Wandel und Experiment in der Oper: Ein Wochenende mit „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ und einem Symposion zum 100. Geburtstag von Wieland Wagner in der Deutschen Oper Berlin

Ort: Deutsche Oper Berlin. Titel: Lohengrin. Autor: Richard Wagner. Musikal. Leitung: Donald Runnicles. Insz.: Kasper Holten. Buehne & Kostueme: Steffen Aarfing. Premiere: 15.04.12 Darst.: Albert Dohmen (Heinrich der Vogler), Klaus Florian Vogt (Lohengrin), Ricarda Merbeth (Elsa von Brabant), Gordon Hawkins (Friedrich von Telramund), Petra Lang (Ortrud), Bastian Everink (der Heerrufer des Koenigs). Copyright: Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

Eng ist die Deutsche Oper Berlin seit ihrer Gründung 1912 mit dem Namen Wagner verbunden. Erbaut, um den Werken Richard Wagners in Berlin eine adäquate Aufführungsstätte zu verschaffen, wurde das Haus an der Bismarckstraße ein halbes Jahrhundert später zu einer wichtigen Wirkungsstätte seines Enkels. Neben seinen Bayreuther Arbeiten begründen nicht zuletzt die Inszenierungen, die Wieland Wagner in der Deutschen Oper Berlin zeigte, seine Stellung als maßgeblicher deutscher Opernregisseur der sechziger Jahre. Hier inszenierte er ab 1959 in dichter Folge „Tristan und Isolde“, „Lohengrin“ und „Die Meistersinger von Nürnberg“.

Diese Wagnertradition war der Anlass für ein Symposion, das in Gesprächen und Vorträgen sowohl die Persönlichkeit Wieland Wagners als auch die wesentlichen Elemente seines Inszenierungsstils sowie dessen Nachwirkungen thematisierte.

Nicht nur Nike Wagner, die Urenkelin von Richard Wagner und Tochter von Wieland, war als prominenter Gast und Gesprächspartnerin am 10. und 11. November gekommen, sondern auch Anja Silja, die Sängerin und ehemalige Geliebte Wielands.

Als Ikone des neuen Bayreuther Stils und als Ahnherr des Regietheaters nach seinem frühen Tod 1966 verehrt, wurde er zu seinen Lebzeiten und noch später auch als ehemaliger Hitler-Günstling demontiert. Nike Wagner findet es erstaunlich, „dass sich einer trotz der frühen Bevormundungen, trotz der fatalen ideologischen und politischen Konstellationen …. überhaupt künstlerisch entwickeln konnte.“ Im Zentrum des Wagner- Kults ein Wunder, entsorgte er doch den letzten Rest von Volkstümlichkeit und Germanisierung des Dritten Reiches mit Respektlosigkeit. Der Neu-Bayreuther Stil war eine bühnenästhetische Tabula rasa, in der der nahezu leere Raum, dominiert von nur einer Scheibe, aus Farbe, Licht und Projektion entstand.

Nach jahrelanger und hartnäckiger Forschungsarbeit ist es Ingrid Kapsamer, einer jungen Wiener Theaterwissenschaftlerin trotz schwieriger Quellenlage gelungen, in einem Buch eine fundierte Analyse der szenischen Moderne Wieland Wagners zu erstellen und zahlreiche Klischees zu widerlegen. In ihrem anspruchsvollen Vortrag in Berlin über das „Kultische Theater“ am Beispiel der Berliner Inszenierungen fehlten leider die im Buch so zahlreich vorhandenen Bilder, die danach der ehemalige Vorsitzende des Internationalen Richard-Wagner Verbandes Josef Lienhart aus eigenen Beständen nachreichte. Mit klugen Kommentaren und einem phänomenalen Namensgedächtnis begeisterte der über 80-jährige seine Zuhörer. Man sah Hans Hotter als Wotan beim Feuerzauber mit antikisierender Geste, den Gralstempel vom „Parsifal“ aus immateriellen Lichtsäulen und die Gralsritter im Glutlicht des Grals. Man sah das A-Dur-Blau aus „Lohengrin“ und im Hintergrund die blaue Madonna von Chartres, die Maske der Venus im „Tannhäuser“ im assyrischen Stil und Isolde in archetypischer Haltung und Verzückung am Ende der Oper. Auf der Suche nach immer neuen Bildern ließ sich Wieland Wagner, der ursprünglich Maler werden wollte, immer wieder von der Kunstgeschichte inspirieren, in seiner späteren Phase („Tristan“ 1962) auch von Henry Moore. Im zweiten Ring von 1965 gleicht der Hort im „Rheingold“ einer archaischen Frauenfigur und dient der Visualisierung der Gefühle.

