Nicht vielen ist es vielleicht ganz bewusst, dass München seinen Ruf als „Stadt der Künste“ dem unter König Max II. errichteten „Glaspalast“ im Alten Botanischen Garten zu verdanken hat. Das nach dem Vorbild vom „Crystal Palace“ in London aus Glas und Metall erschaffene multifunktionale Ausstellungsgebäude, in dem ab 1854 Industrie- und Wirtschaftsausstellungen unterschiedlicher Art stattfanden, wurde ab 1889 Austragungsort von Kunstschauen mit internationalem Charakter. Auch ein Festspielhaus für Richard Wagner sollte nach Planungen von König Ludwig II. und Arch. Gottfried Semper dem Komplex angegliedert werden. Insbesondere die von der bedeutendsten Künstlergruppe „Münchener Secession“ 1893 ins Leben gerufene und jährlich ausgerichtete „Große Kunstausstellung“ genoss auch dank ihres internationalen Charakters weltweite Resonanz. So sehr, dass die Kunstbiennale von Venedig sie bei Ihrer Gründung 1895 als Vorbild nahm und die „Münchener Secession“ als Mitglied der Jury zur Auswahl der Exponate berief. Mit dem nie aufgeklärten Großbrand, der den Glaspalast am 6.Juni 1931 samt 110 Gemälde u.a. v. Caspar David Friedrich zerstörte, ging nicht allein der prächtige Bau verloren, sondern auch jener kosmopolitische Geist, der das Münchner Kulturleben um die Jahrhundertwende geprägt hatte.
Preisträger des Architekturwettbewerbs zum Neubau des „Glaspalasts“ war der TU-Prof.Adolf Abel, der einen prächtigen Entwurf lieferte. Nach Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 wurde dessen Günstling Paul Ludwig Trost mit dem Bau eines neuen Museums an der repräsentativen Prinzregentenstraße betraut, worin auch die von der Bürgerschaft für den Wiederaufbau gesammelten Geldmittel einflossen. Eingeweiht wurde der Monumentalbau als „Haus der Deutschen Kunst“ am 17. Juli 1937 mit einem feierlichen Umzug mit allegorischen Karren und Komparsen in altgermanischem Gewand, bei dem ein Modell des Baus in Triumph getragen wurde. Eine Kopie aus weißer Schokolade sowie ein zeitgenössisches Originalmodell, das 1937 bei der „Weltausstellung“ in Paris im Deutschen Pavillon vorgeführt wurde, befinden sich unter den Exponaten der von Sabine Brantl und Ulrich Wilmes kuratierten Ausstellung „Geschichten im Konflikt- Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1933-1955“, mit der das Museum zum 75. Jahrestag seiner Entstehung der eigenen Geschichte nachgeht.
In sechs „Kapiteln“ gestaltet der Schweizer Konzeptkünstler Christian Phillip Müller mit verschiedenen Interventionen einen „erzählerischen Parcours“, der in einer Gesamtdramaturgie das ganze Gebäude mit einbezieht. Eine Installation veredelt nun die bis vor einigen Jahren von Efeu und Ahorn verdeckte Fassade des schicksalsträchtigen Baus. Über sie spannen sich nun einzelne bunte Netze in den Abstufungen des Roten. Durchsichtig und heimtückisch wie Fischernetze sind sie als Anspielung auf die mit künstlichen Baumkronen bedeckten Tarnnetze zu verstehen, mit denen das Gebäude ab 1942 vor den Angriffen der Bomberpiloten geschützt werden sollte. Ihre Aufgabe ist es, das historische Gebäude mit seiner negativen Aura zu markieren, seine Präsenz als Mahnmal für künftige Generationen zu stärken. Ganz offen und leer zeigt sich im Inneren die monumentale „Ehrenhalle“, wo zwischen 1937 und 1944 die „Großen Kunstausstellungen“ des Regimes eröffnet wurden. An der Stelle, an der Hitler seine dröhnenden Reden hielt, zwischen zwei Lorbeerpflanzen das etwas nostalgische Bild in Schwarz-Weiß eines Mannequins aus der 1946 dort organisierten Exportschau. Im anliegenden Treppenhaus ist unverkennbar die Stimme des Diktators zu hören, während sein Bild aus einer Aufnahme auf der Terrasse vom Haus der Kunst an der Decke erscheint. Neben ihm sitzen Architekt Paul Ludwig und Fotograf Heinrich Hofmann, der für die Auswahl der Exponate zuständig waren.
