ie Größe Angela Merkels wird besonders in schwierigen Stunden sichtbar. Während in der deutschen Gesellschaft seit längerem die öffentlichen Räume schrumpfen, in denen die politischen Angelegenheiten – sozusagen vor aller Augen und Ohren – verhandelt werden, stellte Angela Merkel der CDU die Grundsatzfragen auf offener Bühne.
Während die SPD konzeptionell ausgedörrt langsam von den Grünen absorbiert wird, hat Merkel mit ihrer Entscheidung der CDU die Mission für die Zukunft zurückgegeben. Die Partei soll um ihre Idee der Zukunft und der Volkspartei ringen, ohne nur ein reiner Kanzlerwahlverein zu sein.
Was ist die Zukunftsmelodie der CDU, um Volkspartei zu bleiben? Mit welcher Haltung, personellen Aufstellung und inhaltlichen Ausrichtung will die CDU nach der Parteivorsitzenden Merkel die Bürger für die Zukunft begeistern?
Alle potentiellen Kandidaten für die Nachfolge im Parteivorsitz müssen in den kommenden Wochen mindestens drei grundsätzliche Frage beantworten:
- Wie sieht die CDU das Verhältnis von Bürger und Staat in der globalen und digitalen Welt?
- Mit welchem Verständnis von Gesellschaft will die CDU die Menschen in die Zukunft mitnehmen?
- Mit welcher Haltung tritt eine moderne Volkspartei CDU auf, um die Bürger für sich zu begeistern?
1. Bürger und Staat in Zeiten des Wandels
Es ist offensichtlich: Deutschland und seinen Bürgern geht es gut. Es haben soviele Menschen Arbeit wie nie zuvor. Die Steuereinnahmen sprudeln, die Wirtschaft wächst und der Staatshaushalt ist ausgeglichen. Junge Menschen finden fast alle einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz und die Investitionen in Forschung und Entwicklung verzeichnen Rekordwerte. Deutschland genießt hohen Respekt in der Welt. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist eine der gefragtesten der Welt.
Trotzdem haben viele Menschen das Gefühl, dass Deutschland in der Gefahr ist, den Wohlstand zu verlieren. Auf der einen Seite staatliche Ungerechtigkeiten und Eingriffe von Dieselskandal über Mietpreisbremse bis Dauerbürokratie. In der breiten Mitte unserer Gesellschaft existieren eine Frustration und das Gefühl, dass unterm Strich immer weniger übrig bleibt. Bei der Mittelschicht entspricht die gefühlte Lage auch dem tatsächlichen Bild: Schließlich haben Sozialstaatsversprechen der Politik das Gros der Finanzierung der Staatsausgaben bei ihr abgeladen.
Auf der andere Seite wirken prinzipiellere Kräfte der Veränderung: Demographischer Wandel, Digitalisierung oder globale Veränderungen. Nicht alle begreifen disruptive Technologien und Wachstumszyklen als Zugewinn, vielmehr fürchten sie um den Arbeitsplatz und gewohnte Sicherheiten.
Die Antwort von AfD, der Linken aber auch großen Teilen der SPD und Grünen sind weitere staatliche Regulierungen. Für sie gehören tiefe Eingriffe in den Bereich der Gesellschaft und der Wirtschaft mittlerweile zum Wesenskern: Ein übergriffiger Staat, der sich für klüger hält als die Einzelnen und die vielen widerstreitenden Kräfte einer pluralistischen Gesellschaft. In Zeiten globaler Unübersichtlichkeit eine geradezu erwärmende Vorstellung.
Doch kann der Staat in Zeiten des Wandels den Bürger gegen jedes Risiko absichern?
Der Staat ist ein Sicherheitsnetz aber keine Vollkaskoversicherung. In der Debatte um das Rollenverständnis des Staates zum Bürger erklärt eine selbstbewusste Volkspartei CDU den Spagat zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen mehr Entlastung für die Leistungsträger des Alltages und genügend sozialer Sicherheit. Konrad Adenauer hat einmal gesagt: „Jeder einzelne Bürger muss das Gefühl haben und das Bewusstsein, das er selbst Mitträger des Staates ist. Er muss erkennen und wissen, dass es ein gemeinsames Interesse gibt, das beachtet werden muss, und dass das in seinem ureigenen Interesse geschieht.“ Das ist Politikmaxime der CDU.
2. Im gesellschaftlichen Diskurs den Kopf oben halten
Gesellschaftlich ist etwas ins Rutschen geraten. Man merkt es im Privaten, wo seit 2015 vielmehr über Politik gestritten und man Bekannte und Freunde neu in ihren Ansichten kennenlernt. Gesellschaftliche Eliten wird vorgeworfen, taub für echte Probleme zusein, Menschen demonstrieren, in sozialen Medien radikalisieren sich Meinungen und Stimmen – ein Unbehagen greift Platz.
Die Medienempörung und Publikumsempörung sind nicht mehr die gleichen. Bereits vor der Flüchtlingskrise stammte das meistverkaufte deutsche Sachbuch in der Geschichte der Bundesrepublik von Thilo Sarrazin. Es sind zwei Öffentlichkeiten entstanden, befeuert durch digitalen „Echokammern“ und „Filterblasen“, die ihre Empörung bis auf die Strasse tragen.
