Wird Olaf Scholz durch Boris Pistorius ersetzt?

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Von Annette Heinisch

Laut Bild-Zeitung hat die italienische Zeitung „La Repubblica“ über Gerüchte berichtet, wonach in Deutschland ein Kanzlertausch bevorstünde. Bevor man sich allzu hoffnungsfroh fragt, gegen wen man den Kanzler am besten eintauschen könnte, sei der Hinweis erlaubt, dass Olaf Scholz durch Boris Pistorius ersetzt werden soll.

Bekanntlich hat Scholz ja nicht nur die Cum Ex-Affaire am Hals, bei der er durch Erinnerungslücken glänzt, sondern auch den größten Skandal in Deutschlands Wirtschaftsgeschichte: Wirecard.

„Grund für den Wechsel im Kanzleramt laut zwei anonymen Quellen, die die Berlin-Korrespondentin der Zeitung zitiert: der Skandal um die Betrüger-Firma Wirecard und deren abgetauchten Chef Jan Marsalek (43). Er wird in Moskau vermutet, soll nach neuen britischen und US-amerikanischen Erkenntnissen schon länger eine Rolle in Putins Geheimdienst FSB spielen“, so die Bild-Zeitung.

Und dieser Skandal soll nun dem Kanzler gefährlich werden können.

Zum Hintergrund:

Bei Wirecard handelte es sich um einen Zahlungsabwickler, das deutsche Paypal, wie es einst vollmundig hieß. Gegründet 1998 hatte das Unternehmen eine wechselvolle Geschichte, über die Abwicklung von kostenpflichtigen Porno-Webseiten über Glückspiel bis hin zu völlig normalen Geschäften.

Bereits 2008 gab es kritische Analysen zur Wirecard-Aktie, das Rumoren verstärkte sich immer mehr. 2018 fand die amerikanische Shortsellerin Fahmi Quadir heraus, dass Wirecard in kriminelle Machenschaften verstrickt war und ihrer Ansicht nach der Geldwäsche diente. Sie leitete ihre Informationen an die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) weiter, die unter Aufsicht des damaligen Finanzministers Olaf Scholz stand. Passiert ist nichts. Genauer gesagt: Wirecard passierte nichts, Fahmi Quadir schon.

Erst 2020 fiel dann auf, dass die angeblichen Asien-Geschäfte von Wirecard in Singapur, Dubai, den Philippinen und weiteren asiatischen Ländern reine Luftnummern waren. Der milliardenschwere Betrug bei Wirecard flog auf, dann erfolgte die Insolvenz. Mehr als 30.000 Menschen wurden geschädigt.

Neuere Entwicklungen

Ende 2023 und damit kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist hat nunmehr der Insolvenzverwalter von Wirecard, Michael Jaffé, mehrere Schadensersatzklagen eingereicht. Die wohl größte Forderung in Höhe von 1,5 Milliarden Euro richtet sich gegen die Wirtschaftsprüfer Ernst & Young (EY), eine weitere Klage in Höhe von 140 Millionen Euro gegen eine Investmentbank, die Wirecard wenige Monate vor der Insolvenz beim Aktienrückkauf behilflich gewesen ist. Außerdem verklagt er den Ex-Finanzchef von Wirecard auf Rückzahlung von € 815.000-, die dieser 2020 aus einem Beratervertrag erhalten hat, der bereits 2019 ausgelaufen war.

Die Klage gegen EY ist dabei Kern des Vorgehens und besonders brisant. Dieses Unternehmen war viele Jahren mit der Prüfung von Wirecard beauftragt und hat bis 2019 Testate ohne grundlegende Beanstandungen erteilt. Das Handelsblatt berichtet:

“Der Insolvenzverwalter ist überzeugt, dass wesentliche Teile des Wirecard-Geschäfts komplett erfunden waren. Es gebe keine Nachweise, dass Wirecard jemals Händler an Drittpartner vermittelt hätte, die die Zahlungen im Auftrag abgewickelt hätten. Auch die von der Insolvenzverwaltung befragten Mitarbeiter hätten sich nicht daran erinnert, dass ein Händler an einen der angeblichen Partner vermittelt worden sei, heißt es in dem Sachstandsbericht….

Detaillierte Berechnungen hätten bestätigt, dass sich das Wirecard-Vermögen über die Jahre hinweg erheblich vermindert hat. Beispiele seien operative Verluste im real-existierenden Geschäft, M&A-Transaktionen und verdächtige Mittelabflüsse an Dritte, etwa auf Grundlage angeblicher Darlehens-, Software- oder Beraterverträge. All dies subsumiert Jaffé als sogenannten Insolvenzvertiefungsschaden.

Zudem seien einzelne inkriminierte Zahlungsflüsse identifiziert worden, die nach Jaffés Analyse verhindert worden wären, wenn EY im Rahmen der Prüfung rechtzeitig auf die Vorgänge hingewiesen hätte.”

