Richard David Precht, Liebe, Ein unordentliches Gefühl, Goldmann-Verlag, München 2009, 397 Seiten, ISBN: 978-3-442-31184-2
Lieber Herr Precht,
in Ihrem neuen Buch „ Liebe – ein unordentliches Gefühl widmen sie sich genau 363 Seiten dem Thema Liebe, um, so erwartet es zumindest der aufgeschlossene Leser, eine philosophische, teils wissenschaftliche fundierte Erklärung dieses seit Jahrtausenden beständigen Gefühls zu generieren. Mal davon abgesehen, daß dieses Unterfangen bereits dem einfachen Durchschnittsgemüt ehe unmöglich erscheint, allein das Wort „Liebe“ schon für Furore sorgt, bin ich leider nach Beendigung des Werkes genauso schlau wie vorher: Das Ende besteht aus ein paar profanen Vorschlägen, wie „schenken Sie Ihrem Partner mehr Anerkennung, versichern Sie ihm öfter Liebe, gehen Sie beim Streit nicht unter die Gürtellinie, variieren Sie hin und wieder die Stellung, hüten Sie sich vor Pauschalangriffen…“
Also nach 363 Seiten dieselbe Konklusion wie in einem knapp gehaltenen Artikel in einer kommerziellen Frauenzeitschrift! Mit dem kleinen Unterschied, daß ich in letzterer auch nicht mehr erwarte, als von jemanden, der derzeit als moderner Vorzeigephilosoph durch die Presse gereicht wird. Vielleicht haben Sie aber auch nur den Bogen raus, wie man den Leser mehr oder weniger unterhalten, seitenlang mit populistischen, aufsehenserregenden Autoren wie Dawkins und Fromm bei Laune hält, quasi abgelenkt von den eigenen ursprünglichen Erwartungen. Vielleicht sind wir doch alle zu neugierig, unsere Erfahrungen mit dem Thema Liebe endlich mal wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen, um dann gewappnet mit neuem Wissen und gefeit vor Fehlern, diesem Gefühl die überfällige Ordnung beizubringen, koste es, was es wolle.
Zu Beginn Ihrer Einleitung legen Sie die Meßlatte hoch, indem Sie festhalten: „Denn die geschlechtliche Liebe ist hochverdächtig; als ein Sujet nämlich, an dem sich zwar die besten Dichter, aber nur selten die klügsten Philosophen versucht haben.“ Für meine Begriffe hätten Sie auf letztere hören sollen, denn auch Sie machen sich bei Ihren mehr oder weniger beeindruckten Berufskollegen wahrscheinlich auch eher verdächtig als profiliert. Sie selbst sagen, heutzutage sei es Aufgabe der Philosophie, bestimmte Zusammenhänge plausibel darzustellen. Nicht ganz verständlich ist mir dabei Ihre Methode, wenn Sie dafür den Hauptteil Ihres Buches Biologen, Psychologen, Soziologen und Verhaltensforschern widmen. In derPhilosophie – wörtlich ‘Liebe zur Weisheit’– wird versucht, die Welt und die menschliche Existenz zu deuten und zu verstehen. Von den anderen Wissenschaften unterscheidet sie sich dadurch, dass sie sich nicht auf ein spezielles Gebiet oder eine bestimmte Methodologie begrenzt, sondern durch die Art ihrer Fragestellungen und ihre besondere Herangehensweise an ihre vielfältigen Gegenstandsbereiche charakterisiert ist. Viele Menschen betreiben Philosophie, und dazu gehören vielleicht auch Sie,um ihrer selbst willen: um sich selbst und die Welt, in der sie leben, besser zu verstehen; um ihr Handeln, ihr Weltbild auf eine gut begründete Basis zu stellen. Wer jedoch ernsthaft philosophiert, stellt kritische Fragen an die ihn umgebende Welt und lässt sich in der Regel nicht so leicht täuschen oder manipulieren. Das konstruktive Potential der Philosophie liegt im Hinterfragen der gesellschaftlichen Verhältnisse und im Herausarbeiten alternativer Modelle ebenso wie in einer Relativierung der Ansprüche von Wissenschaften und Religionen. Ein selbstbestimmtes und vernunftbasiertes Leben auf der Grundlage eigenen Nachdenkens ist das Ziel vieler Philosophen und sie zeichnen sich nicht nur dadurch aus, daß sie in der Regel mehr wissen als andere, also durch Quantität, wie sie es in Ihren Büchern versuchen, sondern daß sie Zusammenhänge besser erkennen und einen besseren Überblick bezüglich gewisser Argumente und Positionen zu bestimmten Themen haben und einnehmen können, also durch Tiefe in der Argumentation. Das gilt auch für das Thema Liebe, die Frage bleibt aber, ob die Hinzunahme aller Wissenschaftsgebiete als Erlärungsversuch, wirklich Licht ins Dunkel bringt und Sie sich nicht zu weit von Ihrer Position als Philosoph wegbewegen. Zumindest wenn sich der Rezipient in den auf die Einleitung folgenden 250 Seiten mit Themen wie „Betuchte Würger, standhafte Kröten“, „Ich sehe was, was du nicht siehst“ und „ Mein Zwischenhirn & Ich“ auseinandersetzen muß. Für mich persönlich tritt hier die philosophische Methode zugunsten einer Abarbeitung an einer breiten, populärwissenschaftlichen Themenwelt, wahrscheinlich mit dem Ziel der üppigen Wissensvermittlung an eine große Population, in den Hintergrund. Die Philosophie unterscheidet sich ja dadurch von anderen Wissenschaften, dass sie auf eine detaillierte Überprüfung ihrer theoretischen Schlussfolgerungen durch Beobachtungen verzichtet, dass man immer wieder auf Gedanken zurückgreifen muss, die bisher noch nicht überprüft werden konnten und für die auch noch keine Überprüfungsmöglichkeit denkbar scheint. Bereits nach dem ersten Kapitel über menschliche Zoologie, wird einem klar, dass Ihr Ansatz für eine Erklärung von Liebe kein philosophischer ist, sondern maximal ein wissenschaftlicher, wobei die Ausschweifungen in die Steinzeit für mein Verständnis überflüssig und die Genmystik als Begründung im Zusammenhang mit Liebe eher befremdlich sind. Gegen Ihre Methode ist vielleicht für den ein oder anderen Leser im Grunde nichts einzuwenden, ist es doch an sich begrüßenswert, wenn philosophische Thesen und Theorien auch interdisziplinär betrachtet und einer großen Leserschaft zugänglich gemacht werden. Allerdings geht mir persönlich bei dieser Breite die Tiefe vollends verloren, viele alte und neue wichtige Theorien kommen zu kurz. Leider erfährt man bis zum Schluß nur wenig über die Diskussionen in der zeitgenössischen Philosophie, wo Theorien der Liebe und Gefühle derzeit ebenfalls Konjunktur haben. Fazit bleibt für mich: Der Leser von „Liebe – Ein unordentliches Gefühl“ wird auf leichte Weise unterhalten, vielleicht auch zum Nachdenken angeregt, wobei die Reise eben diesmal keine philosophische, sondern ein für jedermann verständliche, populär- wissenschaftliche ist.
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