Das Haus Windsor hat die königliche Hochzeit zwischen Harry und Meghan erfolgreich als Bühne für Krisen-PR in Zeiten weltweiten Zweifels an hergebrachten Ordnungen genutzt…
London / Hamburg (waw) – Darf man als eingefleischter Republikaner eine königliche Hochzeit gut finden? Ich finde: ja. Man kann sicherlich über die medial zelebrierte Vermählung von Prinz Harry und Meghan Markle spötteln. Dennoch ist zu konzedieren, dass die britische Monarchie mit der Zeremonie am Pfingstwochenende eine weltweite Botschaft ausgesendet: Wir haben verstanden und sind bereit, unsere Traditionen der Neuzeit anzupassen.
Die jüngste eheliche Verbindung im Hause Windsor ist aus Sicht vieler Briten das Beste gewesen, was dem Vereinigten Königreich passieren konnte. Denn das Land von Queen Elizabeth II. durchläuft derzeit eine der schwierigsten politischen Lagen seit Jahrzehnten. Die immer deutlicheren Folgen des Brexits drücken auf die Stimmung, die Menschen sehnen sich nach guten Nachrichten.
War die Traumhochzeit im Schloss von Windsor also nur Opium fürs Volk? So leicht kann man es sich nicht machen. Bei allem Pomp und Gloria: im wehenden Brautschleier der neuen Herzogin von Sussex verfingen sich nicht nur millionenfach britische Träume vom Fortdauern einer in guten Zeiten weltumspannend mächtigen Nation, sondern zugleich einige Flugsamen mit dem zarten Keim für ein neues Zeitalter der Monarchie in Großbritannien.
So traditionell – Gehässige sagen: gestrig – die Bilder von der Ehezeremonie und von der öffentlichen Kutschfahrt des Paares für Viele auch gewirkt haben mögen, die Schau der bestorganisierten Monarchiemaschinerie der Welt war voller Botschaften. Noch zwar hat dort die eiserne „Firmen“-Chefin Elizabeth II. (92) das Zepter in der Hand. Aber das Event zu Pfingsten 2018 hat eine Ahnung davon gebracht, wie das Selbstverständnis der jungen Windsors aussehen wird.
Schwarze Kultur überstrahlte das königliche Event auf Schloss Windsor so stark, dass daraus fast 185 Jahre nach Verbot der britischen Sklaverei endlich eine Anerkennung der Multiethnizität Großbritanniens abgelesen werden kann. Die Verbindung zwischen Prinz Harry und Meghan Markle, dem Kind eines Amerikaners mit irisch-niederländischen Wurzeln und einer afroamerikanischen Mutter, hat mehr bewirkt, als vor Kurzem denkbar war.
Ich mache das an drei Punkten fest:
1. Die Predigt:
So hat man einen Geistlichen in der St.-George’s-Kapelle noch nie appellieren hören! Bischof Michael Bruce Curry (65), farbiges Oberhaupt der US-Episkopalkirche, rockte seinen Sermon extrem emotional im Stil amerikanischer Schwarzenprediger. Mit seiner variationsreichen Bandbreite von Stimm- und Körpereinsatz sorgte er in der feinen Hochzeitsgesellschaft für Amüsement, Verwunderung oder Verlegenheit, wie die TV-Kameras erbarmungslos live enthüllten. Im weltweiten Netz dagegen – Begeisterung!
Auch die Queen blickte verkniffen drein, als Curry (mit Tablet als Predigtvorlage) dem spröden und formalen Primas der Kirche von England, Justin Welby, komplett die Show stahl. Mit seiner Predigt verpasste er den anwesenden Royals, Popstars, Sportcracks, Konzernchefs und anderen gesellschaftlichen Größen einen behutsamen aber deutlichen Punch.
Die Botschaft: ein feuriger Aufruf gegen Rassismus, Ausbeutung und Korruption verpackt in das Bild von bedingungsloser Nächstenliebe!
2. Die Zitate:
Im 50. Jahr von dessen Ermordung ließ Curry den US-Baptistenpastor und Bürgerrechtler Martin Luther King zu Wort kommen – und sonst keinen. Der Wortgewaltige bezog sich auf Kings 1957er-Predigt „Die erlösende Kraft der Liebe“ (The Redemptive Power of Love). Politisch gemeint beschwor Curry seine Zuhörer: „Stellt Euch Regierungen und Nationen vor, in denen Liebe die Regel ist, stellt Euch Handel und Geschäftswelt vor, wo Liebe herrscht – dann wäre die Welt ein Heiligtum…“
Die Botschaft: Mehr als bloß ein Sermon – ein leidenschaftlicher Appell, den friedlichen Kampf für Verbesserungen in der Welt niemals aufzugeben!
„Imagine our homes and families when this way of love is the way.
Imagine our neighborhoods and communities when love is the way.
Imagine our governments and countries when love is the way.
Imagine business and commerce when this love is the way.
Imagine our world when love is the way.
No child would go to bed hungry in such a world as that
Poverty would become history in such a world as that.
The earth would be as a sanctuary in such a world as that.”
3. Die Musik:
„Für mich fühlte es sich wie ein geschichtsträchtiger Moment an,“ schwärmte eine der 20 Gospelsängerinnen aus dem „Kingdom Choir“ über ihren herausragenden Auftritt mit „Stand by me“ (Steh‘ zu mir). Der markante Rhythm-&-Blues-Song von Ben E. King und dem Autorenteam Leiber/Stoller aus dem Jahr 1961 gehört laut Musikmagazin Rolling Stone zu den 500 besten Songs aller Zeiten. Musik afroamerikanischer Gemeinden bei einem anglikanischen Hochzeremonie – bislang eher undenkbar. Konsequent war daher der Auftritt des erst 19jährigen Wunder-Cellisten Sheku Kanneh-Mason, der 2016 als erster Farbiger den prestigeträchtigen Preis „BBC Young Musician of the Year“ gewonnen hat.
Die Botschaft: Ja, wir haben verstanden – Kultur mit afrikanischen Wuzeln gehört zum Einwanderungsland Großbritannien!
Fazit: ein schwarzer Prediger aus den USA in einem englischen Anglikaner-Gottesdienst, ein ermordeter schwarzer Bürgerrechtler im Zitat als Ansporn für Verbesserungen in der Welt und schwarze Musiker als Gestalter des kulturellen Rahmens – mit diesem Mix hat das Haus Windsor alte Traditionen mit modernen Anforderungen verschmolzen und die Hochzeit des Prinzen Harry mit der bürgerlichen US-Amerikanerin Meghan Markle für eine positive moderne Botschaft genutzt. Gelungene Krisen-PR in Zeiten weltweiten Zweifels an hergebrachten Ordnungen…
Ich gebe zu: als überzeugter Republikaner und Nichtgläubiger bin ich durchaus beeindruckt gewesen von der royalen Kirchen-Show. Ganz profan stimme ich meiner Kollegin, der Londoner ARD-Korrespondentin Julie Kurz, zu, die das Geschehene bei Instagram wie folgt zusammenfasst: “enjoyed every moment covering this marriage. what a modern royal couple, what a beautiful and powerful service. best anti racism campaign!!! and perfect ad for the house of windsor !!!”