Wer übers Fahrrad ausgiebig Bescheid wissen will, fährt eigentlich nicht nach Mühldorf a. Inn, sondern am besten gleich nach Bad Brückenau. Dort leitet Ivan Sojc das Deutsche Fahrradmuseum. Der Mann ist quasi das lebende Fahrrad-Lexikon. Dass ihn und keinen andern sich der Vorsitzende des Mühldorfer Geschichtsvereins („Heimatbund“) Norbert Stellner und Stadtarchivar Edwin Hamberger für eine Ausstellung mit fast 50 Exponaten ins Obergeschoß des Haberkastens holten, hat schon seine Gründe. Zum einen kennt Sojc die Geschichte des Fahrrads – zu der die Kreisstadt am Inn durchaus einen kleinen Original-Teil beisteuern kann – in- und auswendig. Zum anderen, und das ist entscheidend, geizt Sojc nicht mit Leihgaben, die jeden Radl-Freak ergötzen.
Gummiradl, Stahlradl, Holzradl. Angefangen beim Laufradl bis zum 50 Zoll-Hochrad. Und weiter natürlich bis zu Pedelec und E-Bike. Alles da. In Prachtausgaben. Vor lauter Respekt bleibt beim altehrwürdigen Hochrad das in Bayern ans Rad gern angehängte „l“ weg. Das erste Tretkurbelrad kam 1868 in Frankreich auf. Es hieß „Boneshaker“, Knochenschüttler. Mit so einem Ding auf Tour gewesen zu sein, war gewiss kein Vergnügen. Man bedenke, dass der Tretkurbler auf ausgepflügten Pferdefuhrwerk-Wegen unterwegs war. Um 1875 war es nur den „Geldigen“ unter den Möchtegern-Hochradfahrern vergönnt, ein Laufrad ihr Eigen zu nennen. Wer konnte schon 500 Goldmark für so ein neumodisches Gefährt mit Vollgummireifen und Drahtspeichen hinblättern? Von Vorbehalten gegen das Hochrad weiß Ivan Sojc zu erzählen: „Vor anderen zu schwitzen war nicht standesgemäß.“ Dennoch kamen Anfang der 1880er Jahre die ersten Sicherheitsniederräder auf den Markt. Weniger Stürze, weniger Beschädigungen, mehr heile Knochen, fast nur noch ganze Köpfe.
„Star“ nannte sich das erste Sicherheitshochrad. Ganze 120 Jahre ist es her, dass der „Star“ – in der Ausstellung zu bewundern – noch einmal zur Geltung kam. Doch das „Niederrad“ nahm unweigerlich seinen Siegeszug auf. Es bot Luftbereifung – und die verhinderte das Rattern und erleichterte das Treten der Pedale. Schneller, sicherer, bequemer – das war die Losung. 1895 war das Hochrad nur mehr Museumsgut. Nun ja, so mancher „Stenz“ wollte damit noch immer gern imponieren …
Eins der ersten Frauenfahrräder trug den männlichen Vornamen „Victor“. Es geht auf das Jahr 1893 zurück. Lustig ist die Abteilung „Frau und Rad“, da fehlt der Hinweis auf die dem Radfahren unterstellte „Gebärunfreudigkeit“ nicht. Mühldorfs alter Stadt-Poet, der in den letzten Jahren wieder entdeckte Josef Rambold, kommt mit seinen „Radreise“-Texten aus dem Jahr 1900 zum Zug, in der Szenischen Lesung im ehemaligen Dichter-Wohnhaus Stadtplatz 49 (23. September, 19 Uhr). Mit zeitgenössischen Bildern und Musik geht`s da ins Salzkammergut, zum Gardasee bis nach Venezia.
Überhaupt: das Rahmenprogramm dieser bemerkenswerten Schau! Ausgehend vom einzigen nachgebildeten Exponat, der zweirädrigen, einspurigen Draisine, der vor exakt 200 Jahren erfolgten bahnbrechenden Erfindung des Karlsruher Freiherrn Karl Drais von Sauerbronn (1785 bis 1851) wird „Rad für Rad“ gezeigt, wie das Radeln immer mehr Spaß machte und zum Sport, und das Radl selbst zum Massenartikel und zum beliebten Fortbewegungsmittel gerade der Jugend und der „kleinen Leut`“ wurde. Zu Workshops („Erste Hilfe bei Radpannen“ am 24. und 25. August) lädt das Mühldorfer Kulturbüro (Tel. 08631-612612) ein. Führungen für Kinder ab 6 Jahren gibt`s am 24. August und am 24. September (Tel. 08631-699980). Das „Rad in der Literatur“ ist ein Thema für die Stadtbücherei am 23. September um 19 Uhr. Norbert Stellners Vortrag am 6. Oktober, 20 Uhr, verspricht Anekdoten zur bayerischen Fahrradgeschichte: 6. Oktober, 20 Uhr.
Da aber ist die Ausstellung „Von der Laufmaschine zum E-Bike“ auch schon wieder vorbei, die bis 3. Oktober an Donnerstagen und Freitagen von 14 bis 17 und an Sonntagen von 13 bis 17 Uhr mit Gelegenheit zu Führungen jeweils sonntags um 14 Uhr und, bei gutem Wetter, zum Ausprobieren von Spaß- und Geschicklichkeitsrädern geöffnet war. – Nachtrag: Das Verkehrszentrum des Deutschen Museums in München zeigt seine Ausstellung zu 200 Jahre Fahrradgeschichte noch weit länger: bis 22. Juli 2018, täglich von 9 bis 17 Uhr. „Balanceakte“
Foto (Hans Gärtner)
Kein Original, aber die originell für die Ausstellung nachgebaute Erfindung aus dem Jahr 1817, nach ihrem Karlsruher Erfinder Karl Frhr. Drais von Sauerbronn „Draisine“ genannt, das erste „Radl“
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