Aufruf Nato-Austritt – Kriegerischen Amokläufen den deutschen Boden entziehen

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Ein Austritt aus der Nato ist derart einfach, dass man es kaum glauben mag – aber so steht es im „Nordatlantikvertrag“ vom 4. April 1949 in Artikel 13 geschrieben. Ein Brief genügt:

„Nach zwanzigjähriger Geltungsdauer des Vertrags kann jede Partei aus dem Vertrag ausscheiden, und zwar ein Jahr, nachdem sie der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die Kündigung mitgeteilt hat; diese unterrichtet die Regierungen der anderen Parteien von der Hinterlegung jeder Kündigungsmitteilung.“

Seit dem bundesdeutschen Nato-Beitritt am geschichtsträchtigen 9. Mai 1955 sind 20 Jahre längst vergangen. Die Kündigungsklausel sagt bereits alles: Zur Aufkündigung der Nato-Mitgliedschaft wendet man sich nicht etwa an das Nato-Hauptquartier, sondern an die USA. Die Nato ist eine Kreatur der USA, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu keinem Zeitpunkt aus ihrer Kriegswirtschaft herausfanden. Sie benötigten einerseits willige Vasallen[i], denen sie ihre militärische Überproduktion verkaufen konnten (siehe aktuell die von Deutschland zwecks nuklearer Teilhabe zu erwerbenden US-Atombomber); und sie bedurften möglichst vieler Ländereien zur Stationierung von Massenvernichtungsmitteln und als Aufmarschgebiete gen Osten. Siehe zuletzt die großangelegten Kriegsmanöver hin zur russischen Grenze unter der irreführenden Bezeichnung „Defender“.

Nachdem der damalige Oberbefehlshaber der Nato die Frage  von Charles de Gaulle nicht beantwortete, wo exakt in Frankreich die US-Nuklearwaffen lagern, warf de Gaulle die Nato per Dekret vom 7. März 1966 kurzerhand aus Frankreich hinaus. Da dergleichen zur Zeit in Deutschland von Regierungsseite nicht auf der Tagesordnung steht, bedarf es eines Weckrufs. Unsere Verfassung lässt es durchaus zu, dass wir auch die großen Linien politischer Programmatik mitbestimmen. Spätestens mit Blick auf die Ukraine-Krise zeigt sich, dass wir in Richtung auf einen Nato-Austritt Deutschlands aktiv werden sollten. Ein Vorbild war hier Frankreich, das sich 1966 aus den militärischen Organen der Nato zurückzog, um erst 2009 wieder Vollmitglied zu werden. Heute verlangt der französische Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon, Führer der Linkspartei „La France Insoumise“, erneut einen Austritt Frankreichs aus der Nato.

Zwar wird das Handeln des finanzkapitalistisch-industriell-militärischen Komplexes von weiten Teilen der Presse als alternativenlos dargestellt – aber es gibt Alternativen. Dies erhellt sogar aus Stellungnahmen deutscher (Ex-)Militärs, wie Schönbach (jetzt Vizeadmiral der deutschen Marine a.D.) oder Kujat (Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr), die in der Ukraine-Krise in diesen Tagen (Ende Januar) zur Entspannung raten.

Eine Nato-Mitgliedschaft war Deutschland nicht in die Geburtsurkunde geschrieben. Ganz im Gegenteil. Von deutschem Boden sollte nie wieder Krieg ausgehen. Inzwischen dient das deutsche Territorium quasi als ausgelagerter Flugzeugträger der USA/NATO, indem Nato-Truppen in Manövern wie „Defender Europe“ und „Steadfast Defender“ den Marsch gegen Russland proben. Ganz in diesem Sinne forderten die USA/Nato 2017, dass auch Deutschland endlich ordentlich investiert, um sein Straßen- und Brückensystem kriegsfähig zu machen. Wobei Umsetzungen dieses Ansinnens übrigens strafbare Handlung sind – heißt es doch in Artikel 26 GG:

„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“

Memoranden, die bis teilweise vor wenigen Jahren der Geheimhaltung unterlagen, belegen, dass man zunächst Gorbatschow und dann auch Jelzin im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands und in den Jahren nach der Wiedervereinigung doch größere Aussichten auf eine Nichterweiterung der Nato in Richtung Osten machte, als es in weiten Bereichen der Medien dargestellt wird (die Freigabe vieler dieser Dokumente wurde vom National Security Service erfolgreich erstritten). Auch wenn diese Aussagen nicht in reguläre Verträge gegossen wurden, geht dies aus einer Reihe von Memoranden hervor. Und: Entspricht es wirklich den vielbeschworenen westlichen Werten, auf eine derart infame Weise wortbrüchig zu werden, wie es in Gestalt der bisherigen Nato-Osterweiterungen geschah?

Die USA sind nurmehr ein vom chinesischen Wachstum alimentierter und deindustrialisierter Konsumentenstaat mit maroder Infrastruktur. Während die Weltinfrastruktur von China gebaut wird. Gelingt es den USA nicht, die Welt so zu gestalten, wie es in den Plänen Brzezinskis oder des Project for a New American Century zum Ausdruck kommt, muss die Welt eben zerstört werden. Das US-geführte Weltsystem handelt getreu der Maxime: Nach der spätkapitalistischen darf es keine andere Gesellschaft geben. Wo sich eine objektive Schranke für die Verwertung von Wert abzeichnet, gebiert der Kapitalismus daher die Strategie, lieber die Welt in den Abgrund zu reißen als etwas Neues aufkommen zu lassen.

