Rechtsterroristische Zelle in der Bundeswehr
Nach der Aufdeckung des NSU, der Zerschlagung mehrerer rechtsterroristischer Gruppen wie die Old School Society oder die Gruppe Freital und der Gefahr durch rechte „Reichsbürger“ (einer von ihnen ermordete einen Polizisten) wurde durch Zufall eine rechtsterroristische Zelle aufgedeckt.
Die Verhaftung des 28-jährigen Oberleutnants Franco A. unter dem Vorwurf, er habe unter der falschen Identität eines Flüchtlings rechte Terroranschläge vorbereitet, schockte die Öffentlichkeit. Der Offizier hatte zudem monatelang ein Doppelleben geführt und sich als syrischer Flüchtling ausgegeben. Ihm war vom Bundesamt für Migration und Flüchtlings sogar der Status des sogenannten subsidiären Schutzes gewährt worden. A. besuchte er im Januar 2017 den „Ball der Offiziere“ in der Wiener Hofburg. Das jährliche gesellschaftliche Ereignis ist ein Treffpunkt nicht nur der Offiziere des Österreichischen Bundesheeres und der Wiener Gesellschaft, sondern auch europäischer Politik und Wirtschaft. A.s Ballbesuch wurde bekannt, weil er danach eine Pistole auf der Toilette des Wiener Flughafens versteckte, die vom Wartungspersonal entdeckt wurde. Anfang Februar 2017 tappte A. dann in die Falle der österreichischen Polizei, als er die Waffe aus dem Versteck wieder abholen wollte.
Vertuschen und Verschweigen
Die anschließenden Ermittlungen machten schnell deutlich, dass A.s neonazistische Gesinnung seinen Vorgesetzten seit langem bekannt war, von diesen toleriert wurde und in der Bundeswehr weit verbreitet ist. Nun verstärkt sich der Verdacht, dass A. Teil eines größeren Netzwerks ist, das bis in die Führungsstrukturen der Bundeswehr reicht. Spiegel Online berichtete von „immer mehr Hinweisen, dass es rund um Franco A. eine rechte Kameradschaft in der Kaserne gab“. Die Vertuschung durch seine Vorgesetzten, die herausragende Stellung und internationalen Verbindungen seines Bataillons und viele ungeklärte Fragen deuten ebenfalls auf diese Vermutung hin. A’s unmittelbarer Vorgesetzter, der Kommandeur des Bataillons Oberstleutnant Marc-Ulrich Cropp, verfügt über hervorragende internationale und politische Verbindungen. Er war mehrmals zur Ausbildung in den USA, von 2008 bis 2010 absolvierte er eine Eliteausbildung beim U.S. Marine Corps. Anschließend leitete er im deutschen Verteidigungsministerium die Planungsabteilung für Operationen der Bundeswehr-Spezialkräfte. Ein Rücktritt Cropps wäre zwingend, aber auch nur ein Bauernopfer.
Bislang sind in der Öffentlichkeit nur zwei Mittäter A‘s bekannt. Bei einem Neonazi wurden 1.000 Schuss Munition und weiteres Material aus Bundeswehrbeständen gefunden. Der andere soll die Liste möglicher Anschlagsziele verfasst haben, auf der neben linken Aktivisten und Bundestagsabgeordneten auch Ex-Bundespräsident Gauck, Justizminister Heiko Maas sowie jüdische und muslimische Verbände verzeichnet sind.
Wehrmachtsdevotionalien entdeckt
Generalinspekteur Volker Wieker, der ranghöchsten General der Bundeswehr, ordnete an, sämtliche Kasernen und Bundeswehrgebäude nach Wehrmachtsdevotionalien zu durchsuchen. Dabei wurde in der Fürstenberg-Kaserne in Donaueschingen ein mit Wehrmachtsdevotionalien dekorierter Besprechungsraum entdeckt. Es zeigt sich wieder einmal, dass es sich bei der „Wehrmachtstraditionspflege“ und der Duldung neonazistischer Ansichten in der Bundeswehr nicht um einzelne Entgleisungen handelt, sondern um ein weitverbreitetes, systembedingtes Phänomen. Ein falsch verstandener Korpsgeist erschwert die Aufklärungsarbeiten, daran werden sich nicht nur Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihre Helfer die Zähne ausbeißen.
