„Lesen ist ein stilles Vergnügen, ein Kind des Alleinseins und der Vertiefung, eine Amme der Tagräume und Grübeleien, die Geliebte aller Leidenschaften und ein Anstifter zu Abenteuer und Wandel. Lesen kann ein Leben verändern.“ Peter Ackroyd schreibt nicht nur gute Bücher, sondern bekennt sich damit auch als kluger Leser. Recht hat der Brite, der zugleich das Vorwort des vorliegenden, opulenten Kompendiums verfasst hat. Aldous Huxley wiederum geht noch weiter. Für ihn besitzt derjenige, der zu lesen versteht, „den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.“ Der Genuss, ein Buch in der Hand zu halten, die Seiten umzublättern, in das Geschehen ein- und nach einer gewissen Zeit „gestärkt“ wieder aufzutauchen, ist wahrlich unvergleichlich. Aber bald schon kribbelt es in den Fingern und eine neue „Eroberung“ steht auf dem Plan. „Bücher zeugen gewissermaßen weitere Bücher in einem endlosen Prozess gegenseitiger Befruchtung, so dass häufig kaum noch zu erkennen ist, wo die Einflüsse eines Buches enden und die eines anderen beginnen.“, so Ackroyd. Darum sollte man Isidor von Sevilla zum Schutzheiligen des Lesens erklären, denn er vertrat die Ansicht, dass alles geistige Wachstum sich aus dem Lesen speise. Die Qual der Wahl fällt dann nur noch auf die Auswahl seiner „Progressions“-Lektüre.
Ein Brevier des geistigen Genusses und ein Weg durch die Geschichte des Romans stellt das neu aufgelegte Werk der 1001 Bücher, die man gelesen haben sollte, dar. Peter Boxall, außerordentlicher Professor für englische Literatur an der University of Sussex hat sich als Herausgeber der Meinung von 157 internationalen Kritikern, Wissenschaftlern, Romanciers, Dichtern und Journalisten bedient, um die schwierige Aufgabe zu bewältigen, aus der schier endlosen Menge guter Romane, die verhältnismäßig kleine Zahl von 1001 herauszupicken, die letztendlich ihren chronologisch aufgereihten Platz eingenommen haben. Diese Auswahl erhebt allerdings „weder den Anspruch, einen neuen Literaturkanon zu formen, noch den Roman als Genre zu definieren oder erschöpfend darzustellen“, ist sich Boxall sicher. Und doch erscheint sie als äußerst gelungene Momentaufnahme, die die Prioritäten heutiger Leser sehr gut widerspiegelt.
1001 Romane von 705 Autoren entfalten einen wahren Belletristikrausch vor dem Leserauge. Dabei wird nicht explizit auf den Bekanntheitsgrad eines Autors oder seines Werkes Wert gelegt, sondern es finden sich gleichfalls zahlreiche Empfehlungen von etwas in Vergessenheit geratenen Romanen oder Büchern, die eher dem Mainstream zugeordnet werden können. Alle versprechen jedoch, so der Autor, großen Lesegenuss, den ich bei einer Vielzahl der hier Vorgestellten tatsächlich bestätigen kann. Thomas Mann, Thomas Pynchon, Emile Zola, Graham Greene und J. M. Coetzee führen mit jeweils fünf ausgewählten Romanen die Spitze an. Ihnen folgen solch bekannte Autoren wie zum Beispiel Jose Saramago, Vladimir Nabokov, Virginia Woolf, Dostojewski, John Updike, H. G. Wells oder Samuel Beckett, flankiert von Michel Houellebecq, Saul Bellow, Ismail Kadare, Haruki Murakami, Amos Oz oder auch J. R. R. Tolkien. Roberto Bolano, Milan Kundera und Max Frisch schicken ihre Zeilen genauso ins Rennen wie Marcel Proust, Paul Auster, Bernhard Schlink, Simone de Beauvoir oder Uwe Timm. Auch einige meiner Favoriten finden sich unter den hier einfach nicht komplett aufzählbaren Namen: Jonathan Franzens „Korrekturen“, David Marksons erst jüngst gelesener großartiger Roman „Wittgensteins Mätresse“ oder die schon auf meinem „Lesepult“ abgelegte „Fälschung der Welt“ von William Gaddis.
Jeder „Empfehlungstext“ unterlag übrigens einem strengen Reglement von maximal 300 Wörtern. Die Beiträge könnten also auch als eine Art „Mikroereignis“ gedacht werden, als eine komplette Leseerfahrung im Miniaturformat. Sie bieten trotz dieser kompakten Form eine erstaunlich gelungene Einschätzung, was gerade diesen oder jenen Roman so fesselnd und absolut lesenswert macht. Ergänzt wird jeder Beitrag durch die Lebensdaten des Autors, das Ersterscheinungsjahr, den Verlag und seinen Originaltitel. Zahlreiche farbige Abbildungen von Autoren, Originaleinbänden, Szenen aus Verfilmungen oder adäquaten künstlerischen Zeichnungen oder Gemälden vervollkommnen die in jeglicher Hinsicht schwergewichtige Ausgabe. So kann man Robert Lembke dieses Mal nicht zustimmen, der da einstmals bemerkte, dass der Hauptnachteil mancher Bücher die „zu große Entfernung zwischen Titel- und Rückseite“ sei. Denn hier möchte man gar nicht aufhören zu blättern. Eine sehr gelungene Möglichkeit, die Geschichte des Romans zu erzählen.
Peter Boxall (Hrsg.)
1001 Bücher
Die Sie lesen sollten, bevor das Leben vorbei ist
Edition Olms (April 2013)
960 Seiten, Broschur
ISBN-10: 3283011605
ISBN-13: 978-3283011604
Preis: 29,95 EUR
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