Stephan Mösch, Professor an der Hochschule für Musik in Karlsruhe, spricht vom „Mix“ des Neu-Bayreuther Stils und verweist auf die verschiedenen Wurzeln in Kunst- und Theatergeschichte. Am Beispiel der beiden unterschiedlichen „Meistersinger“-Inszenierungen von 1956 und 1963 und nach exakten Studien der Regiebücher des Bayreuther Assistenten Hans Peter Lehmann analysiert er „Wieland Wagners Wandlungen in Bayreuth“. Wieland Wagner habe sich immer wieder „gehäutet“, habe von der „Neubestimmung der Erinnerung profitiert“, zum Beispiel von seiner Lektüre in den Nachkriegsjahren, der von Adolphe Appia und Edward Gordon Craig. „Was in der Partitur die Musik, das ist im Reiche der Darstellung das Licht“, bestimmte Appia, der sich am Ende des 19. Jahrhunderts am weitesten in seiner Bühnenreform vorgewagt hatte. Auch erinnerte sich Wieland Wagner an das neuartige Bühnenbild in der expressionistischen Phase der 20-ger Jahre und vielleicht an die Thesen von Ernst Bloch, dem die allzu große Behaglichkeit beim Hören von Wagners Musik missfiel. Er erinnerte sich sicher auch an neue Ansätze in den Inszenierungen seines Vaters Siegfried oder seine eigenen Anfänge als Bühnenbildner und Regisseur 1943/44 am Landestheater in Altenburg an der Seite seines Lehreres Kurt Overhoff, wo er aus Sparsamkeitsgründen mit einem Einheitsbühnenbild auskam. Wieland Wagner hatte vor 1951 in Nußdorf am Bodensee C.G. Jung gelesen, in dessen Psychologie des kollektiven Unbewussten die Archetypen eine zentrale Rolle spielen.

In der zweiten Phase in den sechziger Jahren war die oft bemängelte Statuarik der Personenregie verschwunden. In den Bühnenraum wurden Zeichen und Symbole eingepflanzt, wie überhaupt die Tendenz zu skulputralem Charakter unterstrichen wurde. Die Bühne füllte sich und ohne Butzenscheiben-Romantik entstand in den „Meistersingern“ von 1963 ein beinahe „surrealer Stilmix“ mit gotischen Elementen. Im Vergleich zum vorangegangenen leeren Lichtraum entstanden jetzt   räumliche „Seelenmodelle“ wie im Bayreuther „Tristan“ von 1963. Die Besetzungen wurden unkonventioneller (die blutjunge Anja Silja als Senta!) und der Wagner-Klang im Orchestergraben von einer neuen Dirigentengeneration „entfettet“. Wagner habe die Schwabinger Krawalle mitgedacht, als er die Lehrbuben in den Meistersingern zu unverschämtem Gebaren anstiftete, meinte Stephan Mösch.

Wie war der Mensch Wieland Wagner? Zwei sehr unterschiedliche Frauentypen, beide etwa gleichaltrig, die eine Tochter, die andere ehemalige Geliebte, waren sich einig, hielten ihn für introvertiert und schwierig. Nach außen kommentarlos, in Proben sehr beredt, als Vormacher ungeeignet und als „Macher“ in der „Werkstatt Bayreuth“ unermüdlich. Er litt wie Nike Wagner erzählte unter der „Familienfalle“, durch die er an seinen Bruder Wolfgang gekettet war, und weshalb er wahrscheinlich 1960 gerne Intendant der Deutschen Oper in Berlin geworden wäre.

Wieland Wagners Umgang mit dem Werk Richard Wagners war revolutionär und visionär und entfachte den bis heute nicht verstummten Diskurs über die „Werktreue“. Vom Sog der Ära Neu-Bayreuth wurde die gesamte Opernwelt erfasst, dagegen blieben zahlreiche Kritiker ablehnend. Werktreue, ist dieses Thema angesichts des radikalisierten Regietheaters unserer Tage nicht obsolet? Wie sind in diesem Zusammenhang die am Wochenende gezeigten Inszenierungen des „Tannhäuser“ von Kirsten Harms (2008) und Kasper Holtens „Lohengrin“ (2012) zu sehen? Am weitesten vom Werk entfernt sich der Däne Kasper Holten, der der Romantisierung des Krieges im Lohengrin die grausame Realität des Schlachtfeldes entgegenhält. Das Vorspiel hört sich für ihn wie ein Requiem an, und so sieht der Opernbesucher bei den schönsten Flageolett-Klängen der Geigen die von Kriegsleichen bedeckte Berliner Bühne, zwischen denen die Witwen suchend umherirren. Lohengrin ist für Holten ein dubioser Held, der im Namen der Religion politische Macht erringen will. Eher Narziss – er verpasst sich selber Flügel – als Held, eher Zyniker statt Liebender. Im Chor gibt es neben heutigen Soldaten auch Soldaten anderer Epochen, denn „das Ritual des Krieges reicht weit zurück in die europäische Geschichte bis in die Gegenwart hinein“, so der Regisseur. Lohengrin kehrt nicht zum Gral zurück und Gottfried wird als Leiche auf die Bühne getragen. Den Schluss kennt man vom Vorspiel, obwohl Lohengrin geblieben ist, konnte er Brabant nicht retten. Das Bühnenbild (Steffen Aarfing) bewegt sich irgendwo zwischen Anselm Kiefer und David Lynch, also entsprechend der konzeptionellen Betonung der Kriegsebene und der eines Krimis, der sich nicht nur in einem mythologischen, sondern zusätzlich geschichtlichen Raum abspielt. Der Zugriff auf die große Erzählung vom Schwanenritter und deren radikale Umdeutung ist typisch für das Regietheater der Gegenwart und weit entfernt von dem Wieland Wagners, dem es nicht in den Sinn kam, den Kern der Inhalte seines Großvaters umzudeuten. Allein in der Personenführung, der Bewegung des Chores und in der Lichtregie (Jesper Kongshaug) könnten Spuren von Wieland Wagner gefunden werden.

