Warum Offenbarungen den religiösen Glauben nicht begründen können

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Dazu Franz von #Kutschera (Jg. 1932), einer der frühen Vertreter der #analytischen #Philosophie im deutschen Sprachraum und einer der vielleicht scharfsinnigsten Denker unserer Zeit, der wohl selbst Christ ist, was ihn aber nicht davon abhält, das Problem der Religion analytisch messerscharf zu untersuchen.

>>… Zentrale Glaubensinhalte sind in der christlichen #Theologie immer als #Offenbarungen angesehen worden, andere, wie die Existenz Gottes, hingegen als rational begründbar. Im Blick auf das Scheitern der Gottesbeweise liegt es also für die Theologie nahe, alle Glaubensinhalte als Offenbarungen und damit als rationaler Begründung nicht bedürftig zu erklären. Es gibt verschiedene Offenbarungsbegriffe, generell läßt sich aber sagen: Offenbarungen beziehen sich ihrem Inhalt nach auf eine göttliche Wirklichkeit, die mehr oder minder epistemologisch transzendent ist. Die Bezeichnung von Aussagen und Texten als Offenbarungen besagt, daß sie nicht nur Hypothesen oder Spekulationen darstellen, nicht nur menschliche Ansichten und Meinungen über das Göttliche, sondern Selbstbekundungen des Göttlichen. Da alle Spekulationen über das Göttliche wegen seiner epistemologischen Transzendenz unsicher und fragwürdig sind, geben uns allein Offenbarungen zuverlässige Kenntnis vom Göttlichen. Nur sie können dem Glauben jene Sicherheit geben, die wir brauchen, wenn wir unser Leben an ihm orientieren wollen.

Die Annahme einer Offenbarung geschieht also nicht aufgrund eigener Einsicht, daß das, was sie beinhaltet, wahr ist, sondern im Vertrauen gegenüber dem sich offenbarenden Göttlichen, im gläubigen Vernehmen und Annehmen dessen, was es bekundet. In diesem generellen Sinn sind alle Religionen Offenbarungsreligionen: Sie alle verstehen ihre zentralen Aussagen nicht als menschliche Spekulationen, sondern als in irgendeiner Form durch #göttliche #Autorität verbürgt. Den prägnanten Sinn einer Mitteilung erhält Offenbarung nur dann, wenn das Göttliche in Gestalt eines oder mehrerer personaler Götter verstanden wird. Da wir uns hier auf das Beispiel des christlichen Glaubens beschränken, verstehen wir Offenbarung im folgenden als Handeln Gottes.

Judentum und Christentum sind #Schriftreligionen. Sie haben einen Kanon heiliger Schriften, denen sie Offenbarungscharakter zuschreiben. Traditionell wurde dieser Charakter im Sinne der #Inspirationstheorie verstanden. Die Aussage, ein Text sei inspiriert, besagt, daß der Hagiograph durch göttliche Eingebung genau das geschrieben hat, was Gott wollte. Eine #Verbalinspiration schließt auch den Wortlaut ein, in der heutigen Theologie wird aber nur der wörtliche Sinn als inspiriert angesehen — man spricht dann von „#Realinspiration“ —, die sprachliche Formulierung kann vom Sprachgebrauch der Zeit abhängen wie von Bildung und Persönlichkeit des Schreibers; der Inhalt ist hingegen Offenbarung Gottes.

Ziel der Inspirationslehre ist es, die heiligen Schriften als feste, untrügliche Basis für den Glauben auszuzeichnen, die als Wort Gottes allen Auslegungen, Unterscheidungen von Richtig und Falsch, von Wichtig und Unwichtig entzogen ist, mit denen die Fragwürdigkeiten menschlicher Ansichten über Gott auf einem Umweg wieder ins Spiel kämen. Dazu muß der Urtext eindeutig feststellbar sein — man muß also annehmen, daß Gott auch für die Korrektheit der Textüberlieferung gesorgt hat — und er muß einen eindeutigen wörtlichen Sinn haben, der sich aus dem Sprachgebrauch der Zeit zweifelsfrei ermitteln läßt. Um eine subjektive Auswahl auszuschließen, muß endlich grundsätzlich der gesamte Inhalt der Schriften oder jedenfalls ein nach eindeutigen Kritierien abgrenzbarer Teil als inspiriert angesehen werden.

