„Die #Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, heißt es in Art. 1, Absatz 1 Grundgesetz. Die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde (Selbstbestimmung) stellen den höchsten Rechtswert innerhalb unserer verfassungsmäßigen Ordnung dar.
Der Menschenwürdebegriff taucht erstmals bei Marcus Tullius #Cicero (106-43 v. Chr.), also bereits in der römischen Antike auf, wenngleich in einer noch wenig reflektierten Form. Er wird dann von der christlichen Tradition weiter getragen bis zum Ende des Mittelalters. In der Renaissance kommt insbesondere von dem italienischen Philosophen Giovanni #Pico della Mirandola (1463-1494) in seiner Rede „Über die Würde des Menschen“ ein ganz wesentlicher Beitrag und wird dann von dem deutschen Naturrechtsphilosophen, Historiker und Völkerrechtler Samuel von #Pufendorf (1632-1694) weiter expliziert, der als Begründer der Vernunftrechtslehre gilt. Sodann ist es kein Geringerer als Immanuel #Kant (1724-1804), der Würde erstmals explizit als Selbstgesetzgebung bzw. Selbstbestimmung herausarbeitet.
Der Menschenwürdebegriff ist einer der schwierigsten überhaupt. Daher dauerte es auch so lange, bis das, was ihm zu Grunde liegt, endlich freigelegt werden konnte und es bedurfte des vielleicht genialsten Geistes der letzten zweitausenddreihundert Jahre, der dies leistete. „Die Menschenwürde lässt sich einem Läufer vergleichen, der zwar als Letzter gestartet ist, dann aber alle anderen Läufer überholt hat“, schreibt der Rechts- und Sozialphilosoph Dietmar von der Pforden in seinem hervorragenden kleinen Büchlein mit dem Titel „Menschenwürde“. Und er fährt fort: „Zuletzt ins Bewusstsein getreten und im Recht verankert, hat sich die Menschenwürde mittlerweile vor alle Menschenrechte geschoben. Sie ist zum obersten Gebot der Moral sowie vieler Verfassungen und internationaler Vereinbarungen geworden.“
Der Menschenwürdebegriff ist ohne Zweifel einer der schwierigsten überhaupt und wird leider nur von wenigen wirklich erfasst. Zugleich wird er von neomarxistischen Neuen Linken gerne in etwas anderes transformiert, um nicht zu sagen marxistisch deformiert im Sinne von „ökonomische Würdebedingungen“. Das ist aber nicht das, was dieser Begriff eigentlich bedeutet und was im Grundgesetz und der Allgemeinen Menschenrechtserklärung formuliert ist, denn achten und schützen kann man nur etwas, was schon da ist, nicht etwas, was erst hergestellt werden soll, also nichts Existentes, sondern etwas Wünschenwertes ist.
Hier macht sich insbesondere der Mangel an philosophischer Bildung deutlich bemerkbar. Welche Kräfte Philosophie als Pflichtunterrichtsfach für alle Schüler und Studenten seit mehr als 70 Jahren verhindern, mag ein jeder für sich selbst überlegen. Fest steht, dass unsere Verfassung und gesamte Rechtsordnung sehr stark auf der Philosophie, insbesondere der Anthropologie und Moralphilosophie Immanuel Kants aufbaut, welche wiederum in der Tradition der Aufklärung steht, die wiederum in der Tradition der abendländischen, insbesondere der griechisch-römischen Geistesgeschichte steht, und dass es schwierig ist, unsere Verfassung zu verstehen, wenn man diese Philosophie überhaupt nicht kennt.
#Menschenwürde bedeutet also #Selbstbestimmung bzw. Selbstgesetzgebung. Was bedeutet das? Menschenwürde ist zunächst einmal kein Ideal, nicht etwas Wünschenswertes, was man herstellen sollte (Wünschenswertes kann man nicht achten und schützen), sondern etwas real Seiendes, etwas, das tatsächlich existiert, nämlich eine Eigenschaft des Menschen. Was für eine Eigenschaft kann das aber sein? Sicherlich keine körperliche, wie die Haarfarbe oder Körpergröße. Es ist vielmehr eine a) allgemeine Eigenschaft, also eine solche, die jedem Vernunftwesen zukommt, nicht nur Personen, die bestimmte Ämter begleiten. Es ist ferner b) eine im Kern unveränderliche, also nicht wegnehmbare Eigenschaft und zwar c) eine nicht körperliche, sondern eine innere Eigenschaft. Und diese allgemeine, konstante, innere Eigenschaft ist d) empirisch nachweisbar. Sie kann also verifiziert werden als eine existente Fähigkeit des Menschen.
Diese besondere Fähigkeit ist also kein Ideal, nichts Wünschenwertes, wie manche gerne meinen, sondern ein #Faktum, eine tatsächliche Eigenschaft des Menschen, für die es insofern auch keiner metaphysischen Spekulationen bedarf (Gottesebenbildlichkeit etc.), die vielmehr rein analytisch sauber freigelegt werden kann. Man muss einfach nur den Menschen in seinem Sein untersuchen, um festzustellen: Der Mensch hat diese Fähigkeit der Selbstbestimmung, über die kein anderes bekanntes Wesen verfügt. Was ist damit gemeint?
Der Mensch verfügt über die Fähigkeit (innere Eigenschaft), sich gegenüber den eigenen Belangen – Bedürfnisse, Wünsche, Absichten (Ziele) – noch einmal vernunft- und gefühlsmäßig verhalten zu können. Das heißt, der Mensch kann zu seinen eigenen Bedürfnissen (körperliche Basis, aber geistig beeinflussbar z.B. im Hinblick auf den Zeitpunkt der Befriedigung), Wünsche (primär geistige Komponente) und Absichten (rein geistige Eigenschaften) in #kritischeDistanz und #Reflexion treten und sie betrachten und #bewerten.
