„Das Gesamtkunstwerk Rokoko wird am PC, Tablet oder Smartphone erlebbar. Drei bayerische Rokokokirchen wurden in zehntausenden hochauflösenden Einzelbildern abgelichtet und können nun als dreidimensionale Panoramen im Internet besichtigt werden.“ Solche Meldungen aus der Münchner Ausstellungs-„Küche“ sind selten. Aber wahr – jedenfalls was die neue Schau der Hypo-Kunsthalle anbelangt. Sie feiert mit „Mit Leib und Seele“ auf vielfältige Weise das bayerische Rokoko.
Wer kennt schon Straub? Johann Baptist Straub. Ist von Bayerns Rokoko die Rede, fallen meist zuerst Namen wie Ignaz Günther, Cosmas und Damian Asam, und mit Straub etwa noch F. X. Schmädl, Joseph Götsch oder Roman Anton Boos. Dabei war jener aus dem Württembergischen stammende J. B. Straub es, der über das Taufbecken des Marienmünsters zu Dießen am Ammersee eine der zartesten all der jünglingshaft-schmalen, rosigen, halbnackten Engel setzte, die uns das Rokoko schenkte. Den Dießener Engel hat man, ähnlich zahlreichen „Kolleg(inn)en“, aus seinem Umfeld entführt, um ihn, überaus wirkungsvoll, den Besuchern nicht etwa nur virtuell, sondern leibhaftig zu präsentieren.
J. B. Straub, einer der beachtenswertesten bayerischen Bildhauer des 18. Jahrhunderts, hat Maßstäbe gesetzt. Seine Figuren schweben. Bewegen sich, Arme und Beine graziös schwingend, so würdevoller wie anmutig. Sie Lächeln, blühen, strahlen Jugendlichkeit und Unschuld aus, gepaart mit beneidenswertem Charme. Gloria in excelsis – Gott sei gepriesen. Fast alles, was diese himmlisch leuchtende Ausstellung zeigt – wobei die Verfrachtung der herrlichen Exponate in die zum Sakralgelände mutierten Räume in Münchens Fünf Höfen irgendwie dann doch bedauerlich sein mag, weil man sie lieber an Ort und Stelle „erlebte“ – das meiste jedenfalls hat mit Glauben zu tun. Ohne Rückbindung an das Geheimnis des menschgewordenen Gottessohnes ist gerade das Rokoko, selbst in vielen seiner weltlichen Ausprägungen, nur unvollständig einzustufen.
Verständlich, dass sich die Hypo-Kunsthalle die Mitwirkung eines sowohl geist-gebenden als auch geistlich ausgerichteten Ko-Kurators sicherte. Mit dem Leiter des Diözesanmuseums Freising, Christoph Kürzeder ist es eine Freude, den Spaziergang durch die, nicht nur Münchner, Kunstgeschichte des allem Heiligen und zugleich Sinnenfreudigen zugewandten vor-aufklärerischen 18. Jahrhunderts anzutreten. Begonnen wird bei den Brüdern Asam. Ihre Bedeutung und Begabung wird freilich nicht unbedingt an den herbeigebrachten Einzel-Stücken, sondern erst ungeteilt im Kontext des Gesamtkunstwerks etwa in der „Asamkirche“ in der Sendlinger Straße offen- und begreifbar. Fotos ersetzen nur im Entfernten das „All-Gemeine“ gerade des Werks der Asam-Brüder. Malerei und Architektur des Rokoko wurden gottlob nicht stückwerkhaft ersetzt und veranschaulicht – beides blieb schlicht draußen. Künstlichen Ersatz bieten die Touch-Screen-Pulte: Wisch-wisch-wisch dir das Rokoko herbei!
Wenn gesagt wurde, dass auch 250 Jahre nach ihrer Entstehung Ignaz Günthers Heilige immer noch in ihrer „himmlischen Noblesse“ den heutigen Betrachter ansprechen, so ist damit der nicht oder lau gläubige gemeint. Dieser muss allerdings einiges für ihn gewiss Unangenehme ertragen: viel Schmerzhaftes (Pietàs, Kreuzigungen, Leidensheiland), viel Theatralisches, jede Menge Sakral-Devotionales, fast zu viel Engelhaftes. Wen das erdrückt, der suche die profane, lustige, augenzwinkernde Seite des Rokoko – und er wird sie finden, nicht zuletzt bei Ignaz Günther Rotter Pfarrkirchen-Ausstattung oder in den porzellanenen Verspieltheiten eines Modelliermeisters wie F. A. Bustelli.
TIPP:
Ausstellung „Mit Leib und Seele. Münchner Rokoko von Asam bis Günther“, mit Themen- und Kuratorenführungen, Vorträgen, Kinderprogramm, Licht- und Video-Performances, Stuckwerkstatt, Sonderöffnungen für Schulklassen (Anmeldung unter 089-224412) u.v.a.m., geöffnet täglich 10 – 20 Uhr außer Heiligabend, Silvester 10 –17 Uhr. Dauer: bis 12. April 2015.
Foto Hans Gärtner:
Typisch Rokoko: Schmiedeeisener Torbeschlag, Marienmünster Dießen am Ammersee
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