Mit “Warten auf Godot” hat der irische Schriftsteller Samuel Beckett sein Meisterstück vorgelegt. Am 5. Januar 1953 wurde dieses vom Théâtre de Babylone in Paris uraufgeführt. Was bleibt von Samuel Beckett? Was können wir von “Warten auf Godot” heute noch lernen?
Unverständlichkeit wird Samuel Beckett von vielen Kritikern vorgeworfen; seine Stücke seien von Absurditäten durchtränkt, so dass es kaum gelänge, Sinnzusammenhänge, Sinnhaftigkeit, all dem zu entnehmen. Ein Blick in die Texte mag die Betroffenheit manches Lesers unterstreichen, der sich anschickt, hier lebensweltliche Kost – gleichsam vom Lehnsessel der Bequemlichkeit – als Häppchen zu erhalten. Ideen-Zapping für ein spießbürgerliches Denken, das sich auf den Status quo seiner heimatlichen Existenz verschränkt, um der Tristesse des Alltags schlagkräftig zu entgegnen, dafür steht Beckett eben nicht. Gerade in der Verweigerung, ein brauchbares und vor allem unhinterfragbar-bestehendes Lebenskonzept vorzulegen, darin zeigt sich der aus Irland stammende Denker als profunder Kenner des Absurden.
Es ist feingliedriger Nihilismus, wie übrigens bei Nietzsche auch, der Beckett in seinen Theaterstücken vorschwebt. Aus der Erfahrung des Nichts heraus begegnet dem Menschen eine Welt, die non-konformistisch ist. Das Geschäft des Lebens besteht eben darin, diesen Nihilismus zu ertragen, sich mit ihm auseinanderzusetzen. In dieser nichtigen Welterfahrung liegt der Gedanke an Selbsttötung nahe, denn was soll das Spiel mit der Zukunft, wenn sich Bestehendes nur wiederholt. Was von vielen Philosophen als Alternative zumindest angedacht wird, der Freitod, das lehnt Beckett als nichtige Lösung ab.
Die Blase vom Ideenhimmel, von einem transzendenten Ideenhimmel, von dessen Bestehen man Trost und Hoffnung speisen könnte, so Becketts Existentialismus und Surrealismus, ist geplatzt. Der einzige Trost, und dies erinnert an den skeptischen Sokrates und an Sextus Empiricus, bleibt das Verharren im Ungewussten, im Selbstzweifel und in der als nichtig erfahrbaren Wirklichkeit. Es gibt kein absolutes Telos als Trost der Philosophie mehr, wie noch Boethius meinte, sondern nur noch blanke Existenz, die mit einer Zukunft spielt, die sie überhaupt nicht mehr einholen kann.
Die Sprache Becketts in der er diese Absurdität verkündet, ist zweifellos ironisch, lädt sich mit Witz und bitterem Sarkasmus auf. Statt absoluter Tristesse herrscht zumindest das gegen das Nichts aufbegehrende Sprachspiel, das zwischen Todesgedanken und verzweifelter Hoffnung vermittelt.
Immer wieder wurde von der modernen Sekundärliteratur darauf hingewiesen, dass sich in Becketts Stücken nichts ereigne, dass sich das Unveränderliche als einzige Konstante erhalte. Tatsächlich sind „Warten auf Godot“ und das „Endspiel“, die den „Idealen“ des absoluten Theaters verpflichtet sind, rein statische Stücke, wo sich dem Zuschauer eine ewig wiederholende, ewig stagnierende Welt in Erscheinung bringt. Hierbei zeichnet sich tatsächlich ein Moment dessen aus, das man später als Postmoderne feiern wird, was in Derridas „Differance“-Schrift letztendlich kulminiert. Denn: Sinn zeigt sich nicht im Blick auf ein Intendiertes, sondern entzieht sich permanent. Es gibt nur noch Spuren von Sinn, die selbst wieder auf Spuren verweisen – Rhizome, so nannten es Gilles Deleuze und Felix Guatteri. Existiert also keine Sinnperspektive, so bleibt es das Erlebnis des Unmittelbaren allein, aus dem der Interpret Sinn erschließen muss. Anstelle eines vorbestimmten Interpretationshorizontes setzt sich das nunmehr als autonom erfahrende Individuum – in der Erfahrung des Nichts –, das seine Welt interpretieren soll, ohne darauf hoffen zu dürfen, dass es sich in dieser Welt auch nur vorübergehend einnisten darf. Vorläufigkeit und Langeweile als Schleife, dies sind die Kategorien des Ästhetischen in Becketts Werk.
