Was ich vom Fußball lernte

Nun ist sie vorbei, die Fußball-Weltmeisterschaft, die, wer sich nicht regresspflichtig machen will, „FIFA WM 2010“ nennen muss. Das Produkt hat seinen natürlichen Entsorgungszeitpunkt erreicht. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist abgelaufen. Das Nachfolgemodell, die „FIFA WM 2014“, wird bald in den Orbit des globalen Konsums eindringen. Nicht das zähe Finale, eine üble Treterei in Orange und ausweislich der niederländischen Hymne leider ganz „von deutschem Blut“, wird in Erinnerung bleiben.
Haften blieben werden vermutlich Operettentrainer Maradona, ein weinender Nordkoreaner, fassungslose Brasilianer und Franzosen und Italiener, japanische Kunstschützen, afrikanische Fehlschüsse, spanische Kreativität, peinliche Diven vom Schlage eines Christiano „Ich-hab‘-die-Haare-schön“ Ronaldo, miese Schiedsrichter, laute Tröten und manch schöner Spielzug aus deutschen Landen.
Mir wird sich eine lebensdienliche Moral besonders einprägen. Gerne will ich darum in den bundesdeutschen Arbeits- und Lebensalltag diese feine Sitte integrieren. Sie wurde in Südafrika flächendeckend eingeübt und ist eigentlich ein Hinweis darauf, dass auch der Fußball ein Gentleman’s Agreement sein könnte.
Ein Pass segelte ins Niemandsland, kein noch so beherztes Hinterherjapsen half da. Eine Flanke senkte sich hinter dem Tor, wiewohl sie für das Kopfballungeheuer gedacht war. Ein Schuss landete im Oberrang und sollte doch den Torwart in Verlegenheit bringen. Was auch immer missriet auf dem tückischen Weg des „Jabulani“ von Spieler A zu Spieler B: Es endete im anerkennenden Klatschen.
Der Mann also, der als Empfänger von Flanke oder Pass gedacht war oder der den Ball ordentlich verjuxte, wandte sich nach missratener Tat um, hob die Hände in die Höhe und klatschte Beifall. Nicht zynisch, sondern aufmunternd sollte der Applaus wirken. Der Subtext lautete: War zwar grottig, aber schön, dass wir es probiert haben, schön, dass du an mich gedacht hast. Wird schon noch klappen, irgendwann einmal, irgendwie.
Es hat schon Trainer gegeben, die eine solche menschenfreundliche Tat verboten. Applaus gebühre nur der gelungenen Tat, nicht der noblen Absicht. Ich für meinen Teil halte dagegen: Wäre unsere Welt nicht friedlicher, schöner, rundherum menschlicher, nähmen wir alle uns ein Beispiel an der kickenden Elite?
Morgens beim Bäcker, wenn die Brötchen verbrannt sind und die Brezeln versalzen: nicht meckern, sondern zahlen, lachen, in die Hände klatschen. Bestimmt hat der Bäcker sich tüchtig angestrengt. Mittags beim Lunch, umgeben von warmem Bier und zähem Schnitzel: klatschen, nicht wundern. Der Koch hat es doch so schön versucht. Und abends dann beim Blick in die Welt auf der Mattscheibe: nicht die Kanzlerin beschimpfen, nicht die Genossen schurigeln, nicht böse denken vom Vorstandsvorsitzenden. Die geben sich alle Mühe, also klatscht, liebe Bürger, klatscht und freut euch auf den nächsten Versuch. Das wird schon noch, irgendwann und irgendwie.
Der Fußball ist wirklich eine Schule für das Leben.

Quelle: http://www.alexander-kissler.de/

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Über Kissler Alexander 21 Artikel
Dr. Alexander Kissler, geboren 1969, arbeitet im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Kissler schrieb Bücher über Benedikt XVI., über Rudolf Borchardt, über Klonen und neue Technik, über Religion und Vernunft. Zuletzt erschien "Dummgeglotzt, Wie das Fernsehen uns verblödet" Kissler hat für alle großen Sendeanstalten gearbeitet, derzeit schreibt er u.a. für das politische Magazin "Cicero".

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