Revanchismus und Chauvinismus kommen auch immer wieder zum Vorschein. Laut der Bild-Zeitung sei ein Ausbildungskommandeur der Bundeswehr, der die Teilnahme einer deutschen Delegation an „Siegesfeiern“ in Frankreich verweigert haben soll, gerügt worden. Der Kommandeur soll eine Einladung aus Frankreich zum Weltkriegsgedenken mit den Worten kommentiert haben: »Ich stelle mich doch nicht als Besiegter mit einer deutschen Delegation zu einer Siegesparade. So lange die Franzosen das Ende des Krieges als ‚victoire‘ feiern, solange nimmt keine deutsche Delegation, eingeladen oder nicht, an einer solchen Zeremonie teil.“
Kontinuität zur Wehrmacht
Die Kontinuität zu Hitlers Wehrmacht sind offensichtlich. So sind zwei Kasernen nach Hitlers wohl bekanntestem Heerführer, Generalfeldmarschall Erwin Rommel, benannt. Drei tragen die Namen von Fliegern, die unter den Nazis Heldenstatus besaßen (Hans-Joachim Marseille, Helmut Lent und Hermann von der Lieth-Thomsen). Zwei Kasernen tragen die Namen von Panzerkommandeuren, die sich im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion hervortaten (Dirk Lilienthal und Adelbert Schulz). Eine weitere ist nach Paul von Hindenburg benannt, einer Schlüsselfigur der deutschen Eroberungspolitik im Ersten Weltkrieg, der dann als Reichspräsident Hitler zum Kanzler ernannte.
In der Leclerc-Kaserne im französischen Illkirch, wo Franco A. im Jägerbataillon 291 arbeitete, galt die „Traditionspflege“ der Wehrmacht offenbar als selbstverständlich. Obwohl dort überhaupt erst seit 2010 deutsche Soldaten stationiert sind, wurde die Wand des Aufenthaltsraums, des sogenannten „Bunkers“, mit Wehrmachtsoldaten bemalt. Der Kommandeur des Standorts gab zu, den Bunker besucht zu haben. Ihm seien aber die großflächigen Wehrmachtsbilder nicht besonders aufgefallen. Bereits 2012 hatte es in der Leclerc-Kaserne einen Skandal gegeben, als Soldaten anlässlich eines internationalen Fußballspiels vor einer Unterkunft ein vier Meter großes Hakenkreuz auf den Boden streuten. Dieser Fall wurde damals, anders als jetzt A.s neonazistische Gesinnung, den Vorgesetzten und dem Verteidigungsministerium gemeldet. Er blieb aber abgesehen von geringen Geldbußen für drei Soldaten ohne Folgen.
Einstellung der Wehrmachtsausstellung
Schon in der Vergangenheit zeigte sich, dass die Legende von der „Sauberen Wehrmacht“ im 2. Weltkrieg bestehen bleiben soll. Eine wichtige ideologische Weiche für die Rehabilitierung der Wehrmacht wurde bereits 1999 gestellt, als nach einer heftigen öffentlichen Auseinandersetzung die Wanderausstellung „Die Verbrechen der Wehrmacht – Vernichtungskrieg 1941-44“, die innerhalb von vier Jahren Hunderttausende Besucher angezogen hatte, eingestellt und ihr Leiter Hannes Heer entlassen wurde. Alle, die an der Aufrechterhaltung der Wehrmachtslegende ein Interesse haben, von deutschnationalen Historikern ‚traditionsbewussten‘ Bundeswehrgenerälen bis hin zu den Neonazis – alle konnten sich bestärkt fühlen und fühlten sich bestärkt durch die Entlassung Heers.
Neonazis begleiteten die Ausstellung mit zahlreichen öffentlichen Protesten, Gegenpropaganda, Anschlägen und Anschlagsversuchen. Bei der Eröffnung am 10. Januar 1997 in Karlsruhe demonstrierten etwa 30 Angehörige der Republikaner, der NPD und der Jungen Nationaldemokraten (JN) unter ihrer Parole: Der deutsche Soldat: Ehrlich, anständig, treu! – Schluß mit der antideutschen Hetze! Der JN-Vertreter Michael Wendland kündete fortlaufende Aufmärsche an allen weiteren Ausstellungsorten bis Ende 1998 gegen die „volksverhetzende, antideutsche Schandausstellung“ an. Am 24. Februar 1997 folgten etwa 300 Neonazis dem Aufruf eines „Anti-Diffamierungs-Komitees“ und protestierten vor dem Münchner Rathaus gegen den auf den Folgetag angesetzten Ausstellungsbeginn. Am 1. März 1997 demonstrierten 5000 von NPD und JN mobilisierte Neonazis in der Münchner Innenstadt – eine der größten Demonstrationen der extremen Rechten in der Nachkriegszeit.
Strukturelles Problem
Christoph Butterwegge, langjähriger Forscher über die extreme Rechte in der BRD, sieht im Bundeswehrskandal um den mutmaßlichen Rechtsterroristen Franco A. ein strukturelles Problem. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ erklärte er, es gebe „geistige Verbindungslinien“ zwischen militärischen und extrem rechten Werten wie Kameradschaft, Korpsgeist, Ehre, Treue und Gehorsam. „Alles was die Bundeswehr jungen Männern bietet, wird im rechtsextremen Spektrum geschätzt.“ Die Bundeswehr locke Menschen an, „die sich in hierarchischen und autoritären Strukturen wohlfühlen“.
Aufgrund der vielen neonazistischen Vorkommnissen in der Polizei und beim Bundesgrenzschutz, die immer wieder von offiziellen Stellen als Einzelfälle abgetan werden, sind ähnliche Strukturen zu befürchten. Vor einer genaueren Untersuchung sollten die Verantwortlichen nicht die Augen verschließen.
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