2013 gab es eine Initiative zur Ökumene von Spitzenpolitikern, mit Herrn Norbert Lammert, Herrn Richard von Weizsäcker. Wie steht es mit der Ökumene jetzt?
Die Ökumene hat mich seit vielen Jahren beschäftigt. Aus Württemberg stammend ist mir die Ökumene in die Wiege gelegt. Aber für mich ist es durch die Arbeit in Rom selbstverständlich, daß die Ökumene weltweit, mit den Orthodoxen beispielsweise, funktionieren muß, Deutschland ist da nur ein Land unter vielen. Wie diese Ökumene funktioniert, ist das Thema der Stunde und nicht nur etwas, das innerkirchlich von Bedeutung ist. Gerade diese globale Ökumene bleibt ein äußert interessantes Feld, insbesondere politisch.
Vieles ist in den letzten Jahren in der Ökumene geschehen, aber viele Differenzen gibt es noch in den Köpfen und den Herzen. Ich bin in dieser Sache sehr zuversichtlich.
Das Grundproblem ist: alle wollen die Einheit, aber ein evangelisches und katholisches Kirchenverständnis versteht unter Einheit nicht dasselbe, das Ziel der Ökumene ist also gar nicht so einfach zu bestimmen. Das bedeutet nicht, daß es Zwischenlösungen gibt, aber die muß man auf Gemeindeebene lösen.
Mit Papst Franziskus haben wir eine neue Chance für die Ökumene, denn er hat mit allen Konfessionen gute Kontakte und auch ökumenisch sehr viel vor, die zeigt sich bereits sehr deutlich nach einem Jahr seines Pontifikats.
Er hat als Konzept etwas, das ich nur aus der lutherischen Kirche her kannte, in sein Denken aufgenommen, die versöhnte Verschiedenheit. Dies hat er schon in seinem Dialog mit den jüdischen Rabbis geäußert – und hier sehe ich einen Aufbruchs- und Wachstumsprozeß, der nicht nur dazu dient, der Kirche zu dienen, sondern auch den Menschen, um ihr Glück zu finden.
Wenn das Christentum im alten Europa eine Zukunft haben will, denke ich, kann es das nur ökumenisch haben, da gibt es keine Alternative dazu. Aber jede Kirche sollte auch ihre Hausaugaben machen. Wenn der Papst jetzt damit beginnt, die synodale Struktur stärker zu betonten, so kommt das den evangelischen Christen und den Orthodoxen ebenso zugute, da braucht man keinen Dialog führen, dadurch wächst man bereits enger zusammen.
Ökumene ist nicht nur ein Teil der theologischen Arbeit – Christsein heute, in der Moderne, war für mich von Anfang an immer ein Thema. Ich habe über den Philosophen Schelling, eine moderne Philosophie, habilitiert, kurzum:mir war es immer wichtig, das moderne Denken von innen her zu verstehen.
Heute ist es die große Aufgabe, Christein im heute, keine neue Kirche zu erschaffen, die kann man nicht neu erfinden, aber eine erneuerte Kirche mit einem neuen Gesicht zu prägen, die sich denProblemen der Menschen stellt. Es muß wichtig sein und bleiben, was den Menschen unmittelbar angeht. Der Glaube kann in einer pluralistischen Welt nur überlegen, wenn man sich den Schicksalen der einzelnen Menschen annimmt. Nach einem Jahr Franziskus hat sich gezeigt, daß die katholische Kirche mit ihm einen Überraschungscoup gelandet hat.
Gerade die Armut in der südamerikanischen Welt ist es, die dieser Papst sehr gut kennt und dadurch Brücken zu den anderen Konfessionen schlagen kann; diese, seine menschliche Art des Brückenbauens wird von allen Religionen in Südamerika sehr geschätzt. Daß er so denkt, gesamtmenschlich denkt, ist ein außerordentliches Zeichen an alle anderen Konfessionen und darin sehe ich eine Stärke für das konfessionelle Zusammenwachsen, getreu dem Motto: Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit.
Gibt es mehr Zentralismus seit dem II. Vatikanischen Konzil?
Das wir ein Zentrum mit Rom haben, ist ein Geschenk, aber dies meint nicht Zentralismus. Wenn man aber glaubt, man kann alles von Rom aus regieren, dafür ist die Welt zu verschieden. Auch hierfür geht der jetzige Papst mit gutem Beispiel voran, weil er darauf Wert legt, daß regionale Entscheidungen auch von den regionalen Bischöfen getroffen werden können. Aber in den zentralen grundlegenden Fragen muß man an einem Strick ziehen, was ich als eigentliche Stärke der katholischen Kirche begreife und was man nicht aufgeben kann.
Postmetaphysische Ethiken gab es viele. In Ihrer neuen Publikation sprechen Sie auch auf Levinas und auf Derrida und die Freundschaft an. Jetzt haben Sie ein neues Buch mit dem Titel „Barmherzigkeit“ vorgelegt, eine neue Ethik für das 21. Jahrhundert möglicherweise? Was zeichnet den Begriff der Barmherzigkeit aus und wie ist dieser universalisierbar?
Ich habe im Buch versucht zu zeigen, daß es Ansätze zu diesem Begriff in allen großen Religionen gibt, bei den Hindus, den Buddhisten und im Islam, wo jede Sure mit einer Preisung der Barmherzigkeit anfängt. Barmherzigkeit ist eine urmenschliche Erwartung, derart, daß der andere mir als ein barmherziger Mensch begegnet. Barmherzigkeit bedeutet ja, einen neuen Anfang geschenkt zu bekommen –dies ist die Grundbotschaft des Alten Testaments. Aber auch im Gleichnis vom Verlorenen Sohn, bzw. vom barmherzigen Vater im Evangelium nach Lukas sehen wir, daß Gott ein barmherziger ist, eine großartige Idee finde ich.
