Die „Hohenzollerndebatte“ schlägt hohe Wellen, und das vor allem, weil sich einige Landespolitiker darüber profilieren wollen. Zuweilen wird der Anschein erweckt, ein raffgieriger Fürst versuche, die öffentliche Hand zu erpressen. Doch die aktuelle Auseinandersetzung betrifft keinen Herrscher, und es geht nicht um öffentliches Eigentum. Vielmehr geht es lediglich um Besitztümer einer Privatperson. Dies ist Prinz Georg Friedrich von Preußen, dessen Großvater Louis Ferdinands von Preußen nach der Wiedervereinigung Deutschlands eine Initiative zur Rückerstattung des 1945 von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) entschädigungslos enteigneten Privatbesitzes des Kronprinzen Wilhelm gestartet hatte. Grundlage für diese Forderung war, dass in der DDR dieser illegale Zustand im „Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen“ fortgeschrieben worden war.
Seit 2014 wurde über diese Frage verhandelt. 2015 lehnte erstmals die zuständige brandenburgische Behörde dies Rückgabeforderungen von Prinz Georg Friedrich wegen angeblicher „erheblicher“ Vorschubleistung seines Urgroßvaters Wilhelm für das NS-Regime ab. Zuletzt machte sich 2019 ein brandenburgischer Finanzminister, den die Partei „Die Linke“ stellte, die Position des stalinistischen Sowjetkommunismus zu Eigen und brach diese Verhandlungen ab. Zwar versuchte die ihm nachfolgende SPD-Finanzministerin Katrin Lange einzulenken, aber die Sache blieb in der Schwebe – vor allem, weil nach wie vor die Mär vom „bösen Fürsten“ von interessierten Kreisen gezielt gestreut wird.
Mit allen Gerüchten, Falschinformationen und gezielten Unwahrheiten räumt nun ein gewichtiger Band auf, den das renommierte Verlagshaus Duncker & Humblot in Berlin vorstellt. Vor allem wird die These entkräftet, das Haus Hohenzollern habe dem NS-Regime „erheblich“ Vorschub geleistet. Zwar haben Mitglieder des Hauses Hohenzollern dem Nationalsozialismus nahegestanden, und gleichfalls hat zeitweise der Kronprinz versucht, im Sog des aufstrebenden Nationalsozialismus wieder zu mehr Bedeutung und Ansehen zu gelangen, aber diese war für die Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 keinesfalls „erheblich“ – so jedenfalls belegen es die Testate der versammelten Professoren und Personen der Zeitgeschichte, die hier ihre „Beiträge zu einem geschichtspolitischen Streit“ – so der Untertitel des Werkes – vorlegen.
Drei namhafte Professoren bilden das Herausgebergremium. Frank-Lothar Kroll hat den Lehrstuhl für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Chemnitz inne. Mit ihm zusammen zeichnen verantwortlich der Bonner Jurist und Kirchenrechtler Christian Hillgruber sowie der inzwischen emeritierte Michael Wolffsohn, der von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München war.
„Nutzloses Gezänk“ und „Raub am Adel“
Auf souveräne Art hält Professor Kroll der heutigen bundesrepublikanischen Gesellschaft den Spiegel vor: „Unabhängig von aktuellen Restitutionsansprüchen und nutzlosem Gezänk über vermeintliche oder tatsächliche Vorschubleistungen einzelner Prinzen für die Etablierung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems stünde es der demokratischen politischen Kultur der Berliner Republik nicht übel zu Gesicht, wenn manch einer ihrer tonangebenden Repräsentanten die Furcht vor der Mumie überwinden und dabei etwas mehr Gelassenheit und etwas weniger Empörungsbereitschaft im Umgang mit dem Thema ‚Monarchie’ an den Tag legen würde.“ Womit er ein zwar nicht juristisch hergeleitetes, aber nichtsdestotrotz sehr starkes Argument für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen der zuständigen Ländervertreter mit Prinz Georg Friedrich von Preußen liefert. Den Part der juristischen Bewertung übernimmt dann Professor Hillgruber – mit eindeutigem Ergebnis. Bezogen auf den Kronprinzen schreibt er: „Sein tatsächlicher Einfluss auf die politische Entwicklung am Ende der Weimarer Republik ist aber nach dem bisherigen geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisstand als niedrig zu veranschlagen.“ Womit von „erheblichem Vorschub“ keine Rede mehr sein kann. Völlig schonungslos schließt Professor Wolffsohn: „Man sehe mir nach, dass ich geschichtswissenschaftlich-analytisch sowie emotional als Betroffener jüdischer Deutscher zumindest die Legitimität der Legalität bundesdeutscher Entschädigungspolitik und -justiz bezweifele. Ich stelle ganz einfach fest: Sowohl in der frühen Bundesrepublik als auch jetzt wird Raub legalisiert. Damals der Raub an uns Juden und seit 1990 am Adel.“
Die Liste der an diesem Band beteiligten Professoren ist beeindruckend. Hier schreiben Historiker und Juristen, die substantiell etwas zu sagen haben. Die Lektüre zeigt, dass ihnen ein objektiver Blick auf die komplexen Rechts- und Gefühlslagen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts gelungen ist. Peter Brandt, Berlin, ist emeritierter Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Fernuniversität in Hagen. Thomas Brechenmacher hat den Lehrstuhl für Neuere Geschichte mit dem Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte am Historischen Institut der Universität Potsdam inne. Klaus Ferdinand Gärditz lehrt Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Peter Hoeres ist Inhaber des Lehrstuhls für Neueste Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Hans-Christof Kraus hat den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Passau inne. Lothar Machtan, jüngst durch eine Biographie des Kronprinzen Wilhelm hervorgetreten, lehrte und forschte bis 2015 als Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bremen. Horst Möller lehrte als Professor für Neuere und Neueste Geschichte am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Hans Ottomeyer, Ottobrunn bei München, ist ein deutscher Kunsthistoriker und ehemaliger Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum in Berlin. Rainer F. Schmidt, ebenfalls bereits emeritiert lehrte Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Ulrich Schlie ist Inhaber der Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Michael Sommer lehrt Alte Geschichte am Institut für Geschichte der Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg. Uwe Walter lehrt als Professor für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Alten Geschichte an die Universität Bielefeld. Thomas Weber lehrt für Geschichte und internationale Politik an der University of Aberdeen, Schottland.
