Werner Heiduczek, den DDR-Schriftsteller aus Oberschlesien, habe ich wenige Wochen nach dem Mauerfall im Herbst 1989 in seiner Wohnung in Leipzig-Grünau besucht, wo er mit seiner pommerschen Frau Dorothea lebte. Ich wollte mehr erfahren über das Schicksal seines Romans „Tod am Meer“ (1977), der in der DDR-Literaturlandschaft und bei den staatlichen Literaturzensoren Aufruhr und Missfallen erregt hatte.
Werner Heiduczek (1926-2019), geboren am 24. November 1926 in Hindenburg, entstammte, wie der vom Staat geförderte Arbeiterschriftsteller Hans Marchwitza (1890-1965), aus dem katholischen Bergarbeitermilieu Oberschlesiens. Er war der Sohn eines Bergmeisters im Kohlenrevier und hatte noch vier Geschwister. Nach Krieg und Gefangenschaft nahm er 1946 an einem Kurs für „Neulehrer“ in Herzberg/Elster teil und war bis 1952 als Lehrer, Schulinspektor und Kreisschulrat in Merseburg/Sachsen-Anhalt tätig. Drei Jahre lang, von 1961 bis 1964, wirkte er als Deutschlehrer am Gothe-Gymnasium in Burgas/Bulgarien an der Schwarzmeerküste, wo auch sein Roman „Tod am Meer“ (1977) spielt. Nach ersten Prosaveröffentlichungen lebte er von 1965 an zunächst in Halle/Saale, seit 1972 in Leipzig. Gestorben ist er in einer Spezialklinik in Zwenkau bei Leipzig.
Sein heftig diskutierter und dann, nach der ersten Auflage, doch verbotener Roman, die Selbstanklage eines gescheiterten DDR-Schriftstellers, der am Schwarzen Meer seine Lebensbeichte niederschreibt, ist nur auf Untergang und Verdüsterung gestimmt! Wie vorsichtig der Autor dabei vorging, sieht man daran, dass er den als fiktiv erkennbaren Handlungsablauf, der unverkennbar autobiografische Züge trägt, noch durch ein „Vorwort des Herausgebers“ verfremdet. In diesem Buch wird das Psychogramm eines sozialistischen Schriftstellers sichtbar, der durch Jahrzehnte immer nur Auftragsliteratur geliefert hat und jetzt an innerer Leere zugrunde geht. Die Literaturkritik sprach von einer „geradezu hitzigen Sucht nach Ehrlichkeit“ und von einer „erbitterten Suche nach seelischen Verwundungen, nach innerer Verkrüppelung“. Dass solche Bücher, so ehrlich sie auch sind, das auf Hochglanz polierte Bild einer „sozialistischen Nationalliteratur“ empfindlich stören, ist offensichtlich.
Neben allen Verfehlungen, die dem Autor angelastet wurden, wog eine besonders schwer: Die Schilderung einer Vergewaltigung 1945 in Oberschlesien durch Sowjetsoldaten, eigentlich nicht der Vergewaltigung selbst, sondern nur deren Folgen: „Ellen war zwei oder drei Stunden fort. Sie kam beim frühen Licht des Tages…Ellen hatte den Gang, den Frauen nach so was haben: ein wenig plattfüßig, die Knie nach auswärts gebogen, den Körper aufgerichtet, ein Hohlkreuz. Sie gehen durch die Welt, die alle Farben verloren hat, eckig, wie schlecht geführte Marionetten.“
Das im Mitteldeutschen Verlag/Halle erschienene Buch wurde verboten, nachdem sich der sowjetrussische Botschafter Pjotr Abrassimow (1912-2009) eingeschaltet hatte. Ihm, der den Roman nie gelesen hatte, war anonym eine vier Seiten lange Denunziation des Buches zugestellt worden, darauf musste er reagieren und leitete sie an das SED-Politbüro weiter, das daraufhin gegen den Autor vorging. Mit der Begründung, er hätte die Soldaten der „Roten Armee“ beleidigt, wurde er zur Unperson erklärt. Auslandsreisen wurden ihm verboten, sein Name wurde sieben Jahre in keiner Zeitung mehr erwähnt. In Rezensionen seines Romans wurde von einem „Zerrbild der DDR-Geschichte“ gesprochen und von einem „Morast der Verleumdungen durch unsere Gegner“. Der SED-Ideologe Hans Koch sprach in einem Aufsatz in der SED-Zeitung „Neues Deutschland“ vom 15. April 1978 schließlich davon, dass der Aufbau des Sozialismus in diesem Roman als „Golgatha-Weg…als eine Häufung von Begebenheiten, die zu moralischer Bedrückung und Scham Anlass bieten, als eine Art Trampelpfad zwischen Unrecht und Anmaßung“ beschrieben werde und dadurch das „Gesellschaftsbild des realen Sozialismus“ beschädigt würde. Als der Sowjetbotschafter 1983 abberufen worden war, konnte der Roman in weiteren Auflagen erscheinen.
Fast drei Jahrzehnte später erschien in Leipzig Werner Heiduczeks Autobiografie „Der Schatten meiner Toten“ (2005), wo man nicht nur Auskunft bekommt über seine oberschlesische Kindheit, sondern auch über das Schicksal seines Romans.