Der Argentinier Antonio Berni ist nicht die einzige von 216 Künstlerpersönlichkeiten aus der weltweit ins Auge gefassten unmittelbaren Nachkriegszeit, deren Werke das Münchner „Haus der Kunst“ derzeit zeigt, die Straßenmüll für sein bildnerisches Schaffen verwendet. In dem großen Material-Gemälde „Die stürmische Pampa“ von 1963 sind es Holzstücke, scharfkantige Rostbleche mit Farbresten, allerlei Altmetall, dazu Spanplatten, Plastikknöpfe und Pappe. Ein bunt schillerndes Ungeheuer, das einem trägen Krokodil ähnelt, wälzt sich in einer chaotischen, zugemüllten Strandgegend, wo es „seine Beute“, wie erklärt wird, „durch die post-apokalyptische Szenerie verfolgt“. Auf einer riesigen Müllhalde liegt für den genauen Betrachter die Freiheitsstatue auf dem Boden. Die Großstadt, egal an welche man dabei denkt, liegt in Schutt und Asche. Aus. Zerstört. Eine End-Situation. Rostige Metalltrümmer schieben sich bedrohlich über einen dunkelblauen Himmel, der keiner mehr ist.
Mit solchen – und bisweilen noch „stärkeren“ – Bildern kriegt es zu tun, wer die derzeit in der Kunststadt München aktuellste, noch bis 26. März (täglich von 10 bis 20 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr) geöffnete Ausstellung „Postwar“ besucht. Ihr Untertitel erklärt, worum es da geht: „Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945 – 1965“. Führender Kurator ist der Direktor des Münchner „Hauses der Kunst“ Okwui Enwezor. Er gewann als Schirmherrn keinen Geringeren als den designierten deutschen Bundespräsidenten, derzeit Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Frank-Walter Steinmeier.
Mit ihren acht Abteilungen, jeweils an den hohen, lichten Wänden der ineinander unmerklich übergehenden Räume schriftlich fixiert und thematisch trefflich erläutert, führt die Schau in die insgesamt differente, niederschmetternde, bedrückende, den Betrachter oft stark beanspruchende, mit eindrucksvollen Exponaten global erfasste Kunst-Welt zwischen der sogenannten „Stunde null“ bis in die Anfang der 1960er Jahre allmählich abklingenden Versuche der weltweit angesagten (Warhol, Baselitz, Gerhard Richter, Lichtenstein u. a.) bis anonymen Künstlerinnen und Künstler aller Kontinente, Weltkrieg und Bürgerkriege, Holocaust und Atomvernichtung, abebbende europäische Kolonialzeit, Staatsgründungen und Bürgerrechtsbewegungen mit den Mitteln der bildenden Kunst zu verarbeiten.
Das geschieht in alten und damals bereits neu aufgekommenen Formen ebenso wie in der stilistisch völlig uneinheitlichen, auf der Suche befindlichen Stilrichtungen – von der gefälligen malerischen Abstraktion bis zu nicht selten abstoßenden Materialinstallationen, naiven Szenarien neben komplexen Darstellungsformen, deren Inhalte und Formen sich dem Besucher nicht unmittelbar erschließen. Daher nehme man den Katalog (10 Euro) mit seinen 36 Essays zu Hilfe und lese über die einst „angesagten“ Künstlerpersönlichkeiten ebenso wie über ihre oft schwer einzuordnenden Werke. Für Lehrer gibt es eine didaktische Broschüre zur Vor- und Nachbereitung eines Schulklassen-Besuchs. Auf der Homepage des „Hauses der Kunst“ ist der Text mit jeweils mehreren, auch abgebildeten „wichtigen“ Kunstwerken kostenlos herunterzuladen.
Es gab bislang keine die disparate Welt-Kunst der genannten 20 Jahre global sichtende Ausstellung, so dass sie allein schon wegen dieses Alleinstellungsmerkmals als eine der derzeit empfehlenswertesten einzustufen ist. Warnung für Besuchswillige am Schluss: sich gut fühlen, stark fühlen, gesättigt fühlen, bevor man sich aufmacht, diese mit Arbeiten aus 65 Ländern der Erde bestückte, durch einen Café-Besuch zu unterbrechende Schau zu erkunden.
FOTO (Hans Gärtner)
Antonio Berni, Argentinien: „La pampa tormentosa“ (Die stürmische Pampa), Öl, Tempera, Holzstücke, Metall, Müll etc., 300 x 400 cm, 1963
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