Ist die heutige Bundesrepublik, das Land von dem Sie als DDR-Bürger träumten?
Ich habe als DDR-Bürger nicht von einem anderen Land geträumt, sondern ich wollte, daß mein Land, Brandenburg-Berlin, die ostdeutschen Länder, in Demokratie und Freiheit leben können – das hat sich erfüllt.
Was hätten Sie sich gewünscht, was verändert?
Ich habe mir gewünscht, daß wir die Situation mental erlebbarer gemacht hätten, und daß wir auch in symbolischen Handlungen deutlich gemacht hätten, daß eine neue Zeit beginnt. Ich habe damals vorgeschlagen, daß wir nicht den 12. Deutschen Bundestag wählen, sondern den ersten gesamtdeutschen Bundestag, dies wäre ein Signal für die Menschen gewesen. Da herrschte zunächst im Westen die Meinung, wir wären nur eine vergrößerte Bundesrepublik und machen so weiter wie bisher. Daß die Vereinigung das Leben aller Deutschen verändert, ist bei den Westdeutschen erst sehr viel später angekommen.
25 Jahre sind nach dem Fall der innerdeutschen Grenze vergangen. Wo stehen wir heute, wo steht die CDU?
Wir stehen als Deutschland in Europa, auch in internationaler Verantwortung. Deutschland ist erwachsen geworden, außenpolitisch souverän, es hat eine wichtige Rolle bei der Ost-Erweiterung der europäischen Union gespielt, da waren die anderen westeuropäischen Länder anfangs gar nicht davon begeistert. Die CDU hat sich aus einem rheinisch-katholischen Wahlverein zu einer Partei der Mitte entwickelt; sie ist die einzige Partei, die im echten Sinne heute Volkspartei ist. Ich bedaure, daß die Personaldecke der CDU so dünn ist, so daß man Mühe hat, mitunter Posten verantwortlich zu besetzen. Das ist aber eine Frage, die mit der Gesamtfrage von Glaubwürdigkeit und Politik – und wie Politik sich darstellt – zusammenhängt. Dies ist damit nicht unbedingt ein CDU-spezifisches Phänomen.
Gibt es heute noch einen Unterschied zwischen der Ost- und der West – CDU, von der Sie auch in Ihrem Buch sprechen?
Nach 25 Jahren sind auch die handelnden Personen andere geworden, und ich glaube, daß die jetzt politisch Handelnden gesamtdeutsch sozialisiert sind. Die anderen waren westdeutsch, die anderen ostdeutsch sozialisiert; ich gestehe, daß ich die DDR nicht ganz losgeworden bin, will ich auch nicht, weil es ein wichtiger Teil meines Lebens gewesen ist, aber die Politiker, die jetzt handeln, wie Angela Merkel und Thomas de Maizière, sind in der Wendezeit politisch sozialisiert worden und sind gesamtdeutsche Politiker, empfinden auch eine gesamtdeutsche Verantwortung. Ich bin mir aber sicher, daß die Arbeitslosen in Sachsen Angela Merkel genauso anerkennen wie die in Gelsenkirchen.
In Ihrem biografischen Erinnerungen reflektieren Sie über das Thema Lüge, warum nimmt diese Thematik so einen großen Stellenwert ein?
Ich habe in DDR-Zeiten erlebt, daß mich meine Kinder immer wieder fragten, ob sie das, was wir zuhause politisch geäußert haben auch in der Schule sagen könnten. Oder, daß sie mich fragten, ob es zwei Wahrheiten gebe, eine private und eine für die Öffentlichkeit bestimmte. Dieses Gefühl, seine eigenen Kinder von vornherein zur Janusköpfigkeit zu erziehen, und zu sagen, aus taktischen Gründen würde ich die Frage in der Schule anderes beantworten als zuhause, dies hat mich so umgetrieben, und das war eigentlich der Hauptgrund, eigentlich die Hoffnung, diese Mißstände zu ändern, das ich damals in die Politik gegangen bin. Das war für mich der ausschlaggebende Punkt, überhaupt Politik zu machen.
Was verbinden Sie mit Michael Gorbatschow?
Es ist komisch. Er ist einer der großen Weltveränderer und trotzdem ist er fast eine tragische Figur. Er ist angetreten, einen neuen Sozialismus, eine reformierte UdSSR, zu schaffen. Er hat den Zerfall der Sowjetunion mitbewirkt, aber den Sozialismus eben nicht dahin führen können, wohin er wollte. Er ist mit Sicherheit einer der großen Weltbeweger der zweiten Hälfte 20. Jahrhunderts. Ich bin mit ihm sehr eng befreundet und wir haben gemeinsam die letzten Jahre den „Petersburger Dialog“ geleitet. Er ist eine historische Persönlichkeit, denn kaum einer wie er hat die Welt im 20. Jahrhundert so dramatisch verändert.
Wie beurteilen Sie die soziale Lage in Ostdeutschland?
Besser, als die öffentliche Darstellung, aber schwierig genug noch immer.
Bevölkerungsabwanderung, demographischer Wandel, welche Zukunft hat der Osten Deutschlands?
Wir werden noch einige große Umbrüche erleben. Wir haben nach der Wiedervereinigung festgestellt, daß die Landbevölkerung nicht in die Selbständigkeit gehen wollte, sondern die Großbetriebe behalten hat, die LPGs, die sich jetzt zwar anders nennen, haben keine Erben, die Kinder sind nicht mehr in der Landwirtschaft geblieben. Wir werden also eine wirkliche Umkrempelung auf dem Land erleben und damit auch der Landeskultur. Der Landwirt ist nicht nur Bauer, sondern betreibt die Landeskultur, ist der Ökologe. Dies wird schwierig werden. Zudem haben wir eine starke Überalterung im Osten, die fast dramatisch ist. Vor allem in Leipzig, Görlitz, in all diesen Städten, die schön hergerichtet sind, aber wo die Stadtabwanderung stattgefunden hat. Diese Städte locken jetzt westdeutsche Bundesbürger an, damit diese dort billige Wohnungen beziehen. Wir werden in zehn Jahren Pflegeheime brauchen. Ich glaube dennoch an eine Durchmischung mit den anderen Osteuropäern. Wir erleben zunehmend, daß auch an den Randgebieten Polen in Deutschland arbeiten und umgekehrt. Ich hoffe doch, daß er mit der zunehmenden Industrialisierung zu einer gewissen Rückwanderung kommt. Wir werden uns aber darauf einstellen müssen, daß die Bevölkerung in Deutschland schwindet. Desto wichtiger ist gerade die Frage der Integration von Ausländern bei uns, und daß wir dort vernünftige Wege gehen.
Das Interview führte Dr. Dr. Stefan Groß
Wir werden noch einige große Umbrüche erleben.
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