Wieso konnte Hitler so weit kommen? Ein nationaler Sozialist wurde deutscher Staatsbürger

Download von www.picturedesk.com am 04.02.2020 (09:26). German Chancellor Adolf Hitler making his great speech from the Imperial Palace in Vienna, on March 15, 1938. (AP Photo) - 19380315_PD0170, Quelle: Pressemitteilung: Niederösterreichische Museum Betriebs GmbH

Über das geschichtliche Ereignis der Machtergreifung Hitlers, muss die Frage  gestellt werden: Wieso war es möglich, dass dieser Mann, der die Abschaffung der demokratischen, freiheitlichen  Verfassung in Deutschland zum Programm erhoben hatte, an die Spitze einer deutschen Regierung gelangen konnte?

Die Aufzählung der Gründe füllt Bibliotheken – doch kaum beachtet wird ein Umstand, der viel einfacher zu erklären ist: Reichskanzler konnte nur werden, wer Deutscher war, und Hitler war Österreicher beziehungsweise staatenlos. Das heißt,  hätte man Hitler nicht die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen, wäre Deutschland  und der Welt viel Leid erspart geblieben.

Da diese  Tatsache kaum Beachtung findet und auch die entsprechende historische Literatur dazu sehr wenig aussagt, sei hier erzählt, wie Hitler die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatte – ein formaljuristisches Ereignis von enormer historischer Tragweite. Dieser Vorgang sollte heute bei der Diskussion um die Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Millionen Migranten beachtet werden.

Voraussetzung für die Übernahme eines Mandats im Reichstag oder in einem Landesparlament war die deutsche Staatsbürgerschaft.

Hitler, der Österreicher, musste also erst einmal eingebürgert werden, bevor er als Abgeordneter oder als Regierungsmitglied politisch handeln konnte. Hitler musste also zunächst aus der österreichischen Staatsbürgerschaft entlassen werden.  Im März 1925 reichte  er beim österreichischen Generalkonsulat in München  einen entsprechenden Antrag ein. „Ich bitte um meine Entlassung aus der österreichischen Staatsbürgerschaft. Gründe: Ich befinde mich seit dem Jahre 1912 in Deutschland, habe nahezu 6 Jahre im deutschen Heere gedient, darunter 4½ Jahre an der Front und beabsichtige nunmehr die deutsche  Staatsbürgerschaft zu erwerben.“ Bereits am 30. April 1925 wurde dieser von der österreichischen Regierung genehmigt. Die NSDAP-Zeitung berichtete mit folgenden Sätzen: „Auf Hitlers Ersuchen ist dieser nunmehr aus dem österreichischen Staatsverband entlassen worden. Somit ist Hitler heute staatenlos.“

Als Staatenlosem waren Hitler aber genauso alle politischen Ämter verwehrt  wie als Österreicher. Er musste sich deshalb bemühen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Doch hier gab es Probleme, denn nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22.7.1913 konnte ein entsprechender Antrag abgelehnt werden, wenn das Wohl des Landes oder des Reiches  gefährdet werde.

Die agitatorische Tätigkeit Hitlers, sein Umsturzversuch im Jahr 1923 ließen Zweifel an seiner demokratischen, rechtsstaatlichen Gesinnung aufkommen, wie das Protokoll des bayerischen Ministerrats, der über die Verleihung der Staatsbürgerschaft an Hitler am 21.12.1929 zu befinden hatte, berichtet: „Ministerpräsident Dr. Held ist der Auffassung, dass die im Jahre 1924 erfolgte  Verurteilung Hitlers wegen Hochverrats eine positive Stellungnahme zu einem etwaigen Einbürgerungsgesuch unmöglich erscheinen lasse. Staatsminister Gürtler weist darauf hin, dass das etwaige Einbürgerungsgesuch Hitlers den Regierungen der übrigen deutschen Länder zugeleitet werden müsse. Bei der Durchführung des Umfrageverfahrens sei sicher mit dem Widerstand anderer Länder zu rechnen, so dass es nicht zur Einbürgerung kommen werde.“

Damit war  Hitler der übliche Weg der Einbürgerung verwehrt. Doch es gab noch die Möglichkeit, die der § 14 des entsprechenden Gesetzes bot: Einbürgerung war möglich durch Anstellung im Reichsdienst, im Staatsdienst eines Landes, im Dienst einer Gemeinde. Hitler musste sich also umschauen, wer ihm einen solchen Job verschaffen konnte. Zu dieser Zeit  stellte seine Partei bereits Minister in mehreren deutschen Teilstaaten. Vergeblich versuchte er sechsmal in den Besitz eines deutschen Passes zu kommen. Sechs weitere Male   versuchte er, in den Besitz des deutschen Passes zu kommen.

Der Versuch des der NSDAP zugehörigen Innenministers von Thüringen, Frick, Hitler im Jahr 1930 als Gendarmeriekommissar von Hildburghausen einzustellen, scheiterte aus heute nicht mehr klar ersichtlichen Gründen. Die Zeitung „Tempo“ meinte dazu am 3. Februar: „Seit gestern lacht Europa über Adolf Hitler“. Das „Berliner Tageblatt schrieb“ „Die Witzblätter der ganzen Welt sind für geraume Zeit mit Stoff versorgt“.  Dann schlug  der Ministerpräsident des Landes Braunschweig,vor,  Hitler zum Bürgermeister von  Stadtoldendorf, ein kleines Dorf im Freistaat, zu ernennen. Das Unterfangen scheiterte  aufgrund der Weigerung einiger Landtagsparteien.

