Zum siebten Mal drehte sich in Leipzig am „Vorabend“ zum Jubiläumsjahr 2013 der Veranstaltungsreigen um Richard Wagner, dessen schillernde Persönlichkeit im Zusammenhang mit dem Missbrauch im Dritten Reich Schatten auf sein musikalisches Genie geworfen hatte und dem in der ehemaligen DDR wenig Rehabilitation widerfahren war.
Aber Leipzig ist nicht nur Bach, Mendelssohn, Schumann, Thomaner oder Gewandhaus , Literatur, Messe, Porsche und BMW, Leipzig ist auch die Geburtsstadt Wagners, in der er prägende Jugendjahre verbrachte. Seit 2006 setzt sich die 2002 gegründete Wagner-Gesellschaft 2013 e. V. mit den Festtagen um Wagners Geburtstag herum mit neuen Ideen und in Zusammenarbeit mit verschiedenen Leipziger Institutionen und zunehmend auch der Politik für die Wiederbelebung Leipzigs als Wagner-Stadt ein
Dass „blinde Huldigung und verstaubte Exegese“ die Sache des Vereins nicht sein will, belegte auf schönste Weise das tägliche Treffen am frisch restaurierten Jugendstilsockel von Max Klinger. „Speakers Cube“, frei nach dem Redetreff im Hydepark in London benannt, vereinte Information, Performation und Innovation. Wie schnell kann man heute Wagner spielen, warum hat Max Klinger das Wagner-Denkmal nicht fertiggestellt und was bedeutet die Schattensilhouette des neuen Entwurfs von Stephan Balkenhol ? Die musikalische Umrahmung kam vom Universitätsmusikdirektor David Timm ( 1. Vorsitzender der Wagner-Gesellschaft 2013), der in seinen Improvisationen über Wagner-Themen die Geräusche des verkehrsreichen Dittrichrings mit einbezog. Thomaskantor Biller ließ seine selbst komponierte „Notenspur“ von fünf Thomanern vortragen, und vom Sockel herab baumelte eine nackte Figur mit Wagner-Kopf des Leipziger Künstlers Tobias Rost. Auf die überdimensionale Geburtstagstorte mit weiblichem Inhalt und fernsehtauglichem Show-Effekt hätte man allerdings verzichten können.
Das Konzert in der großen Halle des Bundesverwaltungsgerichtes legte ein ernstes Thema zugrunde:: Die Erinnerung an die missbrauchte Musik im Dritten Reich:, „Rienzi“- und „Meistersinger“- Musik für die NS-Parteitage, der Trauermarsch aus der “Götterdämmerung“ für die Niederlage in Stalingrad und das Adagio aus Bruckners siebter Sinfonie zu Erklärungen des Führers in Sachen Kultur und wohl auch als Wunschmelodie nach dem eigenen Tod.. Noch lange Jahre nach dem Krieg wollte man Liszts „Les Préludes“ nicht mehr hören, denn sie erklangen im Zusammenhang mit der Deutschen Wochenschau in den Sondermeldungen des Oberkommandos der Wehrmacht..Die Veranstalter (Kunst und Justiz im Bundesverwaltungsgericht e. V) des akustisch und emotional hoch aufgeladenen Konzertes mit dem Mendelssohn-Orchesters Leipzig unter dem Dirigenten David Timm hatten zur Einführung den Schriftsteller Robert Schneider („Schlafes Bruder“) eingeladen, dessen schwieriger und sehr persönlich gefärbter Text im Internet nachgelesen kann.
Zeitgleich veranstaltete der Wagner Denkmal-Verein , der sich seit sechs Jahren für die Wagner-Ehrung in Form eines zeitgenössisch vollendeten Denkmals einsetzt, ein Benefizkonzert mit Engelbert Humperdincks vierhändiger Klavierfassung des „Parsifal“.
Wieder lockte die antiklassische Wagner-Lounge, der Festivalklassiker mit dem Moderator Axel Thielmann mit geistreichen Anekdoten, Überraschungsgästen und den ganz speziellen Wagner-Klängen des David Timm-Jazzquartettes vor allem auch das jüngere Publikum an.
Bereits 1878, zwei Jahre nach der Bayreuther Uraufführung, hatte Angelo Neumann den „Ring“ in Leipzig aufgeführt, aber seit 40 Jahren gab es dort keine „Götterdämmerung“ mehr. Zum Wagnergeburtstag am 22. Mai erklang jetzt der dritte Akt in der Evangelisch-reformierten Kirche, ein Vorgeschmack auf die für 2013 geplante szenische Aufführung aller drei Aufzüge in der neuen Universitätskirche. Zum zweiten Mal konnte man die c-Moll-Akkordschläge und die maßgeblichen Leitmotive der Wälsungen im Trauermarsch hören, und jetzt das orchestral dichteste Motivgeflecht des ganzen sechzehnstündigen Werkes. Das Mendelssohn-Orchester unter David Timm spielte in Hochform, herrlich die Hörner und Wagnertuben, die Holzbläser und Streicher, alle spielten mit Begeisterung.
Renatus Mészár, im letzten Jahr als Wotan zu hören, war in der Rolle des Hagen stimmgewaltiger und wie von Hagens Brutalität eingefärbt. Die sängerische Entdeckung des Abends: Bernadette Flaitz als Brünhilde, die das Sopranschwergewicht der Rolle vibratofrei mit langem Atem und lupenreinen Spitzentönen meisterte. In Florenz und Valencia hatte sie 2009 unter Zubin Mehta die Gutrune bzw Gerhilde gesungen, aber mit Brünhildes Schlussgesang empfiehlt sie sich für das hochdramatische Fach.
Kein Wagnis mehr, in Leipzig auf Wagner zu setzen? Die Stadt Leipzig legt ein großes Programm für das Jubiläumsjahr auf, arbeitet mit Bayreuth zusammen und mit dem Richard Wagner Verband, der den Internationalen Wagner Kongress 2013 ausrichtet. Die Oper bringt das „Rheingold“ heraus und die Universitätsmusik unter David Timm das Ende der Götter. Noch hat der hochbegabte Universitätsmusikdirektor die Pläne für eine szenische, lückenlose Fortsetzung des „Rings“ im nächsten Jahr nicht ganz aufgegeben, aber für „Siegfried und die „Walküre“ fehlt wohl vor allem das Geld. Der junge Wagner aus Leipziger Tagen aber wird vor seinem übermächtigen Schatten vom Sockel blicken und der Wagner-Verehrung in der Messestadt Dauer verleihen.
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.