Aus der Exilforschung ist seit Jahrzehnten bekannt, dass die beiden deutschen Schriftsteller Heinrich und Thomas Mann, denen nach 1933 durch die Nationalsozialisten die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen worden war, 1936 Bürger der 1918 gegründeten Tschechoslowakischen Republik wurden, obwohl sie nie dort gelebt haben. Wie das alles damals zustande kam, ist jetzt näher erforscht worden. So gibt es in der ostböhmischen Kleinstadt Prosetsch (heute 5000 Einwohner), gelegen auf der böhmisch-mährischen Höhe bei Pardubitz, nicht nur eine „Straße der Brüder Mann“, sondern auch einen historischen Arbeitskreis, der die politischen Hintergründe der Einbürgerung erforscht hat und sie zurzeit in einer Ausstellung des Heimatmuseums sichtbar macht.
Heinrich Mann (1871-1950), Verfasser des vielgelesenen Romans „Der Untertan“ (1918), der noch 1931 zum Vorsitzenden der „Sektion Dichtkunst“ der „Preußischen Akademie der Künste“ gewählt worden war, emigrierte 1933 in die französische Hafenstadt Nizza und von dort 1940 in die Vereinigten Staaten. Vom nationalsozialistischen Deutschland wurden ihm daraufhin die Mitgliedschaft in der Akademie und die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Sein jüngerer Bruder Thomas Mann (1875-1955), der 1933 von einer Vortragsreise ins Ausland nicht nach Deutschland zurückgekehrt war und sich in Küssnacht am Zürichsee niedergelassen hatte, wurde erst im Dezember 1936 ausgebürgert und verlor zugleich die ihm 1919 verliehene Ehrenbürgerwürde der Universität Bonn.
Heinrich Mann in Nizza, dessen Antrag auf Verleihung der französischen Staatsbürgerschaft abgelehnt worden war, erhielt im Oktober 1934 aus der Staatskanzlei des Präsidenten Tomas Masaryk (1850-1937) die Mitteilung, dass er Bürger der Tschechoslowakischen Republik werden könnte, falls eine Gemeinde sich bereit erklärte, dem staatenlosen Schriftsteller das Heimatrecht zuzuerkennen. Davon hörte der Kommunalpolitiker Rudolf Fleischmann in Prosetsch, der im Hauptberuf Buchhalter in einer Textilfabrik war, aber auch im örtlichen Stadtrat saß. Ihm gelang es in langen Gesprächen und zähen Diskussionen, seine Parteifreunde, die beiden anderen Fraktionen, Sozialdemokraten und Katholiken, und schließlich den Bürgermeister davon zu überzeugen, Heinrich Mann das Heimatrecht einzuräumen. Am 21. August 1935 sprach der Stadtrat von Prosetsch Heinrich Mann mehrheitlich das Heimatrecht zu. Acht Monate später fuhr der Schriftsteller zum Konsulat der Tschechoslowakei in Marseille, um den Eid auf die Verfassung seines neuen Heimatlandes zu leisten. In seiner Autobiografie „Ein Zeitalter wird besichtigt“ (1946) schrieb er darüber: „Wer war ich, dass diese Nation den Mann, verstoßen aus der seinen, ehrenvoll aufnahm?“
Am Frühjahr 1936 schrien Rudolf Fleischmann auf Wunsch des Präsidenten in Prag auch an Thomas Mann, um ihm die Staatsbürgerschaft anzutragen. Der deutsche Schriftsteller lud ihn umgehend in die Schweiz ein und bezahlte ihm den Flug. Am 6. August stand der Prager Abgesandte aufgeregt vor Thomas Manns Haus in Küssnacht und wagte kaum zu klingeln. Diese Begegnung schilderte Thomas Mann in seinen Tagebüchern so: „Zum Essen Herr Fleischmann…Rührender Mann, der mit heiligem Eifer meine und der Meinen Einbürgerung betreibt. Angeregte Unterhaltungen.“ Nach dem Essen schrieb Rudolf Fleischmann den Einbürgerungsantrag in tschechischer Sprache und ließ Thomas Mann unterzeichnen.
Da die reichsdeutschen Behörden höchst schon verärgert auf die Einbürgerung Heinrich Manns reagiert hatten, musste Rudolf Fleischmann höchste Überzeugungskraft im Stadtrat aufbringen, da die Angst vor dem imperialistischen „Dritten Reich“ im Ausland stark gewachsen ist. Am 18. August wurde der Antrag positiv entschieden: für Thomas und Katia Mann und die minderjährigen Kinder Elisabeth und Michael. Im Januar 1937, während einer Vortragsreise nach Prag, fuhr Thomas Mann für einen Tag nach Prosetsch, wo er als Ehrengast zu einer Sitzung des Stadtrats eingeladen wurde. Im Jahr darauf, am 29. September 1938, flogen Thomas Mann und Familie mit den neuen Pässen ins amerikanische Exil. Auch Rudolf Fleischmann war inzwischen nach England emigriert, wo er im April 1949 Thomas Mann noch einmal begegnete. Er starb 1966 in Preston bei London, nach dem Zerfall des Kommunismus wurde seine Urne nach Prosetsch überführt und dort beigesetzt.
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.