Zwei Jahre sind es her, dass am Münchner Nationaltheater ein „Tannhäuser“ der Extraklasse ins Bühnenleben gerufen wurde. In dieser Zeitung wurde darüber berichtet (Ausgabe vom 22. 5. 2017). Damals bemühte ich a) noch keinen online-Besucher-Service und hatte b) keinen Hinweis auf die der Aufführung (17 Uhr) vorausgehende Einführung. Beides wurde beim erneuten Besuch der ungewöhnlichen Inszenierung des italienischen Theatermagiers Romeo Castellucci wahrgenommen. Was damals zum „Zahnausbeißen“ empfunden wurde, hatte sich in vielfacher Weise gemildert. Nicht dass nun jedes der von Castellucci bemühten Symbole seine vollkommene Erklärung gefunden hätte – in einigen Punkten kam ich der Lösung der aufgegebenen Rätsel ziemlich nahe.
Das sich als „kompakt“ bezeichnende „Nachrichten-Magazin“ der FAZ mit dem Titel „Woche“ warb am vergangenen Sonntag mit dem Slogan „Wissen, worauf es ankommt“. Die relevanten Themen, so wurde versprochen, werden „kompakt aufbereitet und eingeordnet“. Um nichts anderes geht es in der Oper, zumal dann, wenn sie inhaltlich das Niveau von „La Bohème“ oder „Cenerentola“ verlässt und es, wie bei Wagners 13-er Werk-Paket (vom „Holländer“ bis zum „Parsifal“), übersteigt. Der „Tannhäuser“-Besucher braucht, bevor er die Münchner Castellucci-Version nicht nur durchzustehen, sondern auch zu verstehen hat, Deutungshilfe. Wieviel davon – das ist die Frage. Ganze Bibliotheken durcharbeiten? Wem stehen sie zu Gebote? Wer ist in der Lage, sich das Wichtige herauszupicken?
Dazu sind die Pädagogen da. In diesem Fall sind es die Dramaturgen. Wie gehabt: Malte Krasting führte um 16 Uhr 35 Minuten lang (25 waren angepeilt) in den „Tannhäuser“ ein. Er tat das sehr souverän und gut verständlich. Nicht alle, die in den Capriccio-Saal wollten, um sich von ihm in Kürze Castelluccis Metaphern (vom Pfeil über den Fleischberg der Göttin Venus bis zu den wehenden Schleiern des 2. Aktes) erklären zu lassen, bekamen Platz. Vielleicht griffen sie zur Selbst-Hilfe und lasen Krastings Aufsatz im (sich übrigens durch beeindruckende Noblesse auszeichnenden) Programmbuch. Sein Einführungs-Referat ist dort schwarz auf weiß gedruckt, sogar golddurchwirkt.
Internet-Jüngern sollten generell, speziell zu den „Tannhäuser“-Aufführungen, die Besucher-Infos der Bayerischen Staatsoper in deren Newsletter (s. Foto) nutzen. Man erfährt Banales (geänderte Verkehrsverhältnisse) und blickt backstage für Hintergründe zur Produktion. Es geht auch um Verstiegenes zu Castelluccis Bildwelt, ohne in diese wenigstens ein paar Zentimeter vorgedrungen zu sein einem die ganze „Tannhäuser“-Sache, wie sie faszinierend, atemberaubend auf der Bühne des Nationaltheaters verhandelt wird, ein Buch mit sieben Siegeln bliebe.
So viel Pädagogik also braucht die Oper wie nötig und verkraftbar. Was nichts mit Gängelung zu tun hat, sondern mit Erhellung. Und mit Prävention. So mancher Schock kann verhütet werden – etwa der, den die sich über Äonen hinziehende Verwesung von „Klaus“ und „Lise“ im Schlussakt auslösen könnte. Mir ist, zugegeben, bis heute nicht einsichtig, auf die Katafalke die Vornamen der Solisten statt „Heinrich“ und „Elisabeth“ gesetzt zu haben. Über die Besetzung der Wiederaufnahme des Münchner „Tannhäuser“ ist, kompakt gesagt, nur Gutes zu berichten: ein nach wie vor hochkarätiger, bis zur flehentlichen Bitte „Heilige Elisabeth, bitte für mich!“ präsenter Klaus Florian Vogt als Titelheld, eine ebenso resolute wie engelhaft hochdramatische, makellose Lise Davidsen als Elisabeth, ein zupackender, stimmvoluminöser, in seiner Traurigkeit gefasster Ludovic Tézier als Wolfram, eine hell leuchtende, sinnliche Elena Pankratova als Venus und ein gütiger, wohllautender Stephen Milling als Landgraf. Simone Youngs entschieden zu füllige, leerlaufende, den klangschönen Staatsopernchor machtvoll herausfordernde, das Staatsorchester aber zu oft zu klobigen Passagen verleitende Interpretation fiel Galeristen so stark auf die Nerven, dass sie sich zu Buhs entschlossen. Der Riege halbnackter pfeilschießender Amazonen und dem Bewegungschor gilt unsere aufrichtige Bewunderung für die Umsetzung der von Cindy Van Acker geforderten Choreografie, die auch nach zwei Jahren nichts von ihrer Frische und Eleganz eingebüßt hat.