Gerade eben schlagen die Wellen hoch bei meinem ortsansässigen Traditionsverein, der genau wie der „große Bruder“ aus der 1. Bundesliga in gelb-schwarz aufläuft. Jedenfalls legte die Mannschaft am Wochenende schon ihr zweites unterirdisch schlechtes Heimspiel in Folge hin, worauf man (wieder einmal) den Trainer beurlaubte. Das „Gepeppel“ auf dem Rasen glich eher einer Arbeitsverweigerung, worauf die Fans ihre ansonsten immer hochgejubelten Goldjungs gnadenlos auspfiffen. Und trotzdem…. Trotzdem steht zu diesem Verein und wird zum nächsten Heimspiel erneut vor den Toren des hübschen neuen Stadions stehen, geduldig am Einlass warten, um letztendlich erneut zu leiden und zu lieben. Ja Frau Porombka, ich kann Sie so gut verstehen….
Ja, auch ich bekenne mich zu diesen „verrückten Weibsbildern“, über die der ehemalige Präsident des 1. FC Köln und Weltmeisterteam-Kicker (1974) Wolfgang Overath bemerkte: „Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen als schreiende Fußballbräute auf der Tribüne.“ Da kam die Lektüre von wie „Der zwölfte Mann ist eine Frau“ gerade recht. Und: Ich habe mich vortrefflich unterhalten. Dabei nicht nur, weil ich mich so gut identifizieren konnte, sondern weil es Wiebke Porombka auch exzellent versteht, jede Abseitsfalle gekonnt zu umgehen und literarisch ein vorzügliches „Tiki-Taka“ aufs Papier zu bringen. Sie kehrt mit ihrem Buch keineswegs den großen Zampano heraus, sondern setzt auf gekonnte Dribblings, eine sichere Abwehr, ein gut organisiertes Mittelfeld und Stürmer, die eine treffsichere Wuchtel schießen. Nun beschreibt die Autorin zwar ihren Werdegang als treuer Werder Bremen-Fan, aber das tut dem ganzen Spiel keinen ungewollten Abbruch, da sich den Fanschal wohl oder übel jeder (weibliche) Fußballfan anziehen kann. Bei ihr muss man nicht befürchten, dass ihr großer Bruder erneut seine gefürchtete Blutgrätsche startet, wenn sie „mit süffisant gehobener Augenbraue das Spielgeschehen“ kommentiert, denn aus ihren Ausführungen spricht nicht nur Leidenschaft und Engagement, sondern vor allem Sachverstand und Kompetenz. Alles verpackt in einem dramatischen Schlussspiel mit Verlängerung.
„Was macht es mit dir, wenn du Fußball-Fan bist?“ Und wie „will man das komplett Irrationale dieser Wahrheit erklären?“, sind nur einige Fragen, die die Autorin zu beantworten trachtet. Sie fragt sich, warum Fußball Heimat ist, erklärt, warum es vor dem Spiel (fast) am schönsten ist oder man Fußball nur allein gucken sollte. Wiebke Porombka untersucht Abseits, Aufstellung und Konter, analysiert die verschiedenen Phasen einer Fußballfan-Karriere oder plaudert charmant über Wadenbeißer und Stiernacken. Sie erläutert das wohldurchdachte Ritual des Ankleidens vor einem Spieltag, begründet ihre Abneigung für den bayrischen Erfolgsverein und erkennt letztendlich, was uns Fußball über Männer lehrt. Letztendlich fragt sich nicht nur die Autorin, was es mit dem Geist einer Mannschaft auf sich hat, mit dem man Woche für Woche konfrontiert wird und für den man seine ganze Leidenschaft aufwendet. „Muss es dann nicht auch Einfluss auf deine Art zu Denken haben?“, konstatiert sie folgerichtig.
Letztendlich wird wohl doch etwas dran sein an ihrer Aussage: „Mit dem Fußball-Fan-Sein ist es ähnlich wie mit dem Kinderglauben, dass die Eltern immer da sein werden. Womöglich ist das eine sogar der Ersatz für das andere, der Fußball für die Eltern, denn man weiß doch ziemlich schnell, dass das mit den Eltern ein Trugschluss ist.“ Eines wird zumindest recht deutlich klar, dass Fußball gerade daher solch einen Reiz ausübt, weil dieses Spiel eine (sonderbare) Mixtur aus „Alles ist möglich“ und „der Einsicht in die Vergänglichkeit des Moments, das Wissen um die Chance, die sich kein zweites Mal eröffnet. Das Wissen um den entscheidenden Schritt zu spät, der alle Hoffnungen zunichtemacht.“ Dass sich die Autorin allerdings fragt, ob ihr Leben anders verlaufen wäre, wenn sie das Schicksal an eine andere Mannschaft gebunden hätte und ob sie dann erfolgreicher und zielstrebiger wäre bzw. einen geregelten Tagesablauf oder vielleicht sogar ein Bügeleisen hätte, darf vielleicht nicht ganz so ernst genommen werden. Einen eventuellen Zusammenhang konnte ich jedenfalls nicht erkennten. Aber ich habe ja auch ein Bügeleisen. Uns: Ich bin auch nicht Fan von Werder Bremen.
Fazit: Mit ihrem Buch hat Wiebke Porombka einen sauberen Pass geschlagen. Man ist fast geneigt, ihr die höchste Ehre zukommen zu lassen. Welche das ist? Na die Zuerkennung des Status eines „Fußballgottes“ natürlich!
Wiebke Porombka
Der zwölfte Mann ist eine Frau: Mein unerhörtes Leben als Fußball-Fan
Berlin Verlag (Mai 2013)
189 Seiten, Broschur
ISBN-10: 3827011361
ISBN-13: 978-3827011367
Preis: 14,99 EUR
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