Dazu kommen einige prominente Namen, allen voran der Politiker Björn Thümler, Minister für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen, gleich gefolgt von Tita von Hardenberg, der bekannten Berliner Fernsehjournalistin, Moderatorin und Fernsehproduzentin. Rüdiger Hans Alexander Joachim von Voss ist ein deutscher Jurist, Publizist und Historiker; Thomas E. Schmidt ist Kulturkorrespondent der Wochenzeitung „Die Zeit“; André Postert arbeitet am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Dresden; Benjamin Hasselhorn ist am Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg beschäftigt.
Argumentation gegen die Hohenzollern stürzt zusammen
All diese Autoren haben bemerkenswerte Beiträge geliefert – aber was kann damit erreicht werden? Was ändert sich jetzt? Das ist einfach erklärt. Das Adjektiv „erheblich“ ist ein juristischer Topos. Dieses Wort besagt, dass ohne eine solche „erhebliche“ Unterstützung Hitler niemals an die Macht gelangt wäre. Davon aber kann, das belegt dieser Band eindrücklich, nicht die Rede sein. Es ist vielmehr so, dass die Unterstützung, so unerfreulich sie auch war, als kaum relevant zu gelten hat. Damit aber stürzt die Grundlage zusammen, auf der dem heutigen Chef des Hauses Hohenzollern, Prinz Georg Friedrich, eine Rückgabe der widerrechtlich durch die Sowjet-Russen enteigneten Vermögenswerte verweigert werden kann. Er müsste dieser Rückgabe „unwürdig“ sein – eine solche Klausel enthält das Entschädigungsgesetz, das zur Anwendung kommen müsste, um Prinz Georg Friedrich seine ihm zustehenden Vermögenswerte auch zukünftig vorzuenthalten. Diese „Unwürdigkeit“ ist aber an den „erheblichen“ Vorschub für Hitler durch seine Vorfahren geknüpft. Nachdem eine solcherlei geartete Unterstützung aber nie gegeben war, entfällt auch die Anwendung der Unwürdigkeitsklausel im einschlägigen Gesetz.
Was also ist das Fazit des von Frank Lothar Kroll, Christian Hillgruber und Michael Wolffsohn herausgegebenen Bandes? Wie die Rückgabe widerrechtlicher Vermögenswerte an Prinz Georg Friedrich von Preußen zu erfolgen hat und welche Regelungen begleitend getroffen werden, ist offen. Es sollte weiter darüber verhandelt werden. Die einzelnen Autoren des Bandes sind dabei durchaus nicht in allen Einzelpunkten einer Meinung, sie eröffnen vielmehr eine breite Diskussion, die höchst interessant zu lesen ist. In einem sind sie sich jedoch einig: Eine Verweigerung der Rückgabe aller Vermögenswerte würde bedeuten, dass Stalins Sowjettruppen nachträglich triumphieren. Und das kann nicht der Standpunkt eines demokratischen Gemeinwesens sein, das die Bundesrepublik Deutschland nun einmal ist – auch wenn das nicht jedem Politiker der „Linken“ wirklich einleuchtet.
Die Option eines gerichtlichen Streites zwischen Ländervertretern und dem Chef des Hauses Hohenzollern erscheint nach der Lektüre dieses Bandes geradezu als grotesk. Das bleibt festzuhalten. Dem Verlag Duncker & Humblot ist damit ein großer Wurf gelungen, denn eine große gesellschaftliche Diskussion, die zumindest in Berlin und Brandenburg seit Jahren immer wieder für erhebliches Aufsehen sorgt, steht nun auf einer neuen Grundlage.