Die Überzeugung von der Inspiriertheit des AT findet sich im christlichen Raum schon in 2 Tim 3,16 und 2 Petr 1,21. Sie schließt an ähnliche Überzeugungen des Judentums an und wurde später auch auf die nt Schriften übertragen. Während in der katholischen Kirche bis zur Enzyklika Spiritus Paraclitus (1920) die gesamte heilige Schrift als inspiriert angesehen wurde, auch die profanen und historischen Texte, werden seit der Enzyklika Divino afflante Spiritu (1943) und insbesondere seit dem 2. Vatikanischen Konzil nur die religiösen Aussagen der Schrift für inspiriert erklärt. Damit wurde aber die Inspirationstheorie grundsätzlich infrage gestellt: Offenbarung ist ein Handeln Gottes in der Geschichte, Aussagen über Offenbarungen haben also immer #historische #Komponenten. Werden die problematisiert, so auch die religiösen Komponenten. Wie soll eine Aussage über den religiösen Sinn eines Ereignisses richtig sein, das so gar nicht stattgefunden hat?

Der Inspirationstheorie entspricht ein Begriff von Offenbarung, nach dem diese ein Handeln Gottes ist, durch das er einen Menschen in irgendeiner Form (z. B. der Rede, der Vision, der Audition oder eines Traumes) mitteilt, daß das und das der Fall ist. Diese Information gibt dann der Empfänger der Offenbarung anderen in Wort oder Schrift weiter und bezeugt sie als von Gott geoffenbart. Wir wollen Offenbarung in diesem Sinn als „#Tatsachenoffenbarung“ bezeichnen. Das in unserem Zusammenhang #zentrale #Problem solcher Offenbarung ist nun nicht, ob es sie gibt, sondern ob sie Glaubensannahmen begründen kann. Dabei stellt sich folgendes Problem:

#Verschiedene #Religionen und Konfessionen erklären sehr unterschiedliche Texte oder Überlieferungen als Offenbarungen, und auch im AT und NT wird zwischen echten und #falschen #Propheten unterschieden sowie zwischen inspirierten, kanonischen und nichtinspirierten, nichtkanonischen Schriften. Man kann also nicht alles als Offenbarung akzeptieren, was irgendwer als solche bezeichnet, sondern muß jeweils prüfen, ob etwas, das als Offenbarung bezeichnet wird, auch wirklich eine Offenbarung ist. (Also selbst wenn wir annehmen wollen, dass es genau einen Gott gäbe und dieser sich bisweilen Menschen offenbare würde, woher sollte man, wenn es das wirklich gäbe, wissen, ob jemand, der behauptet, Gott habe sich ihm geoffenbart, wirklich die Wahrheit spricht?, jf)

Nun kann man nicht wieder sagen, es sei offenbart, daß etwas eine Offenbarung ist (genau das passiert nach meiner Beobachtung im Koran ständig, jf), weil man sonst in einen #Zirkel oder einen unendlichen Regreß gerät. Ein Zirkel ergibt sich, wenn man mit dem Inhalt einer Offenbarung begründen will, daß der Akt seiner Vermittlung ein Offenbarungsakt ist. Den Inhalt als rational nicht begründbare Proposition erkennen wir ja erst aufgrund der Überzeugung als wahr an, daß er durch einen Offenbarungsakt vermittelt ist. Der Offenbarungsakt beglaubigt den Inhalt — wir glauben das, was uns gesagt wird, weil es Gott ist, der es gesagt hat —, nicht umgekehrt. Es kommt also zunächst darauf an, festzustellen, ob ein Offenbarungsakt vorliegt. Da wir uns dabei noch nicht auf geoffenbarte Wahrheiten stützen können, können wir das nur nach Vernunftskriterien überprüfen. Vernunftsgründe für die Annahme von Offenbarungsakten sind nun aber zugleich Vernunftsgründe für die Existenz des offenbarenden Gottes, und wir haben in 1.2 gesehen, daß sich die Existenz Gottes rational nicht begründen läßt.

Rationale Kriterien dafür, ob bestimmte Aussagen geoffenbart sind, müssen sich ferner vorwiegend auf deren Inhalt beziehen, da für uns der Vorgang der Offenbarung in der Regel nicht mehr greifbar ist. Welchen Charakter etwa die Inspirationen der at Propheten hatten und wie sie offenbarende Visionen, Auditionen oder Träume von nichtoffenbarenden unterschieden, ist nicht bekannt. (Das Gleiche gilt für Mohammed. jf) Wenn sich aber die Kriterien für das Vorliegen eines Offenbarungsaktes auf dessen Inhalt und seine Plausibilität beziehen, erscheint Offenbarung als überflüssig: Nur solche Offenbarungen werden dann anerkannt, die uns etwas sagen, was ohnehin rational hinreichend wahrscheinlich ist. Wird Offenbarung hingegen als überrationales Fundament des Glaubens angesehen, entziehen sich also ihre Inhalte rationaler Überprüfung, so sind auch keine Gründe für die Annahme oder Ablehnung von Aussagen in Sicht, die irgend jemand als Offenbarung erklärt.

