Sie sind zum ersten Mal in einer fremden Stadt, gehen durch eine belebte Straße und könnten schwören, daß Sie an dieser Stelle bereits schon einmal gewesen sind! Sie erleben eine bestimmte Situation und wissen – genau dasselbe Szenario hat sich so schon einmal abgespielt – Sie haben diese Situation nämlich schon einmal ganz genau so geträumt.
Zahlreiche Menschen „sehen“ in Visionen, Trancezuständen und Klarträumen zukünftige Ereignisse voraus oder sind nach solchen Erlebnissen in der Lage, Ereignisse zu beschreiben, die sich in weiter Ferne – teilweise sogar auf anderen Kontinenten – abgespielt haben. Anhänger der Parapsychologie bezeichnen diese Fähigkeit der Zukunftsschau als Präkognition.
Jedoch gestaltet sich der Nachweis einer echten Präkognition oder auch eines sogenannten „Wahrtraumes“ als recht schwierig, wie wir selbst feststellen konnten. Bei meinen Recherchen zu diesem Thema stieß ich überraschend auf den sehr gut dokumentierten Fall eines Wahrtraumes. Diese aufsehenerregende Episode spielte sich bereits im 17. Jahrhundert ab und ist untrennbar mit der Geschichte eines Schiffes verknüpft – dem Schicksal der „Prins Willim“.
Der Ostindienfahrer „Prins Willim“ war einst das größte, am besten bewaffnete und wohl auch schönste Schiff, das je für die 1602 gegründete Niederländisch-Ostindische Kompanie – die V.O.C. – gebaut wurde.
Im Jahr 1649 wurde die „Prins Willim“ im Auftrag der V.O.C-Kammer Seeland unter Leitung des Schiffszimmermannes Cornelis Speldernieuw auf Kiel gelegt. Bereits am 1. Januar 1650 lief das Schiff vom Stapel. Am 5. Mai 1651 dann trat die „Prins Willim“ ihre erste Reise nach Niederländisch-Indien an, das damals Sumatra, Java, Borneo, Celebes, die Molukken und Teile Neuguineas umfaßte.
Ein reichliches Jahr später ging sie wieder im Hafen von Wielingen in Holland vor Anker. Zu jener Zeit aber war bereits der erste niederländisch-englische Krieg ausgebrochen. Da die Niederlande nicht über genügend einsatzfähige Kriegsschiffe verfügte, charterten die Generalstaaten die „Prins Willim“ für einen dreimonatigen Einsatz und ließen sie zum Kriegsschiff umbauen, wobei die ursprüngliche Bewaffnung von 24 schweren (18- oder 24-Pfünder), 6 mittleren (9- oder 12-Pfünder) und zwei leichten Geschützen auf insgesamt 40 Kanonen erweitert wurde. So ausgerüstet, nahm die „Prins Willim“ im Oktober 1652 an der Schlacht von Duins teil und wurde von dem holländischen Admiral Witte de Witt zeitweise sogar als Flaggschiff benutzt. Nach der Rückkehr waren zahlreiche Reparaturen notwendig, um die Schäden der Schlacht auszubessern.
Anschließend kehrte das Schiff in den zivilen Dienst der V.O.C. zurück, wobei allerdings die schwere Bewaffnung beibehalten wurde. Fünfmal segelte die „Prins Willim“ von Wielingen in Seeland nach Niederländisch-Indien, an Bord solche Gaben der Zivilisation wie Gewehre, Perlen, Spiegel und ähnlichen Tand.
Außerdem beförderte der Ostindiensegler zahlreiche Passagiere – zumeist Kolonialbeamte mit ihren Familien – aber einmal auch portugiesische Gefangene und sogar Kettensträflinge.
Auf der Rückreise stapelten sich in den Laderäumen Porzellan, Tee, Seide und vor allem Gewürze, die in Europa reißenden Absatz fanden.
So hätte sich das Schicksal der „Prins Willim“ nicht wesentlich von dem anderer Retourschiffe unterschieden. Diese wurden so genannt, da sie für mehr als eine Fahrt konzipiert und gebaut waren. Nicht einmal ihr Verlust in der Nacht vom 10. zum 11. Februar 1662 im Indischen Ozean war außergewöhnlich, wenn ihr Untergang nicht von einem merkwürdigen Erlebnis begleitet worden wäre.