Im Fokus der Darstellung stehen die achtzehn neuralgischen Jahre in der Geschichte vom „Haus der Kunst“: die Jahre der Diktatur und die Jahre der Transformation Westdeutschlands in eine Demokratie bis 1955.
Gezeigt werden im linken Westflügel Exponate aus der Eröffnungsausstellung 1937: Meistens naturalistische Werke, darunter idyllische Landschaften, Akte oder Bauernmalerei, die sich nun mit vorwiegend abstrakten Exponaten – u.a. von Beckmann oder Franz Marc -vermischen. Letztere waren in der zur selben Zeit im benachbarten Galeriegebäude am Hofgarten stattfindenden Femeschau „Entartete Kunst“ neben Werken geistig Behinderter zu sehen.
Ein Basketballfeld erinnert dagegen -neben historischen Filmausschnitten – an die Nutzung des Hauses als Offizierkasino der Alliierten in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Auf schlichten Holzregalen sind die Kataloge der ab 1949 unter der dreißigjährigen Leitung von Peter A.Ade wieder stattfindenden Ausstellungen. Die großen Werkschauen „ Der Blaue Reiter“(1949), „Die Maler am Bauhaus“ (1950), Max Beckmann (1951), Frank Lloyd Wright (1952), Wassily Kandinsky und Paul Klee (1954) standen auch symbolisch für die Rückkehr der Avantgarde ins „Haus der Kunst“ und festigten dessen Ruf im In- und Ausland. Unvergessen im Kollektivgedächtnis ist die große Picasso-Retrospektive von 1955, bei der das bekannte Antikriegsbild „Guernica“ von 1936 zu sehen war. Dasselbe „Guernica“, das 1937 im Pavillon der Spanischen Republik in der o.e. Pariser „Weltausstellung“ auf die Schrecken des Bürgerkriegs aufmerksam gemacht hatte. Mitten drin befinden sich auch die Kataloge der „Großen Kunstausstellungen“, die 1949 in der bis heute fortgesetzten Glaspalast-Tradition wiederbelebt und alljährlich unter der neugegründeten „Ausstellungsleitung Haus der Kunst e.V.“ von den Münchner Künstlerverbänden in autonomer Form ausgerichtet wurden.
Wiederaufbau und Neubeginn standen im Blickpunkt des Interesses der Menschen in der unmittelbaren Nachkriegszeit wie auch während des Wirtschaftsbooms. Gezeigt wurden im „Haus der Kunst“ zwar immer wieder und mit großem Engagement die Werke verbotener und vertriebener Künstler, von einer konsequenten Auseinandersetzung mit der schwer belasteten hauseigenen Geschichte war aber bis zu den Neunziger Jahren keine Rede. Diese begann erst nach Gründung der halb-privaten, halb- öffentlichen „Stiftung Haus der Kunst GmbH“ mit auswärtigen Direktoren an deren Spitze. Unter Leitung des Schweizers Christoph Vitali, der einen Abriss des historischen Baus verhindern konnte, begann auch der Rückblick und die systematische Erforschung der unbequemen Hinterlassenschaft. Vitalis thematische, epochenübergreifende Schauen verwandelten das Haus der Kunst in einen Publikumsmagnet des internationalen Kunsttourismus.
Der Schwerpunkt der Aktivitäten lag von nun an vorwiegend auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst. Unter seinem Nachfolger, dem Belgier Chris Dercon, begann eine Phase des sogenannten „Kritischen Rückbaus“, in der Räume in den ursprünglichen Zustand zurückgeführt werden. Bunker und Archive werden wieder zugänglich gemacht werden, während die düstere Fassade für Installationen wie Ai Weiweis „Remembering“ genutzt wird.
Der seit Herbst 2011 eingesetzte neue Leiter Okwui Enzewor aus Nigeria konzentriert sich nunmehr auf die „Vielfalt der Geschichten“, die das Haus der Kunst im Laufe der Jahrzehnte geprägt hat. Er sieht es als „Work in Progress in eine Landschaft steten Wandels“. Die Aufarbeitung der Geschichte wird sich gewiss nicht auf die gegenwärtige Schau beschränken, sie wird fortgesetzt in Form einer thematisch anknüpfenden Dauerausstellung mit Symposien und Retrospektiven, mit denen der historisch interessierte Kurator mit dem globalen Ansatz seine Idee eines „Reflexiven Museums“ in die Tat umsetzen will.
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