Wir kommen so zu einem Dilemma, das sich auf den kurzen Nenner bringen läßt: Offenbarung ist #überflüssig oder ihre Annahme ist #willkürlich; so oder so kann sie kein Fundament des Glaubens sein.

Der Glaube an Offenbarung wird meist so charakterisiert, daß man glaubt, was Gott sagt, weil man ihm #vertraut. Abgesehen davon, daß hier der Glauben an Gott bereits vorausgesetzt wird, ist klar, daß wir dem guten, also wahrhaftigen, und allwissenden Gott des christlichen Glaubens vertrauen können. Unklar ist aber, ob etwas eine Offenbarung Gottes ist. J. #Locke sagt dazu

„Whatever God has revealed is certainly true; no doubt can be made of it. This is the proper object of faith: but whether it be a divine revelation or not, reason must judge; which can never permit the mind to reject a greater evidence or to embrace what is less evident. … And therefore nothing that is contrary to, and inconsistent with the clear and selfevident dictates of reason, has a right to be urged or assented to, as a matter of faith, wherein reason has nothing to do“.

(„Was immer Gott geoffenbart hat, ist gewiss wahr; daran kann kein Zweifel bestehen. Das ist der eigentliche Gegenstand des Glaubens. Ob es sich aber um eine göttliche Offenbarung handelt oder nicht, muss die Vernunft beurteilen, die es dem Verstand niemals erlauben kann, einen größeren Beweis zu verwerfen oder etwas weniger Offensichtliches anzunehmen. … Und deshalb hat nichts, was im Widerspruch zu den klaren und selbstverständlichen Geboten der Vernunft steht, ein Recht darauf, als Glaubenssache angeführt oder bejaht zu werden, wobei die Vernunft nichts zu tun hat.“)

Das Problem, daß ein Glaube an Offenbarung den Glauben an den sich offenbarenden Gott voraussetzt, tritt in der scholastischen wie der traditionellen katholischen Theologie nicht auf, weil man nach deren Meinung die Existenz Gottes auf rein rationalem Weg beweisen kann. Wir haben jedoch gesehen, daß diese Ansicht nicht haltbar ist. Setzt man den Glauben an Gott voraus und erkennt auch schon gewisse Offenbarungen an, so kann man sich natürlich auf deren Inhalte stützen um den Offenbarungscharakter anderer Vorgänge zu beurteilen. So wird z. B. in der jüdischen wie christlichen Theologie die Frage, ob ein Text zur Offenbarung zu zählen ist, vor allem nach der Verträglichkeit seines Inhalts mit dem bereits anerkannter Offenbarungen beurteilt. Innerhalb einer Religion, die sich schon auf Offenbarung stützt, stellt sich das Dilemma also nicht. Es ergibt sich aber dann, wenn man fragt, ob die ersten Offenbarungen, auf die sie sich stützt, tatsächlich Offenbarungen sind.

(Aus genau diesem Umstand dürfte die extrem Rigidität der islamischen Ideologie in Bezug auf ihren Offenbarungstext, dem Koran, beruhen. Dessen Offenbarungscharakter, seine Verbalinspiration darf in keiner Hinsicht auch nur ansatzweise in Frage gestellt oder kritisch untersucht werden, weil man weiß, dass ansonsten das gesamte Konstrukt sehr schnell einem wahren Beben ausgesetzt wird, unter dem alles zusammenbrechen könnte. jf)

Auch für den direkten Offenbarungsempfänger ergibt es sich nicht: Für ihn ist Offenbarung eine unmittelbar gewisse Erfahrung einer Mitteilung Gottes. Für die Hörer ist seine Verkündigung der empfangenen Offenbarung zunächst aber nicht Wort Gottes, sondern Wort eines Menschen, der sich auf Gott beruft, und damit setzt für sie das #Dilemma ein. Sie müssen sich fragen, ob er im Gegensatz zu anderen, die sich ebenfalls auf Gott berufen, die Wahrheit spricht und ob er sich bei der Deutung seines Erlebens als Mitteilung Gottes nicht geirrt hat.

Quelle: Jürgen Fritz

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