Genau darauf beruht die #Selbstachtung, wenn man es schafft, sich von Bedürfnissen, Wünschen und Absichten zu distanzieren, die man in sich vorfindet und in einer selbstkritischen Reflexion als negativ, als verachtenswert evaluiert hat, oder die Selbstverurteilung, wenn man das nicht schafft. Andere Lebewesen sind dazu nicht fähig. Selbst ein Eisbär, Delphin oder Bonobo kann sich selbst nicht bewerten, kann keine allgemeinen Prinzipien formulieren, an die sich jeder halten sollte, auch er selbst. Daher kann kein anderes bisher bekanntes Wesen sich selbst bewusst steuern, sich nicht selbst bestimmen, sich keine eigenen Gesetz geben, z.B. einen persönlichen Ehrenkodex. Tiere verfügen somit im Gegensatz zum Menschen nicht über eine #Subjektqualität, sie sind keine #Personen, keine moralischen Subjekte, die sich fragen können, was richtig und was falsch, was gut und was böse ist, was ehrenhaft und was verwerflich, was anständig und was schäbig ist.
Die Fähigkeit dazu, sich zu sich selbst in Bezug zu setzen, mithin eine Person zu sein, die über Subjektqualität verfügt, ist, wie gesagt, kein Ideal, sondern ein Faktum, eine tatsächlich vorhandene innere Eigenschaft des Menschen, die das Mensch-sein gerade erst ausmacht (Mensch = Tier + X, die Würde ist das X). Die Feststellung dieses Faktums X ist somit eine Deskription, eine Beschreibung der Wirklichkeit, ein zur Kenntnis-nehmen des Seins der Welt und der Natur des Menschen (Tier + X).
Genau darauf baut die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes auf. Wegweisend war hierbei der berühmte Aufsatz des Tübinger Staatsrechtlers Günter #Dürig, der in der Tradition Immmanuel Kants feststellte: „Jeder Mensch ist Mensch kraft seines #Geistes, der ihn abhebt von der unpersönlichen Natur und ihn aus eigener Entscheidung dazu befähigt, seiner selbst bewusst zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich und die Umwelt zu gestalten.“ (Das göttliche Moment in uns als Fähigkeit zur Selbsterschaffung über unser Reflexionsvermögen und die Fähigkeit zur kritischen, das heißt unterscheidenden Bewertung unserer selbst: Was ist gut so und was ist nicht gut so?)
Das #Bundesverfassungsgericht hielt dann in mehreren Urteilen zum Menschenrechtsbegriff folgendes fest:
>>Mit ihm ist der soziale #Wert– und #Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen.
Jeder besitzt sie (allgemeine, innere Eigenschaft des Menschen, JF), ohne Rücksicht auf seine (äußeren, JF) Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie ist auch dem eigen, der aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann. Selbst durch „unwürdiges“ Verhalten geht sie nicht verloren (im wesentlichen unveränderliche Eigenschaft, JFB). Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der #Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt.<<
Diese besondere innere Eigenschaft des Menschen, über sich selbst bestimmen zu können, sich über seine Triebe, Bedürfnisse, Wünsche und Absichten erheben und sie reflexiv und kritisch bewerten zu können, gebietet jedem anderen wiederum, diese Fähigkeit, die den Menschen zum Menschen macht, zu achten, ihn nicht zum Objekt, damit zum Tier zu degradieren, sprich zu entmenschlichen, auch nicht für eine vermeintlich gute Sache.
Und weiter stellt das #Bundesverfassungsgericht fest: >>Das menschliche Leben ist die vitale Basis der Menschenwürde als tragendem Konstitutionsprinzip und #oberstem #Verfassungswert. Jeder Mensch besitzt als Person diese Würde (allgemeine Eigenschaft, JF), ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seinen körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt.
Dem Staat ist es im Hinblick auf dieses Verhältnis von Lebensrecht und Menschenwürde einerseits untersagt, durch eigene Maßnahmen unter Verstoß gegen das Verbot der Missachtung der menschlichen Würde in das Grundrecht auf Leben einzugreifen. Andererseits ist er auch gehalten, jedes menschliche Leben zu schützen. (Darauf wird bei den Corona-Schutzmaßnahmen rekurriert, JF).
Diese #Schutzpflicht gebietet es dem Staat und seinen Organen, sich schützend und fördernd vor das Leben jedes Einzelnen zu stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen An- und Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren. Ihren Grund hat auch diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet.
Was diese Verpflichtung für das staatliche Handeln konkret bedeutet, lässt sich nicht ein für allemal abschließend bestimmen. Art. 1 Abs. 1 GG schützt den einzelnen Menschen nicht nur vor Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und ähnlichen Handlungen durch Dritte oder durch den Staat selbst. Ausgehend von der Vorstellung des Grundgesetzgebers, dass es zum Wesen des Menschen gehört, in #Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich frei zu entfalten, und dass der Einzelne verlangen kann, in der Gemeinschaft grundsätzlich als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt zu werden, schließt es die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde vielmehr generell aus, den Menschen zum bloßen #Objekt des Staates zu machen.
Schlechthin verboten ist damit jede Behandlung des Menschen durch die öffentliche Gewalt, die dessen #Subjektqualität, seinen Status als Rechtssubjekt, grundsätzlich in Frage stellt, indem sie die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen, kraft seines #Personseins, zukommt.<<