Was ist eigentlich Lyssenkoismus?

Walhalla, Foto: Stefan Groß

Der russische Wissenschaftler  Lyssenko ist Agrarwissenschaftler, der unter Stalin überaus starken politischen Einfluss erlangt. Lyssenko vertritt den Lyssenkoismus . Der Lyssenkoismus beweist, dass nicht Gene die Eigenschaften alles Lebens festlegen, sondern die Umweltbedingungen. Der Lyssenkoismus verteidigt zu 100% den wissenschaftlichen Materialismus, der unter Stalin und auch anderswo im Restsozialismus bis heute gelehrt, geglaubt und zur Vermeidung der Todesstrafe befolgt wird.

Böse Zungen behaupten, dass Lyssenko seine Forschungsergebnisse gefälscht hat. Dies trifft nicht  zu: er hat sie erfunden! Außerhalb des materialistischen Sowjetimperiums hat der Lyssenkoismus offiziell keinen Fuß gefasst.

In der Folge kommt es in der Sowjetunion zu Missernten und Hungersnöte. Beschuldigt werden Bauern und Dissidenten (Saboteure), die den Lyssenkoismus verleugnen. Es  kommt zu Denunzierungen in parteilichen staatstragenden Zeitungen, zu Verfolgungen, Arbeitsverboten, Verbannungen und Hinrichtungen der Umweltleugner. Bauern werden deportiert. Die Gen-Forschung wird als faschistisch und klassenfeindlich verleumdet. Sie dient nur dem Erhalt des Kapitalismus auf Kosten der Gesundheit der werktätigen Bevölkerung.

Mit dem Tod Stalins gewinnt die Wahrheit langsam, aber stetig, in der sowjetischen Landwirtschaft die Oberhand. Die Hungersnöte verebben.

Lyssenkoismus lässt sich leicht in totalitären Staaten durchsetzen, da sich Widersprüche und Gegnerschaften zur gerade zweckmäßigen gesellschaftlichen Ideologie unschwer beseitigen lassen. Das bekannteste Beispiel des Lyssenkoismus, welches damals noch nicht so heißt, ist der Prozess gegen Galileo Galilei im frühen 17. Jahrhundert. Galilei wird wegen seines Heliozentrischen Weltbildes von der Katholischen Kirche verurteilt und erst nach beinahe 400 Jahren 1992 freigesprochen.

25 Jahre nach dem Freispruch von Galileo Galilei kann sich kein wissenschaftlich interessierter Bürger einer Demokratie mehr vorstellen, dass ein Wissenschaftler wegen einer wissenschaftlichen These, die nicht dem Mainstream-Denken entspringt, von den Medien verspottet und von demokratisch gewählten Politikern geächtet wird. Auch brauchen Forscher kein Berufsverbot zu befürchten, wenn sie Ergebnisse vorstellen, die nicht systemgenehm sind. Schließlich ist es seit Beginn der griechischen Wissenschaft vor mehr als 2.000 Jahren ein allgemeines Gut, dass neue Erkenntnisse durch den Zweifel an die Gültigkeit der bestehenden Annahmen entstehen. Zudem ist in der Demokratie die Meinungs- und die Forschungsfreiheit in der Verfassung oder im Grundgesetz garantiert.

Sollte dem philosophisch-wissenschaftlichen interessierten Leser der leiseste Zweifel hochkommen, dass bestimmte wissenschaftliche Forschungsfreiheiten beschnitten werden, so möge er bedenken, dass es zuweilen darum geht, höhere Werte als die Forschungsfreiheit zu verteidigen. Diese höheren Werte können überlebenswichtig für die gesamte Gesellschaft oder ihren politischen und wirtschaftlichen Führern und deren Transmissionsriemen sein. Außerdem würde kein freiheitlicher demokratischer Mensch einen Wissenschaftler als Leugner diffamieren, nur weil seine Forschungsmeinung nicht der allgemeinen Wahrnehmung entspricht. Denn bekanntlich ist die allgemeine Wahrnehmung nicht nur durch Tatsachen beeinflussbar. Selbst staatlich finanzierte Medien, die nichts zu befürchten haben, bemühen sich nach Möglichkeit um eine politisch korrekte Sprache. Entgleisungen sind in der Hitze des Gefechtes menschlich und möglich.

Diejenigen, die sich im Besitz der reinen Wahrheit wähnen, versuchen nur aus Gründen der Effizienz das unwissende Volk auf ihre Seite zu ziehen. Ein besonders reger und demokratisch legitimierter, allgemein wünschenswerter und geförderter Meinungsaustausch findet derzeit zwischen Befürwortern und Gegnern der Gentechnik und der menschengemachten Klimaerwärmung statt. Schließlich soll der Untergang der Zivilisation und unseres Planeten Erde aufgehalten werden, ehe es zu spät ist. Es ist nie zu früh, an das Ende zu denken! (Diesen Spruch habe ich von einem Beerdigungsinstitut entliehen.)

Denn was haben zivilisierte Werte-Menschen davon, wenn gentechnisch veränderte Lebensmittel, die wir Leser und Schreiber bereits alle zu uns nehmen, den Hunger in der Welt reduzieren und gleichzeitig die Zahl der überlebenden und lebenden Menschen auf unseren Planeten derart in die Höhe schießen lassen, dass alleine dadurch die menschengemachte Klimaerwärmung bis ins Unerträgliche intensiviert wird? Ob die anderen verhungern oder wir den Hitzetod erleiden ist doch gleichgültig? Jedes Menschenleben zählt gleich! Oder?

 

 

Über Nathan Warszawski 535 Artikel
Dr. Nathan Warszawski (geboren 1953) studierte Humanmedizin, Mathematik und Philosophie in Würzburg. Er arbeitet als Onkologe (Strahlentherapeut), gelegentlicher Schriftsteller und ehrenamtlicher jüdischer Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu Aachen.

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