Wenn Schweigen zum stillen Schrei wird

Ralf M. Ruthardt – Das laute Schweigen des Max Grund, Roman

Bildquelle: Sebastian Sigler

Ralf M. Ruthardt, Das laute Schweigen des Max Grund, Roman, München 2023, 217 Seiten, geb. mit Lesefaden, ISBN 978-3-9825749-0-5, 23 Euro. Auch als Hörbuch auf Spotify und weiteren Plattformen.

 

„Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ Im November 2015, eine Million Migranten hatte in den Wochen zuvor die deutsche Grenze überschritten, äußerte diesen Satz ein Bundesinnenminister. Sein Offenbarungseid. Bei der Lektüre des druckfrischen Romans von Ralf M. Ruthardt kommt uns bei genau dieser Satz immer wieder in den Sinn. Denn Max Grund, der fiktive Protagonist, stellt Fragen. Beängstigende Fragen, beängstigend reale Fragen. Die Antworten – verunsichernd?

 

Ralf M. Ruthardt, der Autor, ist offenkundig ein Intellektueller, von dem wir noch spannende Texte erwarten dürfen – das vorweg. Worum geht es in seinem aktuellen Roman? Zum Beispiel um das Gender Mainstreaming. Max Grund, vielleicht eine Art alter ego des Autors, fragt: Ist das Gender Mainstreaming, das überall durch die sprachlichen Ritzen in unser Gehirn dringt, so in Ordnung? Oder die „gerechte Sprache“ – fördert sie eine wie auch immer geartete Gerechtigkeit zwischen Menschen? Auch dann, wenn sie nicht mehr nur Mann oder Frau sein wollen? Ist nicht die Aufforderung und Ermunterung, eine „freie Wahl des Geschlechts“ – sogar schon im Kindesalter! – vorzunehmen, lupenreine Blasphemie? Ist die Ermunterung zur Manipulation am eigenen Körper, wie Gott ihn schuf, etwa kein Vergehen, kein Verbrechen? Endlich gibt es eine literarische Verarbeitung der vielen Unsicherheiten, der vielen Zumutungen, die der Zeitgeist machtvoll in unser Leben drückt.

 

Zur Handlung: Max, ein alleinerziehender Vater, hinterfragt politischer Entscheidungen und gesellschaftliche Entwicklungen. Denn die Irritationen werden immer zahlreicher. Max wird dementsprechend immer unruhiger, wenn er an seine Kinder denkt, wenn er generell an die Zukunft denkt. Seine Gedanken ziehen Kreise, er findet keine Lösung – findet nicht hinaus aus den Fallen des Zeitgeist. In seiner Verzweiflung stellt er seine Fragen nun öffentlich, lässt sich in eine Talkshow einladen. Im Fernsehstudio positioniert er sich mit Gedanken, die einfach zu gut sind, um mit ein paar Allerweltsfloskeln entkräftet zu werden. Max kontert die Moderatoren aus, zwingt sie zu rhetorischen Fouls, bleibt selbst ruhig und überlegen – aber ist es real, ist es ein Traum? Der Autor zeigt uns bereits hier seine Klasse. Denn es bleibt offen, ob alles nur Fiktion ist – oder doch die Realität.

 

Wie auch immer: Max hat das Tabu gebrochen. Er wird ab jetzt als gefährlich eingestuft. Vielleicht ist doch alles kein Traum? Ein Prozess setzt sich jedenfalls in Gang, und an dessen Ende zahlen sowohl der Protagonist als auch seine Kinder  einen hohen Preis. Denn Max bekommt er physisch zu spüren, wo die Freiheit des Einzelnen endet. Dass es so kommen musste, war recht bald klar. Die Spannung dieses Buches ergibt sich aus der Art, wie dieses Ende sich heranschleicht, wie es argumentativ völlig logisch wird. Exemplarisch seien einige Etappen geschildert.

