Wird Cem Özdemir Merkels neuer Außenminister?

Cem Oezdemir MdB, Buendnis 90/Die Gruenen im Bundestag

Gute Karten bei einer Koalition von Schwarz-Grün hätte Grünen-Chef Cem Özdemir, das Arbeiterkind unter den grünen Intellektuellen, der Schwabe- oder „Spätzle-Türke“. Sollten die Grünen tatsächlich mit Merkel an die Macht gelangen, hätte die Kanzlerin einen mittlerweile versierten Rhetoriker und Taktiker an ihrer Seite, der nicht mehr bloß nachplaudert, was ihm andere vorplappern.

Einst war Özdemir so etwas wie der ewige Ja-Sager seiner Partei, blass und schüchtern – charismatisch war was anderes. Bis zur Schlafmüdigkeit und gebetsmühlenartig wiederholte er die Political Correctness der Grünen; auf eine Plattitüde folgte die nächste.

Doch 2016 war anders und wurde zur Geburtsstunde des zweiten Cem. Er hat seine Metamorphose nun endgültig vollzogen. Der Meister der Tarnung und des Wegduckens war in die Offensive gegangen und hat den Schleier um sich gelüftet. Özdemir ist zum Schmetterling geworden und hat Kafkas Verwandlung in die entgegengesetzte Richtung vollzogen. Das Arbeiterkind unter den grünen Intellektuellen, der Schwabe- oder „Spätzle-Türke“, wie er oft genannt wird, hat sich gewandelt. Er ist nicht mehr der smarte Kukident-Verkäufer von nebenan. Der Grünen-Politiker ist ein anderer geworden, kräftiger, selbstsicherer. Er strotzt nun von Selbstvertrauen.

Die Mühen der Ebene

Dabei hatte der Vorzeigepolitiker für gelungene Integration lange Zeit keinen guten Stand in den eigenen Reihen – irgendwie passte er nicht in die bunte Welt der grünen Pullover-Fraktion und notorischen Anti-Kriegs-Gegner. Dass sich Özdemir für Waffenlieferungen an kurdische Peschmerga aussprach, glich einem flächendeckenden Bombeneinschlag. Auch seine Kampfansage an die Terrortruppen des „Islamischen Staates“, die man nicht mit „Yogamatten“ bekämpfen könne, löste einen kollektiven Shitstorm im linken Lager der Grünen aus und brachte die Genossen – samt Simone Peter – an den Rand eines kollektiven Nervenzusammenbruchs. Noch tiefer in Ungnade fiel er mit seiner Äußerung, dass wer gegen „Pegida“ sei auch gegen „Türgida“ sein müsse. „Es gibt leider auch eine Art türkische Pegida in Deutschland, die wir genauso behandeln müssen wie die uns bekannte“, betonte er gegenüber der „Bild am Sonntag“.

Doch jenseits aller Schmähungen, kritischen Anfeindungen und internen Grabenkämpfen – der neue Özdemir hält seinem Kurs.

Auf Konfrontation mit Ankara

Wie selbstsicher er geworden ist, zeigt sich überdeutlich und pointiert in seinem David-Kampf gegen den türkischen Riesen Goliath. Der Diktator aus Ankara, der Totengräber der Pressefreiheit und der Menschenrechte, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan, bleibt für den Grünen-Politiker die personifizierte Fratze des Bösen, die leibliche Inkarnation des Satans.

Und Özdemir, der mit seiner street credibility derzeit bei Deutsch-Türken hoch im Kurs steht, bietet ihm aufrichtig die Stirn. Während der Neo-Sultan wie ein Weltenrichter den Grünen von der Schwäbischen Alb als „angeblichen Türken“ stigmatisiert, dessen Blut gänzlich verdorben sei, geht Özdemir seinerseits voll auf Konfrontationskurs. Er hält nichts von „falscher Rücksichtnahme und vorauseilendem Gehorsam“ gegenüber diesem Despoten der Macht, wie sie das politische Establishment der Berliner Republik einfordert. Die Türkei ist ein „großes Gefängnis“ – dies zu ignorieren, ist bloßer und grobschlächtiger Zynismus.

Volksheld 2016

Je kälter der Wind vom Bosporus ihm entgegenbläst, desto kämpferischer gebärdet sich der Bundesvorsitzende der Grünen. Und während halb Europa Erdoğan umschmeichelte, sich beim Flüchtlingsdeal ihm buchstäblich vor die Füße in den Sand warf, war es wiederum Özdemir, der nicht nur den antiliberalen Kuschelkurs der Kanzlerin, ihre Bußgänge in den Orient frühzeitig kritisierte, sondern auch vor der nationalistischen Hetze türkischer Vereine wie DITIB und vor den Import-Imamen warnte – islamistische Gehirnwäsche inklusive.

