Natürlich gerät der Osten immer wieder zyklisch in den Blick: Negativ-Schlagzeilen und gelegentliche gut gemeinte positive Leuchtturm-Vorzeigobjekte wechseln einander ab. Bei der EM vereinten sich Ost und West weitgehend im Einig-Fußballbegeisterungsland. Man brauchte über ein paar Störenfriede keine Worte zu verlieren, wenn die nicht ausgerechnet in Dresden – der weitgehend türkenfreien Stadt – nicht Dönerbuden demoliert hätten. Die wenigen Negativ-Meldungen kamen vorzugsweise aus dem Osten – und Platz eins auf der nach oben offenen Verblödungsskala durften randalierende Schweriner für sich beanspruchen, die stundenlang Bahngleise blockierten. Was kann die arme Bahn dafür, dass unsere Kicker dem spanischen Fußballzauber nicht gewachsen waren? Und warum beharren Dresdens Politiker auf der idiotischen und durch einen Tunnel gut vermeidbaren Waldschlößchenbrücke so innig, dass ein Zeit-Kolumnist diese Woche schon Verbindungen zur russischen Mafia vermutet?
Manchmal zu nachgiebig Manchmal erweist sich der Osten aber auch als zu nachgiebig – wer „FAZ“ oder „Welt“ las, weiß, dass der geplante Thüringer Kultusminister Krause längst nicht der schlimme geistige Finger mit Rechtsradikalismus-Nähe war, zu dem ihn einige erklären wollten. Seine Wähler in Weimar wissen es auch, da hatte er sich neben vielen anderen auch für das wirklich gekonnt gemachte kommunale und eher links angesiedelte „Radio Lotte“ eingesetzt. Dieter Althaus und der mögliche Minister selbst gaben letztlich dem medialen Druck aus Berlin, München und Hamburg nach. Statt sich an Bayern zu orientieren und mitunter auf einem Sonderweg zu bestehen, der politische Werte unter osteuropäischen Erfahrungen noch einmal neu justiert.
Lustmachen auf Nicht-Mehr-DDR Dabei sind Selbstbewusstsein und langsam auch Leistungsfähigkeit, wenigstens in den größeren Städten wie Leipzig, Halle, Erfurt, Magdeburg, Dresden wirklich zu entdecken. Ganz zu schweigen von Jena, dieser Stadt der Wissenschaft. Wieso schafft sie es aber eigentlich nicht, ihr 450-jähriges Universitätsjubiläum attraktiver und wirksamer nach außen zu präsentieren. Es fehlt an übergreifenden Ideen und Aktivitäten. Für das eigene Bundesland und für die Versammlung der Bundesländer Ost. Sozusagen das Lustmachen auf eine politisch durchregenerierte Nicht-Mehr-DDR mit Vorzeige- und mit Vernachlässigungszonen. Es reicht auch nicht mehr, sanfter oder konzentrierter DDR-Nostalgie die Repressionserfahrungen und die der friedlichen Revolution entgegenzusetzen. Was seither geleistet und versäumt worden ist, muss noch mehr ins gesamtdeutsche Bewusstsein rücken, das natürlich seine regionalen Schwerpunktbezüge hat.
Traumstadt Magdeburg Eine Münchner Bekannte fragte ihre pubertierende Tochter, ob sie in London oder New York Urlaub machen wollte. Sie wünschte sich Magdeburg, die Traumstadt, aus der ihre Traumband Tokio-Hotel stammt. Wer in Magdeburg bietet Touren auf den Spuren jener Gruppe an? Niemand. Gerade eröffnet „Madame Tussauds“ mit großer medialer Beachtung ihr Wachsfigurenkabinett in Berlin. Wachs als globales Medium. Die Menschen lieben es, bei „Madame Tussauds“ den Mächtigen, Bedeutenden und Berühmten auf Augenhöhe einen Moment nahe zu sein – der medienzugewandte Bürger will so im Bewusstsein eingebildeter Gleichheit weiterleben und das auch noch im Foto festgehalten sehen.
Erst wenn der Osten seine angeblichen und realen Berühmtheiten per Wachs verewigt, hat er das nötige Selbstbewusstsein erreicht. Falls nicht ein russischer Neu-Milliardär gleich das gesamte Museum samt Inhalt erwirbt, und es in St. Petersburg dreimal so groß neu errichten lässt – für den ganzen Ostblock, den die Sowjetunion einmal beherrschte. Denn, ob man bei der Himmelsrichtung „Osten“ in ein paar Jahren noch die ehemalige DDR assoziiert, ist mehr als fraglich.
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