Daraufhin versuchte der Innenminister des Landes Braunschweig, Klagges, ebenfalls ein Parteifreund Hitlers, diesem eine  Stelle eines Hochschullehrers zu verschaffen.

Goebbels, der spätere Propagandaminister des Dritten Reiches,  schreibt am 4.2.1932  in sein Tagebuch: „Es  ist geplant,   den Führer zum außerordentlichen Professor an der Technischen Hochschule in Braunschweig zu ernennen“.  Zeitungen der Nationalsozialisten befürworteten die kritischen Kommentare u.a. mit dem Hinweis: „… Was ist das für ein Staat, der einen verdienten Frontkämpfer des 1. Weltkrieges die Staatsangehörigkeit vorenthält”?

Klagges bemühte sich für Hitler um eine Planstelle an der Hochschule: „Die Studenten der Technischen Hochschule Braunschweig sollen Gelegenheit erhalten, im Rahmen der Hochschule über die Grundfragen der Nationalpolitik, die über  die künftige Schicksalsgestaltung unseres Volkes entscheidet, zu unterrichten. Daher beabsichtige ich seit längerer Zeit eine Persönlichkeit, die sich theoretisch und in einer führenden politischen Aufgabe bewährt hat, an die hiesige Technische Hochschule zu berufen und ihr einen Lehrauftrag für Organische Gesellschaftslehre und Politik zu erteilen.“ Er beurteilt Hitlers Qualifikation  dahingehend: „Da Herr Hitler nicht nur als Führer einer großen politischen

Volksbewegung, sondern ebenfalls durch sein grundsätzliches politisches Werk „Mein Kampf“  als wissenschaftlicher Schriftsteller hervorgetreten ist, würde ich die Verwirklichung dieser Möglichkeit lebhaft begrüßen.“  Den deutschen Hochschulprofessoren blieb es erspart, den „Wissenschaftler“ Hitler ,als Kollegen begrüßen zu müssen, denn Klagges fand für sein Vorhaben nicht die Zustimmung seiner Kabinettskollegen, die der deutschnationalen Volkspartei, der Deutschen Volkspartei und der Volksnationalen Reichsvereinigung angehörten. Allerdings  blieb man nicht lange standhaft. Der Abgeordnete der Deutschnationalen Volkspartei, Wessel,  hatte die  für Deutschland so verhängnisvolle Idee, Hitler zum Regierungsrat in der Vertretung Braunschweig in Berlin zu ernennen. Dieser Vorschlag wurde dann aus zweierlei Gründen  gebilligt. Hitler brauchte nicht in das Land Braunschweig  zu reisen, denn dies war der Regierung nicht recht, da man Unruhen der Linksparteien  befürchtete. Da man außerdem plante, die Landesvertretung aus finanziellen Gründen bald aufzugeben, war man Hitler bald wieder los. So dachte man jedenfalls. Hitler erhielt am 25. 2. 1932 folgendes Telegramm:

„Das Braunschweigische Staatsministerium hat beschlossen, Sie mit Wirkung vom heutigen Tage im Braunschweigischen Staatsdienste unter Ernennung zum Regierungsangestellten anzustellen und Sie zugleich mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Sachbearbeiters bei der Braunschweigischen Gesandtschaft in Berlin zu beauftragen.“ Die Ernennungsurkunde kam mit gleicher Post, die Hitler beantwortete: „Ernennungsurkunde erhalten, nehme an. Adolf Hitler.“ Den Eid, den er als Beamter zu leisten hatte, sprach Hitler am 26. 2. 1932 im Gesandtschaftsgebäude in Berlin, Lützow-Straße11: „Ich schwöre Treue der Reichs- und Landesverfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten.“

Hitler war am Ziel. Er hatte in seiner Eigenschaft als Landesbediensteter gleichzeitig die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Nur zwei Tage nach seiner Vereidigung, am 28. Februar 1932, beantragte Hitler Urlaub, um am Wahlkampf zur Reichspräsidentenwahl teilnehmen zu können. Hitler scheiterte, da die Sozialdemokraten  die erneute Wahl des amtierenden Reichspräsidenten Hindenburg unterstützten, doch ein halbes Jahr später wurde der „Führer“ mit den Stimmen der Liberalen und Nationalen Sozialisten zum Kanzler des Deutschen Reiches  gewählt.

 

 

Über Hans-Jürgen Wünschel 1 Artikel
Hans-Jürgen Wünschel, geboren 1947 in Bad Dürkheim, ist ein deutscher Historiker. Nach dem Abitur 1966 am Werner-Heisenberg-Gymnasium Bad Dürkheim studierte er von 1966 bis 1974 an der Universität Heidelberg Geschichte, Politische Wissenschaft, Germanistik und Anglistik. Er legte im Mai 1971 das erste Staatsexamen ab. Von 1975 bis 1976 war er Referent für Forschungsförderung im Kultusministerium von Rheinland-Pfalz. Nach der Promotion zum Dr. phil. im Dezember 1974 war er von 1976 bis 1981 Referent für Grundsatzfragen der Bildungs- und Kulturpolitik im Kultusministerium Rheinland-Pfalz. Von 1981 bis 1982 leitete er das Büro des Kultusministers Georg Gölter. Im Mai 2002 wurde er zum Professor an der Katholischen Universität Tschenstochau ernannt.