Die Barmherzigkeit schließt die soziale Gerechtigkeit nicht aus. Wir merken es in unserem sozialen System, wenn wir alles nur verrechtlichen wollen, wird alles sehr kompliziert, man braucht im Rechtssystem auch Barmherzigkeit, die auf die einzelne Person zugeschnitten ist, sie ist also vonnöten, wo das Recht nicht mehr greift, oder eine Person nur als Sache oder Fall behandelt wird. Barmherzigkeit kann man nicht auf den Staat reduzieren, sondern wir sind es, die die Barmherzigkeit leben müssen.
Ich denke auch, daß es politisch unheimlich wichtig ist, barmherzig zu sein. Dies gilt selbstverständlich auch für die Kirche, die vielen Menschen oft als unbarmherzig erscheint. Sie muß Barmherzigkeit walten lassen, und dies ist – meiner Meinung nach – einer ihrer wichtigsten Imperative.
Ich selbst hatte meine Schwierigkeiten mit dem Begriff der Barmherzigkeit, selbst als Professor, aber nach langer Recherche und gründlichem Bedenken ist es mir schließlich gelungen, dieses Buch zu schreiben. Und Glück hatte ich darüber hinaus, daß der jetzige Papst dieses Buch – quasi für mich – beworben hat, weil er von der Wichtigkeit der Barmherzigkeit völlig überzeugt ist. Und er weiß, weil er selbst aus Lateinamerika kommt, wie wichtig Barmherzigkeit ist, insbesondere für die Menschen in den Armenvierteln der Welt, in den Slums, die für viele, weil sie arm sind, keinen Wert haben. Ohne Barmherzigkeit gäbe es im dortigen Neokapitalismus keine Hilfe. Wichtig ist und bleibt die seelische Barmherzigkeit, und interessant ist, wenn sie die Gerichtspredigt Jesu lesen, nach welchen Kriterien wir am Schluß Rechenschaft geben müssen. Dann sieht man wie wichtig es ist, barmherzig zu sein, andere Not und Elend gelindert zu haben.
Wo sehen Sie die größte Gefahr oder die Herausforderung für die Kirche im 21. Jahrhundert?
Ich möchte die Antwort auf die westliche Welt beschränken, in den anderen Kulturen ist das sehr unterschiedlich. Im Westen sehe ich die größte Gefahr in der Gleichgültigkeit, wo alles beliebig ist, wo jeder macht, was er will. Menschen sollten wieder mehr Ideale haben, die muß man zwar nicht teilen, aber darüber kann man wenigstens streiten, was zumindest einen sinnvollen Dialog möglich werden läßt. Bei der derzeitigen Gleichgültigkeit, dieser „Wurstigkeit“ kann man mit Glaubensverkündigungen nicht kommen, weil alles relativ ist. Karl Rahner, einer der größten Theologen der vorangegangen Generation, hat einmal gesagt, ein Atheist ist ein pastoraler Glücksfall. Zwar bestreitet dieser, daß Gott existiert, aber ihm ist es immerhin ein Anliegen, Gott zu negieren, mit ihm kann man wenigstens streiten. Mit einem, der gar nicht glaubt, mit dem kann man gar nicht diskutieren.
Die Gleichgültigkeit im Wesen scheint mir wie eine geistig-seelische Wüste, wo man von einem Event zum nächsten jagt. Alles ist dann wieder nichtig und man jagt zum nächsten. Religion hingegen hat was mit Faszination zu tun. Es ist eine Definition von Religion, daß noch etwas anderes, das noch mehr da ist. Daran krankt der Westen momentan, dem es vielleicht zu gut geht, es soll auch keinem schlecht gehen, aber das genügt nicht. Da sehe ich eine Schwierigkeit, die ich immer in der alten DDR gesehen habe, die ich oft im tiefsten Sozialismus bereist habe. Dort gibt es Menschen, die gar keinen Sinn mehr für die Frage haben. Hier ist es eine Aufgabe der Kirche zu provozieren, die Frage, die letzten Fragen zu stellen, wozu bin ich eigentlich da, was ist der Sinn meines Lebens, was heißt es glücklich zu leben, das ist ja nicht nur Essen und Trinken, und hier da fehlt es – nicht nur in der ehemaligen DDR.
Herzlichen Dank für das Gespräch, das Dr. Dr. Stefan Groß führte.
Neueste Literatur zum Thema Barmherzigkeit und Schriften zur Ökumene:
Karl Kardinal Kasper, Barmherzigkeit, Grundbegriff des Evangeliums – Schlüssel christlichen Lebens , Verlag Herder, Aufl./Jahr: 3. Aufl.2013, 260 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-451-30642-6, € 22,00
Kasper, Walter, Wege zur Einheit der Christen, Schriften zur Ökumene I, Verlag Herder,2012, Walter Kasper Gesammelte Schriften,Band14, ISBN 978-3-451-30614-3, Preis: 42 Euro
Kasper, Walter, Einheit in Jesus Christus, Schriften zur Ökumene II, Verlag Herder,2013, Walter Kasper Gesammelte Schriften,Band15, ISBN 978-3-451-30615-0, Preis: 42 Euro
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