 

Auf den Seiten 123 bis 130 wird die gesamte Logik des automobilen Wandels hin zum E-Antrieb für Automobile hinterfragt – spielerisch, in fiktive Überlegungen des Protagonisten verpackt. Viele Fragen legt der Autor dem Protagonisten in den Mund, die Antworten findet der Leser oft bei sich selbst: Es sind die Zweifel an der Alternativlosigkeit des Vorgehens. Es sind die logischen Überlegungen, die noch bis vor wenigen Jahren als gesellschaftlich bindend galten und die von ihm so auch anerkannt wurden, die jetzt plötzlich unmöglich sein sollen – aber nicht aus Gründen der Vernunft, sondern der angeblichen Moral.

 

So vorbereitet stimmt der Leser innerlich lebhaft zu, wenn der Protagonist nicht einsehen kann, warum im Namen des Umweltschutzes Millionen von Bäumen im Regenwald des Kongo gerodet werden, weil das darunter im Boden ruhende Kobalt für Batterien benötigt wird. Denn wofür? Na, zu Rettung der Umwelt durch Umstellung auf automobile E-Antriebe, womit auf spielerische, fast schelmische Weise der Autor seinerseits eine Argumentationskette vorlegt. Zwar eine, die auf Beweise verzichtet, die dafür aber durch umso schärfere Logik besticht. Sollte es ihm darauf angekommen sein, die Leitargumente der „grünen“ Partei und ebenso den „Green Deal“ der EU spielerisch zu entkräften, bravourös wäre es gelungen. Am Ende des Kapitels, auf Seite 131, läßt Ruthardt seinen Protagonisten erschöpft zu Bett gehen – und seinen Leser aufwachen.

 

Wenn der Leser, auf einige harte Brocken vorbereitet, zum Kapitel 13 gelangt, ist er doch erstaunt, mit welcher Rasanz er mitgenommen wird auf eine nur fünf Seiten lange und dennoch gnadenlos schonungslose Abrechnung. Fast emotionslos nimmt Ruthardt das gedankliche Konstrukt des Gender Mainstreaming auseinander – und die zugrundeliegende Ideologie gleich mit. Das gelingt vollständig. Wer dieses Kapitel liest und versteht, der würde sich fortan als Idiot fühlen, wenn er auch nur noch ein einziges Gendersternchen in einem beliebigen Wort platzierte: als Räuber der geistigen Freiheit und damit der Zukunft kommender Generation. Bravo, Ralf M. Ruthardt! Bravo!

 

Im darauf folgenden Kapitel geht es dann ums Ganze, um die Freiheit. Ein Stichwort dabei: „Nordstream“ – also Obacht, dieser Roman ist gewissermaßen hochexplosiv. Und als hätte es der Leser geahnt – das Ende für den Protagonisten kommt mit dem Ende des Buches, im abschließenden 15. Kapitel. Vor dem Ende, ganz kurz davor, zitiert Ruthardt höchst bemerkenswerte Sätze, die einst Guido Westerwelle, Carl-Friedrich v. Weizsäcker, Gustav Heinemann äußerten. Für einen Roman höchst ungewöhnlich, belegt Ruthardt im Anhang seine Quellen – er wird schon wissen, warum. Dieses Vorgehen zeigt zugleich, wie fundiert und konstruktiv der Autor agiert, welche Vorsicht er für angebracht hält. Doch wie gestaltet er das Ende des Buches? Was sagt uns das über die Gesellschaft, in der wir leben? Wohin driftet eine hierzulande lebende Menschenmenge, die ein anderes Deutschland kannte und durchaus schätzte? „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“

 

Ralf M. Ruthardt, Das laute Schweigen des Max Grund, Roman, München 2023, 217 Seiten, geb. mit Lesefaden, ISBN 978-3-9825749-0-5, 23 Euro. Auch als Hörbuch auf Spotify und weiteren Plattformen.

 

Über Sebastian Sigler 92 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.