Wir nannten ihn Jimmy: Helmut Markwort zum 80. Geburtstag

Helmut Markwort: Foto: Stefan Groß

Mitten im Krieg kam er zu uns nach Rodach und besuchte mit uns die Volksschule, die im Jagdschloss untergebracht war: Helmut Markwort, der heute wohl berühmteste Rodacher! Seine Eltern hatten mit ihm im hessischen Darmstadt gelebt, das in der Nacht vom 11./12. September 1944 einem verheerenden Luftangriff der „Royal Air Force“ ausgesetzt war: 234 Bomber hatten in weniger als einer halben Stunde die gesamte Innenstadt zerstört, es hatte 11 500 Tote gegeben, die in den Luftschutzkellern verbrannt oder erstickt waren!

Da Helmuts Mutter geborene Rodacherin war, verließen die Eltern Markwort mit ihrem Sohn und den beiden Töchtern die ausgebrannte Stadt und kamen bei Verwandten in Rodach unter. Das Haus, ein Flachbau schräg gegenüber dem Gasthof „Deutscher Kaiser“, wo im Krieg immer Filmvorführungen stattfanden, lag in der Coburger Straße, nicht weit entfernt von einem dreistöckigen Prachtbau auf der linken Seite, das dem Schulrektor Gustav von Berg gehörte und den amerikanischen Besatzern nach dem Kriegsende 1945 als Hauptquartier diente.

Seit dieser Zeit trug Helmut Markwort in Rodach den Beinamen „Jimmy“. Die amerikanischen Soldaten waren in den ersten Nachkriegsjahren die Helden in Rodach. Sie besaßen alles, was das Herz begehrte und waren deshalb auch bei den jungen Mädchen sehr beliebt. Während wir Deutschen Hunger litten, verfügten sie über reichlich Lebensmittel, Schokolade und Zigaretten, vor allem die waren sehr begehrt. Wenn ein Jeep vor dem Hauptquartier vorfuhr und ein rauchender Amerikaner ausstieg, lauerte schon ein Dutzend Rodacher Jungens, die „Kippenhaie“, wohin er seine brennende Zigarette warf. In der Heldritter Straße, unserem Haus gegenüber, hatten sie Leuckarts Villa beschlagnahmt und die weinende Hausbesitzerin Hilde Leuckart auf einem Stuhl auf die Straße gesetzt. Von den Amerikanern, die bei Leuckarts einquartiert waren, bekam wir Kinder Dinge geschenkt, die wir noch nie gesehen hatten: Erdnüsse, Apfelsinnen, Kaugummis!

So ähnlich muss es auch Helmut Markwort gegangen sein. Zu Fuß waren es nur fünf Minuten vom Haus, wo seine Eltern wohnten, bis zum Hauptquartier. Helmut freundete sich mit den amerikanischen Soldaten an und lernte unheimlich rasch das amerikanische Englisch. Sie nannten in „Jimmy“, ließen ihm eine Uniform mit Schiffchen schneidern, die seine Mutter immer aufbügelte, und nahmen ihn mit auf ihren Erkundungsfahrten zur thüringischen Grenze. Wir Mitschüler sahen ihn dann, wenn er auf dem Schoß eines Soldaten saß, die Hände am Steuer, durch Rodach fahren, im Mund einen Kaugummi und das Gesicht voller Freude. Manchmal holten ihn dann seine amerikanischen Freunde auch aus dem Unterricht, wenn wichtige Angelegenheiten zu klären waren und ein Dolmetscher benötigt wurde.

Zwei Jahre nach dem Krieg, im Spätsommer 1947, verließen wir die Volksschule in Rodach und gingen aufs Casimirianum nach Coburg. Wir mussten zeitig aufstehen, der Zug fuhr um 5.45 Uhr und erreichte Coburg um 6.30 Uhr, die Schule begann anderthalb Stunden später. Aber im Oktober 1948 war Helmut Markwort plötzlich verschwunden; später erfuhren wir, er wäre mit seinen Eltern nach Darmstadt zurückgekehrt.

Es sollten 23 Jahre vergehen, bis wir, seine Mitschüler in Rodach, ihn wiedersahen, zum Klassentreffen 1971 im Brauhof. Er war Journalist geworden wie ich. Er hatte die Düsseldorfer Redaktion des „Stern“ geleitet und strebte nach Höherem. Er gründete 1993 die Wochenzeitschrift „Focus“, die bis heute das große Konkurrenzblatt des „Spiegel“ ist, und war dort Chefredakteur bis 2010. Als Rentner aber ist er weiterhin journalistisch tätig. Er übernahm aber auch Rollen auf der Bühne und in nunmehr sechs Filmen. Im letzten „Omamamia“ (2012) wird eine Münchner Köchin (Marianne Sägebrecht) vom bayerischen Papst nach Roman in die Küche des Vatikan verpflichtet, weil sie so gut Knödel kochen kann. Helmut spielt in einer Nebenrolle einen Kardinal. Bei seinem letzten Besuch in Bad Rodach am 20. Juli erzählte er uns davon: Sein Einsatz als Schauspieler war beendet, er wollte in die Garderobe gehen, um sich umzuziehen, als ihn eine Schar Gläubiger umringte, die ihn für einen echten Kardinal hielten. Sie knieten nieder und baten um seinen Segen. In seiner Verzweiflung streckte er ihnen die rechte Hand mit dem Kardinalsring entgegen, den sie demütig küssten!

Über Jörg Bernhard Bilke 263 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.