Was zum Teufel ist Wasser?

„Schwimmen zwei junge Fische daher und treffen auf einen älteren Fisch, der in die andere Richtung schwimmt, ihnen zunickt und sagt: 'Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?' Und die beiden jungen Fische schwimmen noch ein bisschen, bis der eine schließlich zum andern herübersieht und sagt: 'Was zum Teufel ist Wasser'?“ (David Foster Wallace)
„Unser ganzes Leben setzt sich, soweit es eine bestimmte Form hat, aus einer Anzahl von Gewohnheiten zusammen“, schrieb 1892 der US-amerikanische Psychologe und Philosoph William James. Wir mögen zwar der Ansicht sein, dass die meisten Entscheidungen, die wir jeden Tag treffen, sich wie das Resultat sorgfältiger Abwägungsprozesse anfühlen, aber hier erliegen wir einem Trugschluss. Über 40% unserer täglichen Handlungen geruhen eben nicht auf bewussten Entscheidungen, sondern sind Gewohnheiten. Diese „prägen unser Leben viel stärker, als wir uns bewusst sind – tatsächlich sind so wirkmächtig, dass sie unser Gehirn dazu bringen, unter Ausschluss von allem anderen, sogar des gesunden Menschenverstandes, an ihnen festzuhalten.“
Charles Duhigg, der als Wirtschaftsredakteur und investigativer Journalist für die New York Times arbeitet, hat sich genau dieser Sache angenommen. Sein Buch, dass sich in drei Teile gliedert, hangelt sich konsequent an einem roten Faden entlang, einer zentralen These: dass sich Gewohnheiten (die zumeist einen fahlen Beigeschmack haben wie zum Beispiel das Rauchen, übermäßiger Alkoholgenuss, Nägel kauen etc.) ändern lassen, wenn wir verstehen, wie sie funktionieren. Dabei stützt er sich auf Hunderte von wissenschaftlichen Studien, auf Interviews mit über dreihundert Wissenschaftlern und Führungskräften, und auf Forschungen, die von Dutzenden Unternehmen durchgeführt wurden. Der erste Teil konzentriert sich auf die Frage, wie sich Gewohnheiten in unserem Leben bilden. Er befasst sich mit den neuronalen Grundlagen, mit der Frage, wie man sich neue Gewohnheiten aneignet und bestehende verändert. Im zweiten Teil beschäftigt sich Duhigg mit den Gewohnheiten erfolgreicher Unternehmen und Organisationen, im dritten Teil mit denen von Gesellschaften.
„Gewohnheiten, so sagen Wissenschaftler, entstehen, weil das Gehirn ständig nach Wegen sucht, um sich weniger anzustrengen. Sich selbst überlassen, versucht das Gehirn praktische jede Routine in eine Gewohnheit zu verwandeln, weil Gewohnheiten unserem Geist erlauben, häufiger herunterzufahren.“, so Duhigg. Der Autor beschreibt umfassend diesen dreiteiligen neuronalen Prozess, der aus einem Auslöser, der das Gehirn auffordert, in einen automatischen Modus umzuschalten, und ihm sagt, welche Gewohnheiten es aktivieren soll, einer darauffolgenden Routine, die körperlicher, mentaler oder emotionaler Natur sein kann und letztendlich einer Belohnung besteht, die unserem Gehirn hilft, zu entscheiden, ob es sich lohnt, sich diese Schleife für die Zukunft zu merken. Auslösereiz und Belohnung werden dabei immer enger miteinander verschränkt, bis ein starkes Gefühl der Antizipation und des Verlangens entsteht. Und am Ende bildet sich ein schlecht zu lösender Automatisierungsprozess – die Gewohnheit – aus.
Auf über 300 Seiten erläutert Duhigg dies an zahlreichen Fallbeispielen. Und genau dabei liegt die Krux des Buches. Weniger ist manchmal mehr, fällt einem beim seinen zum Teil ausufernden Beschreibungen ein. Der Autor springt von einem Beispiel zum nächsten, um hernach wieder von vorn zu beginnen. Beinahe minutiös hält er sich an seinen Praxisbeispielen auf, verfolgt jeden Erfolg oder Misserfolg seiner betrachteten Probanden und reizt dies schier unerschöpflich aus. Dies tut dem Buch keinen Gefallen, sondern zieht es nur mühsam in die Länge. Die Quintessenz seines Werkes, dass nämlich Gewohnheiten, auch wenn wir sie in unserer Psyche fest verankert haben, durchaus ignoriert, verändert oder ersetzt werden können, wenn auch mit zuweilen immenser Anstrengung und Willenskraft, geht dabei fast unter. Eines ist jedoch klar und hier darf noch einmal William James aus seinem Meisterwerk „The Principles of Psychology“ zitiert werden: Wasser „höhlt für sich selbst einen Kanal aus, der immer breiter und tiefer wird; und wenn es, nachdem es zwischenzeitlich versiegt ist, erneut fließt, folgt es dem Weg, den es sich selbst zuvor bahnte.“ Also: Schwimmen Sie endlich los!

Charles Duhigg
Die Macht der Gewohnheit
Warum wir tun was wir tun
Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt
Titel der Originalausgabe: The Power of Habit
Berlin Verlag (September 2012)
428 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 382700957X
ISBN-13: 978-3827009579
Preis: 22,99 EURO

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Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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