbot der PID nicht aus dem Embryonenschutzgesetz hergeleitet werden kann.
„Es geht hier darum, eine Gewissensentscheidung der Frau zu ermöglichen“, so Hans-Peter Zenner, Leiter der Arbeitsgruppe, die die Stellungnahme erarbeitet hat. In der Diskussion um die PID habe weniger die ärztliche Diagnostik, sondern die Wahlmöglichkeit der Frau zentrale Bedeutung. Denn die Frau sei von der Schwangerschaft direkt betroffen, habe nach der Geburt in höchstem Maße Verantwortung für das Kind, und sie entscheide auch allein über den Transfer des Embryos in ihre Gebärmutter. Die Arbeitsgruppe der Akademien sehe keine Notwendigkeit des Staates, diese Gewissensentscheidung durch ein Gesetz zu verbieten, erläutert Zenner. Denn es gelte als Errungenschaft des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaates, dass das Gewissen des einzelnen Menschen zu achten und moralische Überzeugungen zu akzeptieren seien, aber eben nicht in einem für alle geltenden Gesetz festgeschrieben werden müssten. Die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die Wertefragen unterschiedlich beantworteten und unterstützten, könnten ohne Zweifel eine betroffene Frau im Rahmen ihres Wirkens beraten, so Zenner weiter. Frauen sollten sich gemäß ihrer Überzeugungen für oder auch gegen die PID entscheiden können.
PID ist ein Diagnoseverfahren. Es ermöglicht Menschen, die Träger eines Krankheitsgens sind, Eltern eines Kindes zu werden, das nicht an dieser schweren erblichen Krankheit leidet. Dazu wird bei einem durch in-vitro-Fertilisation erzeugten Embryo eine Untersuchung auf diese Krankheit durchgeführt, bevor dieser in die Gebärmutter eingepflanzt wird. Eine vergleichbare Untersuchung im Bereich der Pränataldiagnostik, also des Embryos im Mutterleib, ist zum Beispiel die Fruchtwasseruntersuchung, in deren Folge ein Abbruch der Schwangerschaft aufgrund medizinischer Indikation erlaubt ist. „Dieser für Frauen oft belastende Schwangerschaftsabbruch kann vermieden werden“, so Zenner.
Eine Zulassung der PID muss jedoch, so die Empfehlung der Akademiengruppe, unter bestimmten begrenzten Voraussetzungen geschehen. Eine Untersuchung sollte demgemäß ausschließlich an nicht-totipotenten Zellen des Embryos durchgeführt werden und ihn nicht schädigen, so dass er ausgetragen werden kann. Derartige Methoden stehen heute zur Verfügung. Das Motiv der Eltern, eine solche Untersuchung durchführen zu lassen, müsse generell ein Kinderwunsch sein. Sie könne auch nur bei Paaren durchgeführt werden, für die medizinisch tatsächlich ein hohes Risiko besteht, dass ihre Nachkommen an einer genetisch bedingten, schweren Krankheit leiden werden, zum Beispiel an einem Fragilen X-Syndrom, das eine der häufigen Ursachen für eine geistige Behinderung darstellt, oder an einer erblich bedingten schweren Muskelschwäche wie der Muskeldystrophie Duchenne.
Die PID dürfe zudem ohne Ausnahme nur zur Diagnostik einer unheilbaren schweren erblichen Krankheit eingesetzt werden und niemals zu eugenischen Zwecken. Es sei wichtig, eine Sachverständige Stelle einzurichten, die die Richtlinien zur Durchführung der PID erlässt und jeden Einzelfall auf einen begründeten Antrag hin befürwortet oder ablehnt. Die Untersuchung selbst dürfe nur in dafür zugelassenen und regelmäßig kontrollierten Einrichtungen und nach einer umfassenden Beratung der Eltern durchgeführt werden.
Die Stellungnahme wurde von einer Akademiengruppe aus 13 renommierten Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen erarbeitet. Ihr gehörten an: Prof. Dr. Claus R. Bartram (Humangenetiker, Heidelberg), Prof. Dr. Henning M. Beier (Embryologe und Reproduktionsbiologe, Aachen), Prof. Dr. Klaus Diedrich (Gynäkologe und Reproduktionsmediziner, Lübeck), Prof. Dr. Philipp U. Heitz (Mediziner, Präsidiumsmitglied der Leopoldina, Zürich), Prof. Dr. Hermann Hepp (Gynäkologe und Reproduktionsmediziner, München), Prof. Dr. Otfried Höffe (Rechts- und Moralphilosoph, Tübingen), Prof. Dr. Christiane Nüsslein-Volhard (Entwicklungsbiologin, Tübingen), Prof. Dr. Peter Propping (Humangenetiker, Bonn), Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert (Medizinethikerin, Münster), Prof. Dr. Jochen Taupitz (Medizinrechtler, Mannheim), Prof. Dr. Anna M. Wobus (Zellbiologin, Gatersleben), Prof. Dr. Rüdiger Wolfrum (Rechtswissenschaftler, Heidelberg) und Prof. Dr. Hans-Peter Zenner (Mediziner, Präsidiumsmitglied der Leopoldina, Tübingen) als federführender Moderator.
Die Stellungnahme ist auf www.leopoldina.org abrufbar.
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