Dieses dürfte erklären, warum die Staatsanwaltschaft Wirecard als „kriminelle Bande“ ansieht.

Völlig offen bleibt, warum EY die Testate erteilte. EY ist ein weltweit agierendes Netzwerk rechtlich selbstständiger und unabhängiger Unternehmen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Transaktionsberatung, Risk Advisory, Financial Advisory sowie Unternehmens- bzw. Managementberatung sowie klassische Rechtsberatung mit Hauptsitz in London. Mit über 300.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von ca. 40 Milliarden USD gehört es neben Deloitte, KPMG und PricewaterhouseCoopers zu den „Big Four“ der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.

Nicht einmal ein blutiger Anfänger aus dem Nirgendwo würde übersehen, wenn für angeblich umfangreiche Geschäfte keine Nachweise vorhanden sind. Wieso also EY?

In dem Artikel wird auch die interessante Tatsache erwähnt, dass manche Wirtschaftsprüfer die Übernahme des Gutachtermandats vom Insolvenzverwalter aus „geschäftspolitischen Gründen“ verweigert hätten.

Jan Marsalek

Der bereits laufende Prozess um die Haftung von Wirecard wurde nun vom Gericht verlängert, voraussichtlich um ein Jahr. Bisher belasten sich der in U-Haft befindliche ehemalige Vorstandsvorsitzende Markus Braun und der ebenfalls in U-Haft einsitzende Kronzeuge Oliver Bellenhaus, ehemaliger Generalbevollmächtigter der Wirecard Bank und Leiter der Niederlassung in Dubai, gegenseitig.

Nach Russland abgesetzt hatte sich der von Braun als Haupttäter bezeichnete Ex-Vertriebsvorstand Jan Marsalek. Nach Angaben der britischen Staatsanwaltschaft soll Marsalek für Russland spioniert, konkret einen Ring von fünf in Großbritannien lebenden Bulgaren geleitet haben, welche Informationen über Personen zwecks möglicher Entführung sammeln sollten. Darüber hinaus soll Marsalek wohl bereits seit einem Jahrzehnt russischer Agent gewesen sein und Wirecard genutzt haben, um den russischen Geheimdienst zu unterstützen. Der russische Einfluss habe bereits zu dem Zeitpunkt begonnen, als Wirecard hauptsächlich Zahlungsdienstleister für Porno-Seiten war. Laut Angaben des Wall Street Journal soll der mit internationalem Haftbefehlt gesuchte Marsalek auch die Wagner-Söldner unterstützt haben. Von seinem neuen Wohnort Dubai aus soll er im Auftrag von Russland nun ein neues Geschäftsimperium in Afrika aufbauen.

Bedenkt man, dass Wirecard auch für die Bundesregierung tätig war, sogar sensible Zahlungen für den Bundesnachrichtendienst tätigte, drängen sich diverse Fragen auf:

Was hat Marsalek während seiner Zeit bei Wirecard ausspioniert? Wen hat er ausspioniert? Warum ist die Bundesanwaltschaft nicht tätig, die nach § 120 Abs. 1 GVG für Spionage und Landesverrat zuständig ist?

Vor allem: Gegen wen hat Marsalek und damit Russland Kompromat in der Hand? Und welches?

SPD und Scholz

Und nun kommen wir wieder zurück zum Anfang. Dass die Verbindungen vieler Politiker, auch führender Sozialdemokraten zum Kreml durchaus eng sind, ist bekannt. Es ist verwunderlich, dass dieses bisher zu keinerlei Konsequenzen führte. Dies wäre schon dann mehr als fragwürdig, wenn noch Friedenszeiten herrschten und Russland, China und Iran nur euphemistisch als „systemische Gegner“ hätten bezeichnet werden können. Diese Zeiten sind aber vorbei.

Dass daher gewisse Befürchtungen im Raum stehen, dürfte sich aufdrängen. Nicht überzeugend geklärt ist auch bis heute, warum beispielsweise die BaFin nicht eingeschritten ist. Warum hat sie im Gegenteil 2019 sogar ein Leerverkaufsverbot erlassen? Damit wurde verboten, auf fallende Kurse bei Wirecard zu setzen. Nie zuvor hatte die BaFin derartiges getan, dies war das erste und bis dato einzige Mal. Besonders bemerkenswert ist dies vor dem oben geschilderten Hintergrund, dass die eingangs erwähnte Shortsellerin Fahmi Quadir bereits 2018 die Informationen an die BaFin weitergegeben hatte, wonach Wirecard in kriminelle Machenschaften verstrickt sei und Geldwäsche betreibe. Aus Anlegersicht hat die BaFin damit Wirecard einen Persilschein ausgestellt.

Es bleibt abzuwarten, was im Laufe des Prozesses noch alles ans Licht kommen wird.

Quelle: Vera Lengsfeld

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