Ein Traum, ein Traum ist unser Leben Auf Erden hier;
Wie Schatten auf den Wogen schweben
Und schwinden wir
Und messen unsere trägen Schritte
Nach Raum und Zeit
Und sind, wir wissen´s nicht, in Mitte
Der Ewigkeit.
Johann Gottfried Herder
Dieses Gedicht des Dichters, Theologen und Philosophen hat Christoph Ransmayr auf das Totenbildchen seines Vaters setzen lassen. Nicht nur jener mochte diese Zeilen sehr. Das Werk des österreichischen Schriftstellers, wollte man es verdichten, könnte man in seinem Duktus gleichfalls in diese kurzen Zeilen pressen. Denn Ransmayrs Oeuvre kommt im Grunde genommen gleichfalls einer Drehung um die eigene Achse gleich, einem Blicken nach oben und unten aus der Mitte des Raums. Die Horizontale und gleichfalls die Vertikale sind für ihn immer Teile seiner komplexen, hingebungsvollen Betrachtungen der Welt und des Menschen in ihr. „Wir sind mittendrin.“, so der Autor, der neben Philosophie und Ethnologie auch Astronomie studiert hat. Nur im „Mittendrin“ findet er Möglichkeiten zum „Sichwiederfinden“, seine „Erfahrungen zu nutzen, Fäden zu spannen und miteinander zu verweben. „Sein fragendes und betrachtendes Erzählen lässt aber auch immer viel Platz für den „Raum des Verschwindens“. Denn nur so kann er „die Umrisse der Sehnsucht nach Unvergänglichkeit und Bleiben skizzieren“.
Zu seinem sechzigsten Geburtstag am 20. März 2014 machte ihm der S. Fischer Verlag ein besonderes Geschenkt: ein Band aus Gesprächen, Mails, Telefonaten, Essays und Werksbetrachtungen unterschiedlichster Couleur. Entstanden ist ein großes mäanderndes Gespräch „rum um Materialien“, ganz im langatmigen Rhythmus seiner literarischen Sätze oder der „großartigen Ausführlichkeit seiner erzählerischen Struktur“, wie es John E. Woods, der Ransmayrs Werke ins Englische überträgt, so trefflich ausdrückt. Einen weiteren assoziativen Raum hat die Herausgeberin Ines Wilke eröffnet, indem sie Zitate aus den Werken des Österreichers „oft zufällig, auf jeden Fall aber sehr subjektiv“ auswählte und vom linken und rechten Rand der Buchseiten in die Gespräche hineinlaufen lässt. Hin und wieder in den Text gesetzte Fotos und Aufnahmen – optische Notizen, von Ransmayr auf seinen Reisen spontan aufgenommen – dienen als Kontrapunkte oder als Illustration.
„Was einer erzähle, könne 'nirgends stärker sein als im Inneren seiner Geschichte', hat Christoph Ransmayr in 'DieVerbeugung des Riesen' geschrieben. Danach kann er sich nur abwenden und davongehen, immer weiter, bis der Weg ins Innere einer neuen Geschichte erkennbar wird und er seine Stimme wiederfindet und zurückkehren kann in die Mitte der Welt.“ Die in diesem Band vorgefundenen Gespräche eröffnen einen weiteren Raum. Sie lassen das „unkalkulierbar Überraschende zu“, legen „Blickwinkel frei, die wieder durchlässig werden lassen, was im schriftlichen Werk so festgefügt schien.“ Der Herausgeberin Insa Wilke ist es gemeinsam mit Christoph Ransmayr sehr gut gelungen, „den Transit-Raum, in dem Literatur entsteht und der so schwer nur zur Sprache gebracht werden kann, als Wunderkammer der Wirklichkeit zu entwerfen und begehbar zu machen.“, ohne dass etwas von der Dichte und Eleganz der Sprache, die Ransmayr in seinen Texten zu Tage bringt und die ihm auch stets bei Interviews und Lesungen zu Eigen ist, verlorengeht.
In drei Kapiteln ist das Buch untergliedert. Zunächst führt die Herausgeberin mit dem Autor ein langes persönliches Gespräch, wie seine Werke in alter Rechtschreibung abgedruckt, dastastend um das Wort „Material“ kreist. Hinzu wurden zwei Essays und Gespräch mit Christine Abbt und Thomas Wild über das Echo von Ransmayrs Büchern „in einer jüngeren Generation, vor dem Hintergrund anderer Werdegänge und Erfahrungen“ gestellt.
Im zweiten Kapitel kommen drei Übersetzer zu Wort. Ihr literarischer Disput befasst sich mit deren ganz eigenen Vorstellungswelten, die sich „in den imaginären Reisen mit diesem Dichter des Vergessens und Erinnerns geöffnet haben und vor welchen persönlichen Hintergründen sie sich so überhaupt erst öffnen konnten.“ Gespräche, die von Deutschland nach Österreich, nach Italien und Frankreich, in die Schweiz und die USA führen, die von den Schwierigkeiten beim Übertragen des Originalwortlauts und Tons in eine andere Sprache erzählen und deren schöpferische Arbeit nicht genug gewürdigt werden kann. Dabei öffnen sich völlig entgegengesetzte aber auch wieder übereinstimmende Ansichten und Erfahrungen „über die Rätselhaftigkeit der Materie und die Erkundung der Welt im Schreiben und Lesen.“ Übersetzer und Autor finden auf erstaunliche Art und Weise einen gemeinsamen Konsens in der Definition von gewissen literarischen Schlüsselbegriffen mit der man Stil und Ausdruck in allen Texten Christoph Ransmayrs definieren müsste.
Der letzte Teil wiederum setzt sich explizit mit dem Roman „Morbus Kitahara“ auseinander, jedoch stets im Kontext zu Ransmayrs Gesamtwerk – ein Leseexperiment.
Fazit: „Gespräche sind Flüsse, die erst im Unterlauf Treibgut anschwemmen, aus dem wieder etwas gebaut werden kann.“, sagt Christoph Ransmayr. Dieses originelle Buch jedenfalls hat jede Menge Stoffabgelagert und ans Ufer gespült. Nun liegt es am Leser, zu sondieren und zu sintern. Und vielleicht mit gewonnenen Erkenntnissen, das ein oder andere Werk des Österreichers (neu) für sich zu entdecken: Kraftvolle Texte, die immer zwischen Schönheit und Schrecken, Lachen und Grauen oder Zärtlichkeit und Brutalität changieren und ihren Weg „auf eine stillere Art durch die Vorstellungskraft und Erinnerung, Köpfe und Herzen der Menschen“ nehmen.
Insa Wilke (Hrgb.)
Bericht am Feuer
Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr
S. Fischer Verlag (Februar 2014)
320 Seiten, Broschiert
ISBN-10: 3100629531
ISBN-13: 978-3100629531
Preis: 18,99 EUR
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