Der Existentialismus von Jean Paul Sartre und von Albert Camus ist im Werk Becketts immer vernehmbar. Der Mythos des Sisyphus, das permanente Scheitern an einer Sinn aufgeladenen Welt führt aber auch bei Camus, ebenso wenig wie bei Beckett, in die endgültige Aporie, sondern wird zum Zeichen eines weltperspektivischen Denkens, das davon überzeugt ist, die absurde Wirklichkeit zumindest zu ertragen, die „glücklichen“ Tage zu „überwinden“. Überwindung meint aber hier nicht endgültigen Sinn zu finden, sondern nur, die empfundene Sinnlosigkeit anzunehmen.
Bei aller Wiederkehr des Gleichen wird in Becketts Stücken – über die Erfahrung der Negativität hinaus – für eine Transformation ins Positive geworben. Sisyphos nimmt sein Schicksal an und versteht dieses als sein lebensweltliches Glück; die Protagonisten in „Warten auf Godot“ begreifen ihren sinnlos verstellten Alltag als ein Hoffen auf Godot, möglicherweise auf Gott, der immer wieder angekündigt wird, sich der Ankunft aber immer verweigert, entzieht; bei aller Absurditätserfahrung spricht Beckett eben auch von „glücklichen Tagen“.
Ein Blick in die moderne Alltagswelt, in die Szene- und Diskokultur, bestätigt die von Beckett beschriebenen Phänomene. Hier rangiert das Nichts an erster Stelle, hier findet sich kaum Sinnhaftigkeit, sondern nur eine Flucht in das vorüber ziehende Veränderliche, der unmittelbare Genuss regiert. Statt Liebe grenzenloser Eros, statt Verantwortung grenzenlose Selbstsucht, statt Sinnsuche ewiges Vergessen, blind sprühende Energien, wie auch Bataille feststellte, der Verschwendung. Die selbstgenügsame Flucht in die Diskotheken, das scheinbare Ideal, hier „Erlösung“, adäquates Selbstsein, zu finden, wird zum einzigen Ziel pseudoreligiöser Sinnsuche; das Nichts dabei zum Religiösen verklärt. Die Enttäuschung bleibt groß, wenn sich das frenetisch Gepriesene letztendlich als Illusion erweist.
Was, so lässt sich nun fragen, bleibt von Beckett? Die Beschreibung einer Welt, in der die Negativität und das Absurde regieren, kann nicht geleugnet werden – die Präsenz von Sinnlosem ist zu offenkundig, die Langeweile des Daseins regiert und beschneidet jedem Enthusiasmus die Flügel. Mit dieser profunden Zeitanalyse hat Beckett, der diese Phänomene zu Eckpfeilern seines Theaters macht, recht, hier ist er genialer Psychologe. Allein bei diesem negativen Befund stehen zu bleiben, damit begnügt auch er sich nicht. Was bleibt ist eine Hoffnung, die nicht geschenkt, die immer über einen Verlust erkauft werden muss. Für Beckett entzieht sich zwar das große Gebäude metaphysischer Spekulationen, doch ein Blick in die heutige Lebenswelt zeigt auch ein dem Schein des alltäglichen Hinvegetierens Entgegengesetztes. Im Umfeld des Sinnlosen wächst der Glaube an das Sinnhafte, an die Stelle eines radikalen Werteverfalls und Nihilismus tritt zusehends das Religiöse, das sich zunehmend seine Gebiete erobert.
Es ist aber keineswegs das Religiöse im Zwangskorsett dogmatischer Kirchenlehren, das von der Jugend bejaht wird, auch wenn ein Blick auf den Petersplatz in Rom das Gegenteil belehrt, denn auch hier zeigt sich eine Generation vom religiösen Aufwind getragen, sondern eher ein zivilreligiöses Denken, das die Nischen individueller Sinnsuche ausfüllt und nachhaltig prägt. Der Bannkreis, in dem das Religiöse oder, wie Jaspers sagt, das „Umgreifende“ Stellung bezieht, hat Konjunktur, erlebt eine wahrhafte Renaissance.
Hoffnung bleibt das letzte Wort, sie zu verlieren, endete – auch für Beckett – in der absoluten Katastrophe. Man muss nur lernen, mit dem Absurden zu leben, es ertragen – eine zweifellos schwierige Last. Dies ist es, woran uns Beckett erinnert.