Mijnheer Arnold de Vlaming war Mitglied des Rates von Indien und Gouverneur von Ambon. Im November 1661 reichte er beim Generalgouverneur, Mijnheer Jaen Maetsuyker das Gesuch um seinen Rücktritt ein samt der Bitte, nach Holland zurückkehren zu dürfen. Maetsuyker hätte den tüchtigen Beamten gern noch einige Jahre länger in Niederländisch-Indien gehalten, doch daran hatte de Vlaming kein Interesse. So gab Generalgouverneur Maetsuyker schließlich nach und ernannte ihn zum Kommandanten der Retourflotte, die mit der „Prins Willim“ als Flaggschiff am 23. Dezember 1661 von Batavia aus in Richtung Heimat auslief.
Etwa zwei Monate später notierte Valentijn, der Geheimschreiber des Generalgouverneurs Maetsuyker:
„Am 11. Februar träumte dieser Herr (Jaen de Maetsuyker), daß er den Herrn Arnold de Vlaming van Oudshorn, ordentlicher Rat von Indien, Seevogt über die Flotte, die am 23. Dezember von Batavia nach dem Vaterland ausgelaufen war, in schwerer Not sah, und er ihn etliche Male um Hilfe rufen hörte. Seine Hochwohlgeboren wurde hierdurch so erschreckt, daß er aufschreckend erwachte. Er legte sich jedoch wieder schlafen, geriet aber wieder in einen derartigen Traum über denselben Herrn und sah ihn dann in seinem Traum sehr klar mit seinem Schiff untergehen, wodurch seine Hochwohlgeboren, noch mehr als vorher erschreckt, wieder erwachte. Seine Hochwohlgeboren blieb dann wach, zeichnete den Tag, den Monat und das Jahr auf, an welchem er den Traum hatte, versiegelte dies und setzte tags darauf die anderen Herren Mitglieder der Hohen Regierung davon in Kenntnis sowie den Geheimschreiber ihrer Hochwohlgeboren, an welchen er diesen versiegelten Brief übergab, mit dem Auftrag, diesen wohl zu bewahren, bis daß man vom Kap der Guten Hoffnung Nachricht von dieser Flotte haben würde.“
Einige Wochen später ergänzte Valentijn diesen Bericht mit folgender Notiz:
„Man erhielt inoffiziell von der Insel Mauritius und dem Kap der Guten Hoffnung Bericht, daß der Herr (Arnold de Vlaming) an demselben Tag desselben Monats mit seinem Schiff, genannt „t’Hof van Holland“ und einigen anderen, mit Mann und Maus versunken war“.
Soweit der Bericht vom Untergang des Gouverneurs de Vlaming und dem besten Schiff, das die V.O.C. je besessen hatte.
Nun könnte man meinen, daß unsere abergläubischen Vorfahren es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen und so zur Entstehung solcher Berichte beitrugen.
Derartiger Kritik sei aber zu Bedenken gegeben, daß es sich bei Personen wie Generalgouverneur de Maetsuyker und seinen Schreiber Valentijn um nüchterne, verantwortungsbewußte, ja bürokratische Beamte des niederländischen Staates handelte, deren Aufgabe es war, sich um das Wohlergehen der Kolonien zu bemühen und die alles Mögliche im Sinn hatten, nur nicht, sich durch spekulative Berichte ins durchaus fragwürdige Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Wenn Maetsuyker damals seinen Traum akribisch aufzeichnete, so geschah dies mit Sicherheit nicht aus Sensationsgier (die Boulevardpresse und Talkshows sind eine Erfindung erst unserer Zeit), sondern aus Sorge um das Schicksal der Flotte und seines Untergebenen und persönlichen Freundes, Gouverneur Arnold de Vlaming, der bei dieser Schiffskatastrophe samt seiner mitreisenden Familie ums Leben kam.
Somit ist diese Dokumentation eines Wahrtraumes letztlich der Pedanterie eines niederländischen Kolonialbeamten zu verdanken.
Mußte ein Kapitän zu Zeiten des Generalgouverneurs Maetsuyker noch auf seinen „sechsten Sinn“ vertrauen, um den Gefahren einer langen Seereise erfolgreich zu widerstehen – der Untergang der „Prins Willim“ zeigt, daß dies schon damals nicht immer gelang – so besorgen dies heute Radar und Satellitennavigation. Mit welch zweifelhaftem Erfolg zuweilen, beweist der Zusammenstoß des italienischen Luxusliners „Andrea Doria“, dem gleich der „Titanic“ Unsinkbarkeit nachgerühmt wurde, mit der „Stockholm“ am 25. Juli 1956. Die beiden Schiffe kollidierten in dichtem Nebel, obwohl die „Andrea Doria“ ein 75 km im Umkreis wirkendes Radargerät an Bord hatte.