Der moderne Mensch gilt als relativ unabhängig, frei und wohlhabend. Er nagt nicht am Hungertuch, hat ein Dach über dem Kopf und ist im globalen wie auch historischen Vergleich nicht arm dran. Aber: Genau dieser Mensch ist zunehmend gestresst und sein Glücksfaktor auf einer absteigenden Kurve. Warum entwickeln wir inmitten steigenden Reichtums diesen Hang zur Unzufriedenheit? Weshalb dieser latente oder manifeste Stress? Wieso nehmen in den reichen Ländern der westliche Welt Angsterkrankungen, Depressionen, Stress und Burn-out stetig zu? Was ist los mit uns? Was fehlt uns denn im Überfluss? Der Wissenschaftsjournalist Bas Kast, selbst ausgebildeter Psychologe und Biologie, nimmt sich in seinem neuesten Buch diesem Paradoxon an. Unter Zuhilfenahme vieler empirischer Studien versucht er sich ein Bild zu machen, „wie wir ticken, was uns antreibt, was uns glücklich stimmt und, umgekehrt, zur Verzweiflung bringt.“ Eines kristallisiert sich sofort deutlich heraus: Das Problem des modernen Menschen „besteht weniger darin, dass man ihm vorschreibt, wofür er sich entscheiden und was er mit seinem Leben tun soll, sondern eher darin, dass er nicht immer genau weiß, was er wollen soll.“ Denn, so der Autor, „vielleicht sind wir ja nicht unzufrieden obwohl, sondern weil wir so viele Möglichkeiten haben.“
In drei Kapitel hat er sein Werk gegliedert und plaudert in munterer, anschaulicher Weise, gewürzt mit einer Vielzahl anschaulicher Grafiken, über unsere „Grundübel“.
Problem Nr. 1: Unsere Überflussgesellschaft leidet offensichtlich an einem Zuviel an Freiheit. Der Schweizer Volkswirtschaftler Mathias Binswanger formuliert die Krux so: „Je mehr Optionen zu Verfügung stehen und je besser und attraktiver diese sind, auf umso mehr muss man verzichten, wenn man sich für eine bestimmte Option entscheidet.“ Absurderweise fühlt sich ein derart überforderter Mensch, obwohl er immer mehr hat, immer ärmer.
Problem Nr. 2: Wohlstand hat, so schön er ist, auch seine Schattenseiten. Geld macht nicht zwangsläufig glücklich, sondern im wahrsten Sinne des Wortes arm: arm an zwischenmenschlichen Beziehungen bis hin zu sozialer Vereinsamung. Der Mensch erfährt durch die Marktförmigkeit unserer Gesellschaft eine psychische Unter- oder Fehlernährung. Geld oder Wohlstand lockern das Band einer Gemeinschaft nach und nach auf und erzeugen eine Gruppe von Einzelkämpfern.
Problem Nr. 3 befasst sich mit der Frage wie die Unruhe in unser Leben trat. Bereits Goethe spürte im Zeitalter der beginnenden Industrialisierung diese Lebensbeschleunigung und beschimpfte sie als „veloziferisch“, womit er in einem Wort die Schnelligkeit (lateinisch: velocitas) mit dem Teufel (Luzifer) kurzschloss. Ein mediales und freizeitgestalterisches Überangebot sowie die allerorts vorhandene Möglichkeit der Vernetzung erzeugt eine niemals ruhende Dynamik in uns.
Fazit: Wir haben die chronische Knappheit durch ein chronisches Zuviel ersetzt, womit die „Chronik der Natur aus den Fugen geraten ist“, so der Autor. Unser Bruttoglücksprodukt ist im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gesunken. Bast Kast legt vielfältige Beispiele dar und versucht sich in Lösungsansätzen, die – eigentlich allgemein bekannt – letztendlich immer auf ein „Weniger ist manchmal mehr“ hinauslaufen. Vielleicht sollten wir in einer ruhigen Minute… Stunde… über die Privilegien, die wir genießen nachdenken, eingeschlossen das Privileg, sich den einen oder anderen selbstgewählten Verzicht überhaupt leisten zu können. Denn sie stellen etwas äußerst Knappes dar, „was uns ihre Kostbarkeit einmal mehr ins Bewusstsein rücken sollte.“
Bas Kast
Ich weiß nicht, was ich wollen soll.
Warum wir uns so schwer entscheiden können und wo das Glück zu finden ist
S. FischerVerlag, Frankfurt am Main (April 2012)
285 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3100383036
ISBN-13: 978-3100383037
Preis: 18,99 EURO
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