Nach den Premieren der vier Teile von Wagners Mammutwerk in der Spielzeit 2016/ 17 -eine bearbeitete Version des Linzer „Rings“ von 2013- hat sich am 1. Mai der Vorhang am Ende der ersten zyklischen Aufführung am Hessischen Staatstheater gesenkt. Ein außergewöhnlicher Kraftakt nicht nur für den Intendanten und Regisseur Uwe Eric Laufenberg, der den Versuch einen zeitgültigen Ring auf die Bühne zu bringen nicht gescheut hat.Wo andernorts die „Retro“- Mode gepflegt und dem Regietheater abgeschworen wird, sucht man in Wiesbaden den „Choque des Neuen“ frei nach dem Credo Richard Wagners : „Kinder macht Neues!“
Der „Ring“ als Gang durch die Menschheitsgeschichte! „ Von „einem vorzivilisatorischen Zustand, dem „Rheingold“, über einen Weltkriegszustand in der „Walküre“ und einen Nachkriegszustand, dem „Siegfried“, die Welt von heute aus nochmal abzuschreiten und von dort in der „Götterdämmerung“ in die Zukunft zu denken“ lautet das ehrgeizige Konzept von Uwe Eric Laufenberg, Wotan als Wüstenfürst und Wotan als Kriegsgeneral, als Wanderer oder stummer Götter-Opa, alles ist möglich. Siegfried als Einzelgänger und Nerd , als „Typ wie Steve Jobs“ (Laufenberg) und als Mensch der Zukunft, ohne Bildung, Moral und Gewissen. Die Rheintöchter als Naturwesen des Wassers und als Betreiberinnen eines zwielichtigen Etablissements, das alles wird im Hessischen Staatstheater im opulenten Bühnenbild von Gisbert Jäkel und ergänzt durch die mit Zeitgeschichte aufgeladenen Videoeinspielungen von Falko Sternberg als spannendes Stück Musiktheater präsentiert.
Leider irrlichtern in wichtigen Momenten der Handlung Regieideen durch das Werk, die der Revitalisierung nicht gut tun. Gerade am Ende des „Rheingolds“, wenn das Orchester mit dem prächtigen Walhall-Motiv auftrumpft, sind auf der Bühne die Möbelpacker aktiv und lassen sich die Götter wie auf einem Familienfoto brav auf einer Bank sitzend ablichten.
Wotan schließt in der großartgisten Abschiedsszene der Operngeschichte Brünnhilde nicht wie sonst auf dem Felsen in Helm und Brünne sondern in eine Art Germania-Statue wie der des Niederwalddenkmals ein. Wenn Siegfried später Brünnhilde erweckt, ist es vorbei mit dem Symbol des Nationalstolzes von 1871. Doch ein guter Regieeinfall?
Nachdem Siegfried im dritten Teil der Tetralogie die Anleitung zum Schmieden des zerbrochenen Nothung-Schwertes und später den Sieg über Fafner in der Neidhöhle auf seinem durchsichtigen Tablet herbeigewischt hat, findet sich für ihn flugs ein gut sitzender Anzug, Bankangestellte strömen hinzu und servieren Sekt. Schon gibt er einer Reporterin sein erstes Interview. Aber zu viel Personal, sprich Statisterie auf der Bühne hat einer Inszenierung noch nie gut getan! (Auch wenn es zum Auf- und Umräumen unerlässlich ist,da man wie in dem schönen alten Theater in Wiesbaden weder Dreh- noch Unterbühne hat.)
Ausgerechnet Gutrune, die harmloseste Figur aller Weltenbrand- Überlebenden sucht am Ende der „Götterdämmerung“ und nach einer großartigen Untergangsvision unserer Zivilisation mit dem Fernrohr den sich erhellenden Zuschauerraum des Theaters ab. Da fällt einem doch gleich das großartige und überraschende Ende von Konwitschnys Stuttgarter „Götterdämmerung“ein!
Dass der „Ring“ von Eric Uwe Laufenberg mit der häufig kritisierten „Ideenwildnis“ ( auch Trump und Merkel flimmern über die Videoleinwand) , das Publikum hell begeistert, ist neben seiner konzeptgerechten opulenten Ausstattung (Kostüme: Antje Sternberg, Licht: Andreas Frank) vor allem seiner hohen musikalischen Qualität zu verdanken. Als Star von drei Abenden in Folge und in drei Rollen ist hier der österreichische Heldentenor Andreas Schager zu nennen: Siegmund in der „Walküre“, Siegfried im „Siegfried“ und „Siegfried in er „Götterdämmerung“, und das mit nur zwei Tagen Pause! Sein kraftvoller, hell strahlender Tenor, mit dem er bereits 2012 in Halle/ Saale in seiner Lieblingsrolle als Siegfried glänzte, und sein darstellerisches Engagement versprechen eine Weltkarriere, die in diesem Sommer in Bayreuth im „Parsifal“ Fahrt aufnehmen wird.
Alberich (Thomas de Vries) singt nicht immer stimmschön, dafür um so rollengerechter, Wotan (in der „Walküre“ des ersten Zyklus Egils Silins) hat dagegen einen um so kultivierteren Bass-Bariton, bleibt aber in seiner Ausstrahlung zu kühl. Das wird sich am 24. Mai, wenn Thomas J. Mayer die Rolle übernimmt, anders anfühlen.. Unter den weiblichen Rollen fallen vor allem die als Brünnhilde berühmt gewordene Evelyn Herlitzius und die unbekanntere Sabina Svilak als Sieglinde auf.
Erstere hat eine Stimme, die man mögen muss. Das Vibrato hat zugenommen, aber die Strahlkraft in der Höhe und ihre anhaltende Spielfreude macht diese Sängerin auch an großen Bühnen so beliebt. Sabina Svilak kann sich mit ihrem glockenreinen und steigerungsfähigen Sopran neben Andreas Schager gut behaupten. Von allen Sängerinnen und Sängern schwächeln stimmlich ausgerechnet die streitfreudigen und zum Kampf gerüsteten Walküren, deren Auftritt mit einem echten Schimmel gekrönt wird.
Auch wenn der Orchestergraben zu klein ist für ein volles Wagner-Orchester und die Akustik des pompösen, 1894 gebauten Theaters keine optimalen Voraussetzungen bietet, klingt dieser Wiesbadener Wagner-Ring richtig gut. Und das ist dem Gastdirigenten Alexander Joel zu verdanken, dessen Herz sowohl für die Sänger zu schlagen scheint als auch für die genialen und rauschhaften Eingebungen Richard Wagners. Vom „Rheingold“ bis zur „Götterdämmerung“ hat er sich bereits vor den Festspielen gesteigert und einen bewundernswerten Spagat zwischen transparenter und narkotisierender Lesart hingelegt.
Der nächste Zyklus ist am 23., 24., 26., und 28. Mai zu erleben.
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