So auch bei Kirsten Harms Inszenierung des „Tannhäuser“, in der das Licht eine ganz besondere Rolle spielt (Bühne, Kostüme und Licht von Bernd Damovsky). Kirsten Harms setzt stark auf die moderne Bühnentechnik und lässt bereits beim Vorspiel einen Blick in die schwarze Unterbühne mit einem gigantischen Beleuchtungsapparat zu, aus der dann per Hubpodien die Sirenen und Najaden des Venusberges in Nackttrikots auftauchen. Vom Schnürboden senkt sich ein Ritter in voller Rüstung herab, soll das Tannhäuser sein? „Um dem Begriff von Pathos und Größe in Richard Wagners Dramaturgie gerecht zu werden“, erfindet Kirsten Harms zusammen mit ihrem Bühnenbildner fantastische Bilder in symbolhaft wechselndem Licht. Angeblich geht es geht ihr in ihrer Regie weniger um den Dualismus von Eros und Agape, den von Lustprinzip und hoher Minne und den von Schuld und Sühne. Venus und Elisabeth werden von einer Sängerin dargestellt und in der Schlussszene eins. „Für meine Zeit halte ich die Interpretation von Venus und Elisabeth als strikt getrennte Alternative für überkommen“, liest man von Kirstan Harms im Programmheft. Das „Entweder-Oder-Prinzip“ im „Tannhäuser“ sieht sie als „Aufführungsklischee“ Elisabeth, die im dritten Akt wie in dem ihr nachgesagten wahren Leben in einem Marburger Hospital die Kranken pflegt, ist sie nicht doch zu heilig, um als Venus wieder aufzuerstehen? Die Bilder am Anfang und am Schluss der Oper, Venusberg (Eros) und Krankenstation (Agape), enthalten sie nicht doch die unauflösliche Dialektik von beiden Seiten der Liebe, die wohl von Wagner auch so gesehen war? Die Gesellschaft der Wartburg- ein elitärer Kreis von geharnischten Rittern in kaltem Licht – fühlt sich aufgerufen, das Individuum vor Begierde und Instinkt zu schützen. Ein Minnesänger darf nicht wirklich lieben. Formalästhetisch ist dieser „Tannhäuser“ eine illustrative und wunderbare Produktion, die die vorhandene Bühnentechnik gekonnt einzusetzen weiß.

„Lohengrin“ und „Tannhäuser“ zwei sehr unterschiedliche Spielarten des Regietheaters mit graduell unterschiedlicher Auffassung der Werktreue. Unterschiedlich sind auch die Stimmen der Titelhelden: Klaus Florian Vogt als Lohengrin und Andreas Schager als Tannhäuser. Beide sind auf ihre Weise gleichermaßen stark, der eine mit einer „Unschuldsstimme wie von einem anderen Stern“, dennoch mit heldischer Strahlkraft, der andere weniger differenziert, dafür mit noch größerer Kraft. Auch die weiblichen Protagonistinnen sind sehr gut besetzt: Rachel Willis-Søerensen als Elsa und Emma Bell als Venus und Elisabeth.

 

 

Das Publikum feierte die Stars und die gesamte Besetzung, vor allem auch den berühmten Wagner-Klang von Chor und Orchester (Donald Runnicles und Michael Boder als Dirigenten).

Über Sylvia Hüggelmeier 34 Artikel
Sylvia Hüggelmeier studierte Kunstgeschichte, Germanistik, Publizistik und Pädagogik an den Universitäten Münster/Westfalen und München. Seit 1988 schreibt sie als Freie Journalistin für verschiedene Zeitungen.

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