Özdemir, der Phönix aus der Asche, einer der Initiatoren der „Armenien-Resolution“ im Bundestag, sah im Massaker vor hundert Jahren dann auch – anders als der designierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – einen genuinen Völkermord am Werk. Es war Genozid – basta!

Das Gepolter und die Donnerwolken aus Ankara haben Özdemir keineswegs geschadet, sondern ihn geadelt und in den Augen vieler Deutscher zum Volkshelden 2016 werden lassen.

Özdemir ist Merkel immer einen Schritt voraus

Während die Bundeskanzlerin noch von „privilegierter Partnerschaft“ sprach und beim Flüchtlingskurs wie ein betrunkener Autofahrer schlingerte und darüber hinaus sowohl parteiintern als auch bei der Schwester kontinuierlich an Gefolgschaft und Hofstaat verlor, hatte wiederum Özdemir betont, dass ein ungebremster Einreisestrom das Land überfordere.

Bei grundsätzlichen Entscheidungen im vergangenen Jahr gingen die Bonuspunkte im Hase- und Igel-Spiel an den Grünen, der einfach das bessere Gespür für den Zeitgeist hatte. Merkels auf Zeit-Spielen und ihr Zickzackkurs – Özdemir war hier weitaus realistischer, treffsicherer und verhöhnte Volkes Stimme nicht. Ob gegen Angela Merkel oder Erdoğan, der Grünen-Chef weiß sich nicht nur gekonnt zu inszenieren, er erweist sich nicht nur als bedächtiger Player, sondern er kann auch Provokation. Offene Konfrontation ist sein Credo – und dabei spielt es nur marginal eine Rolle, ob er Merkel, die eigene Partei oder den trübsinnigen Erdogan kritisiert.

Der neue Heilsbringer?

Millionen von Deutsch-Türken sehen mittlerweile in Özdemir ihren Heilsbringer, für den Integration nicht nur eine leere Worthülse ist, sondern auf den sie sich verlassen können, weil er mit ihrer Stimme spricht. Auch im Poker um Wählerstimmen aus diesem Klientel konnte die Kanzlerin dann nur nachziehen und erklären, dass auch sie „die Kanzlerin der Deutschtürken“ sei. Auch hier hatte Özdemir die göttliche Providentia wieder auf seiner Seite.

Ganz so einfach wird es dann doch nicht

Ganz so geschmeidig wie Winfried Kretschmann ist Cem Özdemir allerdings nicht. Er wird Merkel nicht wie ein zahmer Papagei aus der Hand fressen. Und mit einer mal links, mal nach rechts, in AfD-Nähe, schwenkenden CDU wird Özdemir nicht auf Kuschelkurs gehen – dies wurde nach dem CDU-Parteitagsbeschluss gegen die doppelte Staatsbürgerschaft deutlich. Gegen die CDU – aber mit Merkel – betont er dann auch, dass mit den Grünen als möglicher Koalitionspartner die doppelte Staatsbürgerschaft in keinem Fall abgeschafft werde. „Es macht doch keinen Sinn, dass in Deutschland geborene Kinder Ausländer bleiben“. Statt gelingender Integration würden damit nur Parallelgesellschaften gefördert. Ebenso deutlich kritisierte er den neuen Rechtsruck in der CDU, die im Superwahljahr auf Wählerfang bei der AfD gehen könnte. „Aber Angst kann nicht die Antwort sein auf diese Verunsicherung. Die Antwort muss einerseits Haltung sein. Und andererseits muss man sich um diejenigen kümmern, die zu Recht oder zu Unrecht das Gefühl haben, dass sie die Verlierer der Modernisierung sind.“ Wenn man den Slang der „Alternative für Deutschland“ imitiere, bekommt man die Rechtspopulisten nicht klein.

Sollten die Grünen tatsächlich mit Merkel an die Macht gelangen, hätte die Kanzlerin einen mittlerweile versierten Rhetoriker und Taktiker an ihrer Seite, der nicht mehr bloß nachplaudert, was ihm andere vorplappern. Mit seinem aggressiven Konfrontationskurs gegen Ankara könnte sich Özdemir als Außenminister der Bundesrepublik 2017 Meriten verdienen. Für die angeschlagene und politische geschwächte Kanzlerin, für die ihre vierte Amtszeit zu einem sehr persönlichen Fiasko werden könnte, zu ihrem Waterloo, könnte aber mit Özdemir in der Mannschaft auf ein gemeinsames Tor spielen. Doch vorerst hat sich Özdemir das Gebot der Demut auferlegt, um sich ganz auf den bevorstehenden Wahlkampf zu konzentrieren.

Der Text erschien zuerst auf: The European

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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