Hans-Martin Schönherr-MannSimone de Beauvoir und das andere Geschlecht Dtv (November 2007) 238 Seiten, Taschenbuch ISBN-10: 3423246480ISBN-13: 978-3423246484Preis: 14,50 EURO
Mit dieser und anderen Fragen, die die Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir in ihrem spektakulärsten Buch „Das andere Geschlecht“ aufwarf und analysierte, beschäftigt sich Hans-Martin Schönherr-Mann in seinem, anlässlich des 100. Geburtstages der berühmten Französin am 09. Januar 2008, erschienenen Buch „Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht„.
Gerade in der heutigen Zeit der Emanzipation der Frauen – zumindest in der westlichen Welt – werden kurioserweise immer mehr Rufe laut, die dem nunmehr gleichberechtigten weiblichen Geschlecht vorwerfen, sich ihren „natürlichen Aufgaben“ nicht mehr genügend zu widmen und dadurch die Gesellschaft und die Familie zu zerstören und sich zwangsläufig dadurch selbst ins Unglück zu stürzen. Die sogenannten Traditionalisten aller Couleur versuchen, die Frauen auf ihre ursprüngliche „Bestimmung“ zurückzuführen: dem „Frau-Sein“.
Bestes und die Wogen hoch schlagendes Beispiel war die Publikation des Buches „Das Eva Prinzip“ der Fernsehjournalistin Eva Herrmann, die den Feminismus frontal angreift und die Errungenschaften der Emanzipation generell in Frage stellt.
All diese Debatten ermutigen, sich wieder – oder vielleicht zum ersten Mal – mit Werken der beginnenden Frauenbewegung und des Feminismus zu beschäftigen und eine eigene, nicht populistisch geprägte Meinung, zu bilden.
Was scheint dabei prädestinierter, als in das Werk einer Frau einzusteigen, die am 09. Januar 2008 100 Jahre alt geworden wäre und sich mit diesem Thema zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzte: Simone de Beauvoir.
Das Buch, welches sie schlichtweg auszeichnet und das weltweit einschlug wie eine Bombe, ist das 1949 erschienene „Das andere Geschlecht„.
Unter dem Gesichtspunkt: „Wie kann ein Mensch sich im Frau-Sein verwirklichen?“ analysierte Simone de Beauvoir das traditionelle Rollenverständnis und kam zu dem Schluss, dass es ein Verstoß gegen die Menschenwürde und den Gedanken der Freiheit ist, die Hälfte der Menschheit auf einen einzigen Aspekt ihres Menschseins einzuschränken.
Das andere Geschlecht
Dabei lehnte Beauvoir weder die Liebe noch die Familie ab, auch wenn sie eine sehr ungewöhnliche, existentialistische Beziehung mit ihrem Lebenspartner Jean Paul Sartre führte. Was sie forderte, war: Die Menschen sollten nicht aufgrund ihres Geschlechts in Zwangslagen geraten, aus denen sie sich nicht mehr befreien können.
Der Aufruf zur Emanzipation, zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit vom Mann, zur Lösung vom üblichen Frauenschicksal „Küche und Kinder“ war nicht nur äußerst provokativ, sondern ebenso weitsichtig. Bereits damals erkannte de Beauvoir, dass „die Zukunft (…) nur zu einer immer tiefgreifenderen Integration der Frau in die einst männliche Gesellschaft führen“ wird.
In dem vorliegenden Buch „Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht„, das zum Jubiläum der französischen Philosophin und Schriftstellerin herausgegeben wurde, arbeitet sich der Münchner Philosophieprofessor Hans-Martin Schönherr-Mann, Autor zahlreicher Buchveröffentlichungen zu philosophischen Themen und PhilosophInnen wie z.B. „Hannah Arendt“ und mehrfacher Publikationen zu Sartre (zuletzt „Sartre – Philosophie als Lebensform“), sehr philosophisch an Simone de Beauvoir und ihr Standardwerk heran.
Dabei bindet der Autor auch weitere Publikationen der berühmten Französin ein (u. a. „Eine gebrochene Frau„, „Die Mandarins von Paris„) oder vergleicht ihre Äußerungen mit denen anderer Soziologen, Philosophen (Sartre, Kant, Leo Strauss u. v. m.), Denker, Schriftsteller und Journalisten (z. Bsp. Hannah Arendt, Frank Schirrmacher). Ergänzt wird dieses intelligente Buch durch eine ausführliche Bibliografie weiterführender Literatur und ein Personenregister
Wie kann ein Mensch sich im Frau-Sein verwirklichen?
Dem Aspekt, inwiefern de Beauvoirs damalige fortschrittliche und kühne Gedanken auch in der heutigen Zeit noch Bestand haben, gleichwohl angesichts der neuen, traditionalistischen Debatten, eben auch eines solchen Machwerks wie dem Eva Hermans, widmet sich der Autor intensiv und tiefgreifend.
„Was heißt Frau sein?“
„Verwirklichen sich Frauen in der Liebe, in der Ehe, in der Familie, im Mann oder in der Emanzipation?“ und
„Was heißt Selbstverwirklichung?“
Diese komplexen Fragestellungen an den Text, die jeweils ein Kapitel einleiten und als Gerüst dienen, um in die nachfolgenden Antworten und Diskussionen besser „einzutauchen“, ermöglichen eine sachliche Auseinandersetzung des Lesers zur Diskussion und zur Rolle der Frau in Gesellschaft und Familie gestern wie heute.
So ist es für Schönherr-Mann geradezu ein Phänomen, dass die von Simone de Beauvoir vorausgesagte und letztendlich zum Teil erfolgte und immer weiter fortschreitende Integration der Frau in die Männergesellschaft zu derlei Anachronismus wie den neuerlichen Debatten der Traditionalisten führt. Und er geht noch einen Schritt weiter, wenn er bewusst provozierend fragt: „Scheitert die Emanzipation?“
Letztendlich können sich Frauen nur dann im „Frau-Sein“ verwirklichen, so Schönherr-Mann im Sinne de Beauvoirs, indem sie „Verantwortung für ihr eigenes Leben und damit auch für fremde Menschen übernehmen – nicht nur für ihre Kinder, somit ihren individuellen Blick über das Familiäre hinaus ins Öffentliche, Soziale oder Politische wenden.“
Fazit:
„Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht“ ist ein sehr philosophisches Werk und fordert zum konzentrierten Lesen, aber auch Entwickeln eigener Gedanken auf.
Ein anspruchsvolles Buch und eine gute Empfehlung, sich tiefer mit dieser klugen Frau zu beschäftigen, deren Gedankengut auch mehr als 20 Jahre nach ihrem Tod vielfach nichts an Aktualität verloren hat.
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.