Will die Volkspartei CDU für ihre Vorstellungen von Staat und Gesellschaft eine Mehrheit gewinnen, darf sie sich bei den Diskussionen nicht wegducken. Klick um zu Tweeten
Manchmal steht die CDU in der Gefahr, sich zu wenig um die geistige Meinungsführerschaft im Land zu kümmern. Um nicht mißverstanden zu werden, die CDU wird nur als Volkspartei der Mitte erfolgreich sein. Christlich-sozial, liberal und konservativ. Aber: Die Menschen dürfen nicht den Eindruck gewinnen, dass im deutschen Bundestag nur Sozialdemokraten aus unterschiedlichen Parteien debattieren.
Den gesellschaftlichen Interpretationskampf wird die CDU in der Mitte gegen die Grünen und nach rechts gegen die AfD führen. Letztere sind in ihren Antworten anti-global, anti-modern, national und sozialistisch. In gewisser Weise bemächtigen sie sich konservativen Positionen und werben für eine vergangene Welt, die wahrscheinlich so nie existierte. Die Grünen reden gerade dem kulturellen Wandel aus einer Position der vermeintlichen moralischen Überlegenheit das Wort. In ihrem Zeitgeist unterscheiden sie zwischen legitimen und nicht legitimen Sorgen. Erlaubt ist etwa die Angst vor der Klimakatastrophe oder vor dem Atomtod. Nicht erlaubt, ist die Angst mancher Bürger in der Globalisierung die eigene Identität zu verlieren. Beide machen die gesellschaftliche Unsicherheit zum Thema. Sie stehen für unterschiedliche Schattierungen des Status quo in einer sich wandelnden Welt.
Die Volkspartei CDU sollte sich nicht an einer falschen politischen Korrektheit beteiligen, mit der objektive Probleme verleugnet oder verschwiegen werden. Die Sehnsucht nach einer politischen Kraft, die ordnet, deutet und löst ist groß. Klick um zu Tweeten Die Volkspartei CDU sucht den gesellschaftlichen Diskurs, egal bei welcher politischen Windstärke. Kurt Tucholsky beschrieb dies einmal so: „Der deutsche Krach unterscheidet sich von allen anderen Krachs der Welt dadurch, dass er sich niemals mit dem Einzelfall begnügt. Es wird immer gleich alles Prinzipielle miterledigt.“ Die Union sollte den Krach suchen und erklären, für welche offene Gesellschaft sie steht.
3. Die Haltung einer selbstbewussten Volkspartei
Die Union hat es immer verstanden, unterschiedliche Schichten, Gruppen und Ideen zu integrieren. Wir waren nie nur die Partei der Armen oder Reichen, der Besserverdiener oder irgendwelcher soziologischer Sonderlinge. Die CDU war Querschnitt, im besten Sinne Durchschnitt der Gesellschaft. Dabei wurde die Politik immer von entscheidenden Verbündeten gestützt, um deren Treue und Hilfe sie sich mehr bemühen muss: die Leistungsträger des Alltags. Menschen, die jeden Tag früh aufstehen, sich um die gute Schulbildung ihrer Kinder sorgen und nicht nach dem Staat fragen, wenn sie durch ihren Fleiß, ihrer Arbeit, ihre Ideen und ihren Einsatz unser Land voranbringen. Politik muss sich damit beschäftigen, wie in unserem Land wirklich gelebt wird – und nicht wie gelebt werden sollte.
Dafür sind echter Bürgerdialog einer lebendigen Volkspartei wie bei der Zuhörtour von Annegret Kramp-Karrenbauer nötig – auf der Strasse und im digitalen Raum. Und eine Haltung. Die Haltung der Volkspartei CDU muss eine selbstbewusste und nicht geprügelte Partei sein, die stolz auf die politischen Erfolge und kämpferisch auf das Kommende ist. Klick um zu Tweeten Eine Union, die zusammensteht und nicht Einzelfrage den Gesamterfolg in Frage stellen lässt. Die Menschen erwarten von der CDU ein selbstbewusstes, inhaltliches Zielfoto, nennen wir es, Vision, wo sie Deutschland hinführen will: Die Volkspartei CDU will gemeinsam mit den Bürgern Deutschland zum besten Land in der Welt machen, wo Sicherheit und Wohlstand für alle Menschen herrscht.
Angela Merkel hat mit ihrer Entscheidung einen bemerkenswerten Schritt gemacht. Der Parteivorsitz dient nicht der Sicherung einer Kanzlerschaft, sondern der Zukunftsfähigkeit der Volkspartei CDU. Es ist Neuland in der bundesrepublikanischen Geschichte. In den nächsten Wochen kommt es auf das überzeugende Politikangebot der Kandidaten über die Richtung und Haltung der Volkspartei CDU an. Der Kurs für die nächsten Jahre wird jetzt bestimmt. Die CDU sollte es als Chance begreifen. Sie kann die Volkspartei mit klarer Vision für den Staat, gesellschaftlichem Führungsanspruch und einer bürgernahen Haltung sein, wenn sie in den unruhigen Zeiten mutig ist und auf die Hoffnungen der Menschen nicht ihre Ängste setzt. Die Zukunft der Volkspartei CDU ist in der Mitte der Bürgerschaft und nicht an ihren Rändern zu suchen. Das heißt auch optimistisch, zukunftsoffen und inspirierend zu sein.
Blog Mario Voigt