Die Nato ist für Deutschland ein nihilistisches Infrastruktur-Großprojekt. Machen wir deutlich, dass wir an diesem Aspekt kapitalistischer Selbstzerstörung nicht länger teilhaben wollen – zumal wir dafür auch noch bezahlen sollen. Vielleicht sogar mit unserem Leben. Entscheidungsträger sind nur Entscheidungsträger, solange wir sie die Entscheidungen treffen lassen. Weisen wir ihnen Alternativen auf: Kostenersparnisse und weniger Irrationalität. Ein Austritt Deutschlands aus der Nato würde sogar die Systemrationalität steigern und wäre in diesem Sinne geradezu „staatstragend“.

Seien wir unbescheiden! Es sollte uns nicht genügen, bei Bahnhofsbauten oder Flughafenerweiterungen mitzureden. Wir haben alles Recht, unser Schicksal in einem erweiterten Sinne in die Hand zu nehmen: deshalb dieser Aufruf für einen Nato-Austritt Deutschlands.

Sicherheitsgarantien für Russland. Kleine Zeitschiene, Materialien und Erläuterungen

1990

Genscher Zitat in einer bis 2017 geheimen Notiz (aus Rede Genschers am 31. Januar 1990):

„GENSCHER WARNS, HOWEVER, ТНАТ ANY АТТЕМРТ ТО EXTEND „NATO MILITARY STRUCTURES“ ТО ТНЕ TERRIТORY OF TODAY’S GDR WOULD BLOCK GERMAN UNIТY.“

(Quelle: “U.S. Embassy Bonn Confidential Cable to Secretary of State on the speech of the German Foreign Minister: Genscher Outlines His Vision of a New European Architecture.

US-Außenminister James Baker in einem Gespräch mit Michail Gorbatschow am 9. Februar 1990:

“We understand that not only for the Soviet Union but for other European countries as well it is important to have guarantees that if the United States keeps its presence in Germany within the framework of NATO, not an inch of NATO’s present military jurisdiction will spread in an eastern direction.”

In Brief von Paul Nitze an US-Präsident Bush vom 6. Februar 1990:

“In the discussions of the first day of the conference, the majority view appeared to be that unification would and should take time. In addition, an agreement between the Warsaw Pact and NATO would be required, perhaps to be formally ratified by the Helsinki process. Such an agreement would involve equal concessions by both sides, including the withdrawal of both East and West troops from a unified Germany. If the Warsaw Pact were dissolved, NATO would also be dissolved.”

1991

Anlässlich des Besuchs einer russischen Delegation im Nato-Hauptquartier in Brüssel (Ende Juni bis Anfang Juli 1991) äußerte der damalige Nato-Generalsekretär, Manfred Wörner, er und der Nato-Rat seien gegen eine Erweiterung der Nato. 13 von 16 Nato-Mitgliedern seien seiner Meinung. Man müsse die Isolation der UDSSR von Europa verhindern.

1997

Bei einem Gipfeltreffen zwischen Clinton und Jelzin im März 1997 blieb Jelzin bei seinem klaren Nein zur Nato-Osterweiterung. In der Presse heißt es häufig, Russland habe seine Ansprüche auf Sicherheitsgarantien dadurch verspielt, dass Jelzin im Mai 1997 die Nato-Russland-Grundakte unterschrieb – obwohl er eine Nato-Osterweiterung negativ beurteilte. Aber: Clinton, Chirac und Kohl boten Jelzin als Kompensation für eine Nato-Osterweiterung (die dem Geist der Gespräche im Zuge der deutschen Wiedervereinigung eklatant widerspricht) eine privilegierte Partnerschaft an, deren Basistext die Nato-Russland-Grundakte ist. Nachdem Jelzin dieses Dokument am 27. Mai 1997 unterzeichnet hatte, folgte der formelle Beschluss zur Nato-Osterweiterung am 9. Juli 1997. Und bereits 1999 setzte sich die Nato im Kosovo-Konflikt über Einwände Russlands und den Geist der Grundakte hinweg.

In der Nato-Russland-Grundakte heißt es im Übrigen:

„Die NATO wiederholt, dass das Bündnis in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld seine kollektive Verteidigung und andere Aufgaben eher dadurch wahrnimmt, dass es die erforderliche Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung gewährleistet, als dass es zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft stationiert.“

2010 (1999)

Auf dem Gipfeltreffen der OSZE in Astana/Kasachstan 2010 wurde eine „Gedenkerklärung auf dem Weg zu einer Sicherheitsgemeinschaft“ verfasst. Darin heißt wird der Wortlaut der OSZE-Konferenz von Istanbul 1999 bekräftigt:

„Die Sicherheit jedes Teilnehmerstaats ist untrennbar mit der Sicherheit aller anderen verbunden. Jeder Teilnehmerstaat hat das gleiche Recht auf Sicherheit. […] Sie werden ihre Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten festigen.“

Anmerkung

[i] In seinem Buch Das große Schachbrett nennt Z. Brzezinski (ein Chefstratege der US-Außenpolitik) Europa ganz offen ein Protektorat der USA, dessen alliierte Staaten ihn an frühere Vasallen und Tributpflichtige erinnern.

Über Karim Akerma 76 Artikel
Dr. Karim Akerma, 1965 in Hamburg geboren, dort Studium u.a. der Philosophie, 1988–1990 Stipendiat des Svenska Institutet und Gastforscher in Göteborg, Lehraufträge an den Universitäten Hamburg und Leipzig, Tätigkeit als Übersetzer aus dem Englischen, aus skandinavischen und romanischen Sprachen. Wichtigste Publikationen: „Verebben der Menschheit?“ (2000), „Lebensende und Lebensbeginn“ (2006) sowie "Antinatalismus - Ein Handbuch" (2017).