Wind im Müllsack – Bejubelte Schülervorstellung im Münchner „Resi“: Homers erfrischend segelnde Odyssee

Anoraks, Wollschals und Baseballmützen häufen sich auf den Garderoben-Tischen. Das Anziehzeug liegt gut hier. Nach Vormittags-Ende von „Die Irrfahrten des Odysseus“ stürmen ja Scharen von Schulkindern, an ihren teils genervten, teils kumpelhaften Lehrerinnen vorbei, der Kleiderdeponie zu, um rechtzeitig Tram oder U-Bahn zu kriegen. Gut anderthalb Stunden sitzen und zuhören sind genug, auch wenn es eine Viertelstunde Pause gab. Und Theater statt Unterricht auch mal nicht schlecht war. Gegen 12.30 Ihr drängen Jungs und Mädels, die einen 6, die anderen 8 oder auch schon 14 Jahre alt, heim. Was nicht ohne Gejohle abgeht. Schulkinder sind nun mal so.
Wie sie sind, wissen auch Producers und Performers der im „Resi“ des Bayerischen Staatsschauspiels durchaus „kindgerecht“, voller Witz und versteckten Humors aufbereiteten „Odyssee“ nur zu gut. Vom Homerischen Ernst ist fast nichts mehr zu spüren. Der Ithaka-König gibt sich als ein recht selbstgefälliger Troja-Krieger und Schifflein-Käpt`n. Seine Mannschaft ist von Kugel-dick bis Lulatsch-lang dem Chefbootslenker treu ergeben, und die auf seiner Segel-Expedition auftauchenden Götter, Halbgötter, Insulaner und Kyklopen geben viel Anlass zu Zwischenrufen und Geschrei.
Dass sich Hausherr Martin Kusej persönlich um den Theaterbesuchernachwuchs kümmert, ist nur recht und billig. Dass er auch seine guten Pferde im Stall für Kinder- und Jugend-Produktionen wie diese – sie läuft an etlichen November- und Dezembertagen meist zu vor- , aber auch zu nachmittäglicher Stunde – ist nicht selbstverständlich. So glänzte Simon Werdelis als nonchalanter, zum Rappen wie zum Techtelmechtel mit Circe/Kirke aufgelegter Odysseus auch gleich in der Rolle seines Sohnes Telemach. So führte Herr Niemand in Gestalt des wunderbar Penner-mäßigen Paul Wolff-Plottegg ganz undidaktisch durch das Stationen-Stück mit Flops und Highlights. Er ist es, der von Anfang an dem Wind eine entscheidende Funktion in diesem „Road-Movie“ zubilligte. Den Wind sperrte er in einem gelben Müllsack ein, der am Mast des blutroten Odysseus-Kreuzers hing. So bezauberten Valery Tscheplanowa als Zwischengeist und Argos und schlüpften Katrin Röver, Wolfram Rupperti und Thomas Gräßle in mehrere Rollen, die sie, reizvoll kostümiert von Sabine Blickenstorfer, begleitet von Rainer Süßmilchs musikalischen Einsprengseln im Bühnenbild von Steffi Wurster unter der Regie von Corinna von Rad Applaus-verdienstvoll ausfüllten.
Die begleitende Lehrerschaft, während der Vorstellung auffällig pädagogisch-zurecht-weisend im Einsatz, verteilte Memory-Bastelbögen zur Nacharbeit. Ob die Kinder die ganze „romantische“ Geschichte des antiken Abenteurers, der sich am Ende doch entschied, zu seiner Penelope – zwanzig Jahre sind`s her, die er von ihr getrennt war – zurückzukehren und der verführerischen Circe abzuschwören – weitererzählen werden, wie am Ende des Stücks von einem Penelope-Freier (eine der stärksten Szenen: geile Herrenriege im strahlendweißen Golf-Look) vorgeschlagen wurde, bleibt dahingestellt. Interessant wär`s, zu erfahren, was den Kids zu einem plausiblen Schluss der Odyssee eingefallen ist.

König Odysseus (Simon Werdelis) in den Fängen der verführerischen Circe (Katrin Röver).
Foto: Hans Gärtner

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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